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Wie das Exil das Werk verwandelte

AKTIONSWOCHE Krieg und Frieden – die Lage der Wissenschaft nach 1945

Die Historikerin Barbara Picht geht der Exilerfahrung im Opus dreier Wissenschaftler nach

Frau Picht, in Ihrer Dissertation forschen Sie darüber, wie sich die Exilerfahrung für so unterschiedliche jüdische Wissenschaftler wie den Wiener Schriftsteller und Philosophen Hermann Broch, den Posener Historiker Ernst Kantorowicz und den Hamburger Kunsthistoriker Erwin Panofsky auswirkte. Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Ich habe in München Geschichte und Philosophie studiert. Meine Magisterarbeit schrieb ich über den jüdischen Philosophen Hans Jonas, der in die USA emigrierte und als Mitglied der Jewish Brigade gegen seine frühere Heimat Deutschland kämpfte. Seit Beginn meines Studiums arbeitete ich außerdem für die auf Literatur zum Judentum spezialisierte Literaturhandlung von Rachel Salamander in München; seit 1997 leite ich die Berliner Filiale der Literaturhandlung in der Joachimstaler Straße 13. In der Buchhandlung veranstalteten wir sowohl in München als auch in Berlin viele Lesungen mit Emigranten, deren bewegte Lebensschicksale mich beschäftigten. Als Summe all dessen hat sich mir irgendwann die Frage gestellt, ob sich die Erfahrung des Exils nicht auch auf das wissenschaftliche Werk auswirkte. Die meisten Wissenschaftler emigrierten in den dreißiger und vierziger Jahren nach Amerika und damit in ein Land, mit dem es anders als heute kaum wissenschaftlichen Austausch gab. So kam ich zu dem Thema meiner Doktorarbeit, die ich am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin unter Betreuung von Hagen Schulze schrieb und die jetzt kurz vor dem Abschluss steht.

Mit welchen Fragen hat sich die Exilforschung bislang beschäftigt?

In der Exilforschung stand lange Zeit die Frage im Vordergrund, wie und ob sich die Wissenschaftler im Exil, also in England oder den USA, aber beispielsweise auch in der Türkei oder in China, beruflich und privat integrieren konnten. Außerdem interessierte, ob die meist jüdischen Forscher nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Familien nach Deutschland zurückkehrten und wo sie dann lehrten, oder ob sie es vorzogen, in ihrer neuen Heimat zu bleiben. Dauerhaft waren es vor allem Geistes- und Sozialwissenschaftler, die in ihre ehemalige Heimat zurückkehrten, während Naturwissenschaftler – schon wegen der guten Ausstattung mit Laboren – vornehmlich als Gastprofessoren nach Deutschland kamen. Aber auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften besuchten viele jüdische Forscher Deutschland nicht als Rückkehrer, sondern als Gastwissenschaftler, wie Marita Krauss in ihrem Beitrag zeigt.

Welchen neuen Ansatz verfolgen Sie in Ihrer Arbeit?

In meiner Dissertation möchte ich zeigen, wie sich das wissenschaftliche Werk von drei jüdischen Wissenschaftlern, deren Exil sie alle drei nach Princeton in den USA führte, durch die Exilerfahrung auf unterschiedliche Weise verändert hat. Mich interessieren dabei nicht in erster Linie die äußeren Umstände, sondern die Änderungen im Werk, in der Selbstwahrnehmung und im wissenschaftlichen Selbstverständnis. Ich stütze mich deshalb in erster Linie auf die Schriften der Forscher, ihre Briefwechsel und autobiografischen Nachlässe.

Warum haben Sie Ernst Kantorowicz, Erwin Panofsky und Hermann Broch ausgewählt?

Diese drei Wissenschaftler haben gemeinsam, dass sie jüdische Geistes- und Sozialwissenschaftler waren, denen die amerikanische Universitätsstadt Princeton zu einem wichtigen Ort ihres Exils wurde. Von dieser Gemeinsamkeit abgesehen, unterscheiden sich ihre Biografien und ihr wissenschaftliches Selbstverständnis aber deutlich voneinander. Der Wiener Industriellensohn Broch (1886-1951) rezipierte das Werk des englischen Schriftstellers James Joyce und war vom Neukantianismus beeinflusst. Broch veröffentlichte in den Wiener Jahren Essays und seine Romantrilogie „Die Schlafwandler“; 1938, nach dem so genannten Anschluss, wurde er verhaftet. Mit Hilfe der Intervention unter anderem von James Joyce emigrierte er über England in die USA.

Der „Einstein der Kunstgeschichte“ Erwin Panofsky (1892 bis 1968) war der erste Ordinarius für Kunstgeschichte an der Hamburger Universität. Er arbeitete dort eng mit den Wissenschaftlern an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek des Privatgelehrten Aby Warburg zusammen. Panofsky formulierte das methodische Modell der Ikonologie, welche Warburg gegen den Widerstand der Fachwelt in Hamburg durchzusetzen begann. Der in den zwanziger Jahren deutsch-national gesinnte Historiker Ernst Kantorowicz (1895-1963) gehörte zum Kreis um den Dichter Stefan George und huldigte dessen Idee eines besseren und „Geheimen Deutschlands“ in seiner umstrittenen Biografie über den Stauferkaiser Friedrich II. Kantorowicz, der in Frankfurt den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte innehatte. Er reichte im Protest gegen die Diffamierung der deutschen Juden 1933 ein Gesuch um Beurlaubung ein, obwohl er als „Frontkämpfer“ noch vor der Entlassung geschützt war. 1938 emigrierte Kantorowicz in die USA.

Führte der gemeinsame Ort Princeton zu einer ähnlichen Prägung der drei Wissenschaftler?

Nein, auch wenn die Exilerfahrung in den USA eklatante Folgen für alle drei hatte. Ihr Werk ist jeweils auf eine sehr individuelle Weise durch die Emigration geprägt worden. Im wissenschaftlichen Lebensweg Hermann Brochs vollzog sich der sichtbarste Wandel: Er wandte sich im Exil politiktheoretischen Studien und dem Phänomen der Massenpsychologie zu, verstand sich aber nicht länger als Schriftsteller oder Philosoph. Kantorowicz transportierte sein ganz auf Deutschland fixiertes Geschichtsbild nicht in die USA. In seiner in Princeton geschriebenen großen Studie über „Die zwei Körper des Königs“ vermied er eine für politische Zwecke instrumentalisierbare Geschichtsschreibung. Beruflich am erfolgreichsten war der Kunsthistoriker Panofsky, der wesentlich dazu beitrug, Kunstgeschichte als Fach in den USA zu etablieren. Mit der Frage nach den in Kunstwerken dargestellten Inhalte – die transnationaler war als eine Kunstgeschichte der Formen und Stile – stieß er in den USA auf größtes Interesse. Dabei wandelt sich der Duktus seiner Bücher: Er schreibt erklärender, weniger theoretisch; seine methodischen Arbeiten führte er im Exil nicht fort.

Das Gespräch führte Felicitas v. Aretin