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Habemus Papam

Wie der Theologe Rainer Kampling die Papstwahl als Interviewpartner der Medien erlebte

Am Tag bevor das Konklave begann, hatte ich in einer Fernsehsendung die Meinung vertreten, dass es sehr kurz werden würde. Weiterhin vertrat ich die Ansicht, dass die Kardinäle entweder einen Kardinal aus Italien oder aber einen Nichteuropäer wählen würden. Diese Auskunft genügte einem Sender, mich zu einem Interview am 19. April um 19 Uhr einzuladen. Bevor ich aufbrach, läuteten die Glocken: Hatten sie am Samstagabend wenige Tage zuvor den Tod Johannes Paul II. bekannt gemacht, so verkündeten sie nun die Wahl eines neuen Papstes. Mehr aber als diese Tatsache konnte ich dem Radio nicht entnehmen.

Man ließ sich Zeit in den vatikanischen Räumen. Sollte der Name wirklich so schwer ins Lateinische zu übersetzen sein? Sollte es wirklich Kardinal Armand Razafindratandra oder Kardinal Anthony Olubunmi Okogie geworden sein? Das bestellte Taxi wartete vor der Tür. Eine merkwürdige Vorstellung, in ein Fernsehstudio zu fahren und dort erst den Namen des Kardinals zu erfahren, der nun Papst sein würde. Ich bat also den Fahrer, sein Radio einzustellen. Wir wären nicht in Berlin, wenn ich nicht in den folgenden Minuten erfahren hätte, dass er das alles für übertrieben hält, der Vatikan zu reich und er schon lange aus der Kirche ausgetreten sei. Was allerdings selbst für Berliner Taxen ungewöhnlich war, war der Umstand, dass in dem Radio nur mit Schwierigkeiten ein Sender gefunden werden konnte, der einigermaßen zu verstehen war: BBC. Die Liveübertragung hatte etwas Kurioses: Im Radio wurde ein Nichtgeschehen kommentiert.

Dann endlich die alten Worte; doch selbst diese wurden gesprochen, als wolle hier jemand noch mehr Zeit herausholen: „Annuntio vobis gaudium magnum; habemus Papam: Eminentissimum ac Reverendissimum Dominum, Dominum Josephum Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalem Ratzinger qui sibi nomen imposuit Benedictum XVI.“ Beim ,Ra‘ klingelte bereits mein Mobiltelefon. Es war ein US-amerikanischer Journalist, dem ich bereits Tage zuvor ein Interview gegeben hatte. Meine Reaktion ist also festgehalten: „I am absolutely speechless, I would never have guessed this. He's a transitional pope. I think his time will be marked by a polarization of the many different churches. But the most important ability a pope brings along with him is the ability to conduct a dialogue. He'll be conservative, but not reactionary. He will continue what John Paul II started.“ Das annähernd Gleiche sagte ich einer Radiostation in Washington, deren Hörer wahrscheinlich eher daran Interesse hatten, was für ein Lärm gleichzeitig über den Sender kam; wir standen im Stau vor dem Brandenburger Tor. Es gab noch einige Anrufe.

Im Fernsehstudio hätte man wohl lieber gesehen, jemanden da zu haben, der nun so richtig kritisch, also teleaktiv, den neuen Papst demontiert. Im Vorgespräch wurde ich nach der Äußerung eines bekannten Kirchenkritikers gefragt. Ich konnte es mir nicht versagen, die gleiche Rückfrage zu stellen, mit der ich wenige Tage zuvor einen Radiomoderator aus der Fassung gebracht hatte: „Eugen wer?“ Das Livegespräch verlief dann recht angenehm, so fand ich jedenfalls. Wenn ich richtig gezählt habe, folgten an die fünfzig Radio-, Fernseh- und Zeitungsinterviews. Damit habe ich seit Ostern, als der nahe Tod Johannes Paul II. offensichtlich wurde, annähernd 100 Interviews gegeben. Nur Gazeta Wyborcza wollte von mir wissen, was ich von den Plänen zum Religionsunterricht in Berlin hielte. Ansonsten gab es nur ein Thema, und zwar in den Variationen: sterbend, gestorben, neu.

Eines ist damit bewiesen: Der FU-Expertendienst wird weltweit genutzt, denn selbst eine mexikanische Zeitung wollte wissen, ob die Kirche Bayerns eine eigene Form des Katholizismus sei. Welch eine Versuchung sich da auftat! Nicht bewiesen ist damit, dass man durch die Tatsache, dass man als Professor für Katholische Theologie auch die Fähigkeit besitzt, in Medien aufzutreten. Mir versagte fast die Stimme, als ich in einem kalten Studio sitzend live einer Sendung zugeschaltet wurde und mich selbst auf dem Monitor sah. Niemand hatte mir vorher gesagt, dass alles mit einer gewissen Verzögerung über den Bildschirm kommt. Es ist mir nicht gelungen, zu erklären, was das Sterben eines Papstes und eine Neuwahl tatsächlich bedeuten. Mehr als einmal musste ich mich gegen den Vorwurf der Pietätlosigkeit wehren, weil ich darauf insistierte, dass der Tod eines Papstes nicht das Ende der Katholischen Kirche ankündigte und die Neuwahl nicht das Ende aller Probleme mit sich bringt.

Die medial erzeugte Erregtheit deckte manches zu, was an wahrem Fühlen vorhanden war, weil sie nur die Katastrophe gelten lassen wollte. Freilich wäre es verfehlt, Medienschelte zu betreiben. Das ganze Pontifikat Johannes Paul II. war ein medial bestimmtes, und dass Joseph Kardinal Ratzinger die Interviewenthaltsamkeit für Kardinäle nicht durchsetzen konnte, spricht Bände.

Dennoch halte ich gegen die Meinung vieler anderer die letzten vierzig Tage nicht für ein Zeichen einer wieder erwachten Religiosität. Es gab immer eine Begeisterung für Johannes Paul II. als Person der Zeitgeschichte. Sie trug über sein Sterben hinaus. Betrachtet man die Angelegenheit nüchtern, ergibt sich unschwer die Einsicht, dass die Teilnahme auch deswegen so groß war, weil es die mediale Gelegenheit dazu gab. Der Massentourismus und die Öffnung der Grenzen haben ebenfalls Möglichkeiten geschaffen, an Ereignissen teilzunehmen, die man als historisch wichtig erachtet. Ich entsinne mich der Enttäuschung auf dem Gesicht einer Moderatorin, als ich sagte, dass die Katholische Kirche des Medienspektakels nicht bedürfte und dass in einer Stunde in der Suppenküche der Franziskaner in Pankow mehr über Katholizismus zu erfahren sei, als in 20 Stunden live vom Petersplatz in Rom.

Aber vielleicht irre ich mich, und manche sind doch innegeworden, dass Leben und Sterben zu wichtig sind, als sie zu übergehen, dass Religion doch Antworten zu geben vermag, und seien es die der Riten. Sicherlich kann aber zu Fragen der Medienwirkung jemand anderes vom FU-Expertendienst besser Auskunft geben.