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Lösungen für alte Konflikte suchen

Hermann Kreutzmann, Experte für Entwicklungsländer, ist der erste W-3-Professor

Manche Räume atmen eine Stille, eine besondere Form der Konzentration – wie der Arbeitsplatz des Geografen Hermann Kreutzmann. Als erster ernannter W3-Professor wechselte er vor kurzem von der Universität Erlangen an das Zentrum für Entwicklungsländerforschung der Freien Universität. Kein Blatt zuviel liegt auf dem Schreibtisch, kein Buch ist verrückt im Regal. Nur ein Foto von einem kirgisischen Mädchen deutet auf Interessen hin, die in die Ferne weisen. „Insgesamt habe ich seit 1981 sechs Jahre in verschiedenen Teilen der Hochgebirgsregionen in Süd- und Zentralasien verbracht“, erzählt der 50-Jährige. In die ländlichen Gebirgsregionen im Schnittfeld von Pakistan, Afghanistan, Xinjiang (China) reiste Kreutzmann schon als Student. Danach hat ihn diese bizarr-schöne Weltgegend nie mehr losgelassen. Schon in seiner Examensarbeit beschäftigte sich Kreutzmann mit den Paschtunen Afghanistans und Pakistans, in seiner an der FU entstandenen Dissertation mit dem Wandel der Überlebensbedingungen im Karakorum. „Mich interessiert, wie sich der ländliche Raum von Gemeinschaften wandelt, die von unterschiedlichen Regierungen verwaltet werden“, erzählt Kreutzmann, hinter dessen wissenschaftlichem Interesse stets eine auf Verbesserung der Lebensverhältnisse zielende Frage steht. Noch expliziter beschäftigte sich die Habilitation Kreutzmanns mit Ethnizitätsforschung. Damals lebten er und seine Frau für fast eineinhalb Jahre bei einer Wahki-Familie, einer der ostiranischen Sprachfamilie zugehörigen ethnolinguistischen Gruppe, die durch koloniale Grenzen und Flucht als Minderheit in vier Staaten zu Hause ist. Mit Unterstützung örtlicher Entwicklungsorganisationen sei es einfach gewesen, mit der lokalen Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Aus dieser Zeit stammen intensive Freundschaften.

„Obgleich die Wahki in allen vier Staaten in den Bergen leben und ähnliche Umweltbedingungen haben, sind die Lebensverhältnisse grundlegend verschieden“, erzählt der Wissenschaftler. Während die in Tadschikistan aufwachsenden Kinder von einem hervorragenden Schulsystem profitierten, könnten die meisten Jungen und Mädchen in Afghanistan weder lesen noch schreiben. Oft seien es weniger ökologische Probleme, als vielmehr die politischen Verhältnisse und gemeinschaftlichen Regeln, die den Menschen das Leben erschwerten.

Dies hat Kreutzmann an dem Beispiel der Wasserressourcen in Mittel- und Südasien exemplifiziert. „Wer im Hochgebirge Zugang zum Wasser hat, ist mächtig“, sagt der Anthropogeograf und berichtet von ehemaligen kleinen Fürstentümern und Staaten in den Bergen, die sich nach kriegerischen Konflikten das Wasser streitig machen. Um für alte Konflikte Lösungen zu finden, arbeitet Kreutzmann eng mit InWEnt (Internationale Weiterbildung und Entwicklung) zusammen: Eine Reihe von praxisorientierten Tagungen will der Armut in ländlichen Regionen begegnen und Empfehlungen für praktische Politik erarbeiten. Auf ihnen treffen politische Entscheidungsträger, internationale Wissenschaftler und Entwicklungsakteure zusammen.

Die Fortsetzung der in Nepal, China und Tibet begonnenen Aktivitäten macht im Juni eine Tagung über das im äußersten Südosten der ehemaligen UdSSR gelegene Tadschikistan, das zu Sowjetzeiten zu dessen ärmsten Unionsrepubliken zählte. Die Tadschiken erhielten 1991 die Selbstständigkeit, ohne darauf politisch und wirtschaftlich vorbereitet zu sein. Kurz danach versank das Land im Bürgerkrieg, der sich nach Meinung Kreutzmanns nicht nur auf die verschiedenen Religionen im Land zurückführen lässt. Vielmehr seien viele Transformationsprozesse nicht wie geplant abgelaufen und hätten folglich zu regionalistischen Abgrenzungsbemühungen beigetragen. Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) untersuchte Kreutzmann am Beispiel des Agrarsektors wie sich der Systemwandel auf lokaler Ebene vollzieht und welche Sozialgruppen involviert waren. „Wir haben uns lange mit den lokalen Repräsentanten wie den Lehrern, Dorfvorstehern und Kolchoseleitern unterhalten“, erzählt Kreutzmann. Ebenso wichtig seien aber Archivstudien in St. Petersburg, um Rückschlüsse auf alte Machtstrukturen zu ziehen. „Im Grunde können sie gesellschaftlichen Wandel in unterschiedlichsten Bereichen beobachten,“ sagt Kreutzmann und kommt auf ein anderes, von der Volkswagenstiftung unterstütztes Projekt in Süd-Kirgisistan zurück. Dort untersucht er am Beispiel der weltweit einzigartigen Walnuss-Fruchtbaum-Wälder, wie der sozio-ökonomische Wandel sich an den Umweltveränderungen zeigt. „Die meisten Menschen in Süd-Kirgisistan sind von akuter Armut bedroht und müssen die vorhandenen Naturressourcen für ihr Überleben anzapfen“. Viele Walnuss-Bäume würden gefällt, da sich die Maserknollen besonders für die Furniere italienischer Sportwagen eignen. Neue, auf Selbstversorgung ausgerichtete Bauern weideten ihr Vieh in den Wäldern, sammelten Feuerholz und Morcheln im Walnuss-Wald. Am Ende der Forschung will das Team um Kreutzmann ein ökologisch-ökonomisches Leitbild aufstellen, das neue Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung aufzeigt, die die Walnussbäume schützt.

Über sein Engagement in Kirgisistan berichtete jüngst der „Naturreporter“ von 3Sat. Ein Team hatte die Wissenschaftlergruppe begleitet. Medienrummel nimmt Kreutzmann inzwischen gelassen, ist er ihn doch spätestens seit dem 11. September 2001 gewohnt. Wegen seiner Spezialkenntnisse über Afghanistan und Pakistan war er ein begehrter Interviewpartner. Kreutzmann gibt Wissen gerne weiter: In dem Asia-Link-Programm der EU sensibilisiert er südasiatische Wasserbauingenieure für geopolitische und sozioökonomische Fragestellungen. Außerdem arbeitet er an der Entwicklung des Masterstudiengangs „geografische Entwicklungsstudien“. „Für lange Aufenthalte im Hochgebirge habe ich wegen meiner vielfältigen Verpflichtungen keine Zeit mehr“, so Kreutzmann bedauernd. Doch mit der Freien Universität hat der Geograf genau den Platz gefunden, den er wegen der Nähe zu den Ministerien, der Vernetzung mit anderen Wissenschaftseinrichtungen und der guten Situation in Bibliotheken und Archiven gesucht hat.

Von Felicitas von Aretin