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Besser studieren mit Kind

In Seminaren und Vorlesungen sind Kinder selten – trotzdem sind sie auf dem Campus willkommen

Gestank ist relativ. Als Anna, 25, ihrer Tochter Ella die Windeln wechselte, hörte sie die Flüche ihrer Kommilitonen schon aus der Ferne: „Was stinkt hier so?“, „Boah, das ist ja nicht auszuhalten!“, „Pfui Teufel!“. Damals, vor zwei Jahren, gab es noch keinen Wickelraum am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI). Anna hockte mit ihrer Tochter auf dem Boden, im Flur vor dem Eingang zur Cafeteria.

Doch als die fluchenden Kommilitonen um die Ecke bogen und den Ursprung des Geruchs sahen, verstummten die Beschwerden sofort. Ellas Charme begann zu wirken. Die eben noch meckernden Mienen hellten sich auf und strahlten die kleine Ella an. Es fielen Sätze wie „So schlimm riecht es ja gar nicht.“ Oder: „Ach, wie süß!“

Anna muss noch heute lachen, wenn sie die Anekdote erzählt. „Die meisten Studenten und Dozenten haben überhaupt kein Problem, wenn ich mal mit Kind zur Uni komme“, sagt sie. Im Gegenteil: Vor allem die Professoren und Dozenten seien verständnisvoll. „Manche kommen richtig ins Schwärmen und erzählen von ihren eigenen Kindern oder Enkeln.“ Doch einen Elternbonus bekommt Anna bei den Dozenten nicht. Sie sagt: „Ich habe nie eine bessere Note bekommen, bloß weil ich Kinder habe.“ Dass sie trotzdem wesentlich erfolgreicher studiert, erklärt sie mit effektiverer Zeiteinteilung: „Ich habe durch die Kinder gelernt, konzentriert auf den Punkt zu arbeiten. Wenn ich früher einen halben Tag frei hatte, habe ich den vertrödelt. Wenn ich jetzt drei Stunden ohne Kind bin, dann nutze ich die effektiv.“ Eine Eins vor dem Komma ist bei ihren Noten mittlerweile Standard.

Nur einmal reagierte ein Professor seltsam. Eigentlich hätte Anna im März eine Hausarbeit abgeben müssen. Doch da kam Alma dazwischen, die zweite Tochter. Anna bat um Verlängerung für die Arbeit. Die wurde bewilligt – um zwei Wochen. Das hätte wissenschaftliches Arbeiten aus dem Wochenbett heraus bedeutet, was Anna zuviel war. Sie hat die Arbeit einen Monat später abgegeben.

Lange vor der Geburt von Ella und Alma, nämlich schon 1993, haben sich an der Freien Universität mehrere studentische Eltern zusammengetan und eine Elterninitiative gegründet. Sie wollten, dass ihre Kinder in der Nähe der Uni betreut werden. Seitdem gibt es die „FUniMäuse“. Die Initiative hat einen Kinderladen auf die Beine gestellt, in dem sich die Eltern mit der Betreuung abwechseln. Außerdem gibt es zwei Erzieherstellen. Sabine und Katja bringen ihre Kinder regelmäßig zu den FUniMäusen. Die beiden Mütter sind außerdem im Vorstand des Vereins, der die Einrichtung trägt. „Ich bin auf die FUnis zufällig im Internet gestoßen“, erzählt Sabine. Die 23-Jährige studiert Grundschulpädagogik und Deutsch und freut sich: „Wenn ich abends mal zu einem Seminar muss, finde ich in der Gruppe immer andere Eltern, die meine Tochter nehmen.“ Momentan tollen und spielen zehn Kinder bei den „FUnis“ herum. Katja hat ihren Sohn Elis auf dem Schoß. Ihr Rat an andere Eltern: „Ihr könnt euch jederzeit bei uns bewerben, wir nehmen Kinder ab einem Jahr auf – nur laufen müssen sie können.“ Beide finden: „Studium und Kind lassen sich sehr gut miteinander vereinbaren.“

Die Frauenbeauftragte der Freien Universität, Mechthild Koreuber, unterstützt die FUniMäuse. Zu ihr und ihren Mitarbeiterinnen kommen häufig junge Mütter, um sich beraten zu lassen. Das sind nicht nur Studierende, sondern vor allem auch Wissenschaftlerinnen. Viele haben Angst, die Karriere an der Uni nicht mit eigener Familie unter einen Hut bringen zu können. Die Frauenbeauftragte verweist auf ein Gespräch mit zwei Wissenschaftlerinnen, das in einem von ihr gerade herausgegebenen „Wissenschaftlerinnen-Rundbrief“ dokumentiert ist. Die interviewten Frauen finden beide: „Familienplanung wird als kontraproduktiv und risikobehaftet für die wissenschaftliche Karriere nicht nur gesehen, sondern auch real erlebt.“ Beide fordern bessere Betreuungsangebote.

Hinzu kommen häufig Probleme mit der normalen Berliner Kita-Bürokratie – vor allem bei Eltern, die von außerhalb oder nur vorübergehend an die FU kommen. Koreuber: „Wenn eine Forscherin aus einer anderen Stadt für ein Semester an die FU kommt, hat sie es schwer, kurzfristig einen Betreuungsplatz in einer normalen Kita zu bekommen.“ Unter anderem für solche Fälle gibt es die FU-Kita. „Dort haben wir immer auch Plätze für kurzfristige Betreuung reserviert“, so Koreuber.

Die Kindertagesstätte wird nicht mehr wie früher von der FU selbst betrieben, sondern vom Studentenwerk Berlin. Es gibt aber Vereinbarungen darüber, dass nicht nur studierende Eltern ihre Kinder hier betreuen lassen können, sondern eben auch wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Dozentinnen und Professorinnen. Und das unkompliziert und teilweise kurzfristig. Schon kurz nach dem Mutterschutz können Kinder in der Kita aufgenommen werden.

Wer sich die Kita und den Kinderladen der FUniMäuse anschauen möchte, braucht keine weiten Wege zurückzulegen: Beide Einrichtungen sind im selben Haus in der Königin-Luise-Straße 86, mitten im grünen Dahlem. Toben können die Kinder auf dem Spielplatz, der zur Anlage gehört. Und zum Campus der FU sind es nur wenige Schritte.

Sabrina Kusch arbeitet als studentische Mitarbeiterin im Büro der Frauenbeauftragten und ist selbst Mutter. Sie lotst Eltern an der FU durch die Beratungsangebote und sucht bei verschiedenen Problemen die richtigen Ansprechpartner. Studierende Eltern, die mit ihren Studienleistungen nicht hinterherkommen, verweist sie oft an die Frauenbeauftragten der einzelnen Fachbereiche: „Von Veterinärmedizin habe ich zum Beispiel nur wenig Ahnung. Wenn jemand fragt, wie man das Studium dort organisiert oder welche Leistungen erst nach dem Mutterschutz erbracht werden können, sind die am Fachbereich besser aufgehoben.“ Bei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen sei manchmal der Personalrat die richtige Adresse – vor allem wenn es um befristete Arbeitsverträge geht.

Sabrina Kusch macht auf einen jährlich stattfindenden Informationstag für „Eltern und solche, die es werden wollen“ aufmerksam. Immer zu Beginn des Wintersemesters veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft „FU mit Kind“ diesen Tag in Räumen der Rost- und Silberlaube. Auch hier wird informiert über die wichtigen Punkte: Kinderbetreuung, Organisation, Finanzielles, Anlaufstellen. Mit dabei sind die psychologische Beratung und die Frauenbeauftragten. Insgesamt findet Sabrina Kusch: „Als Eltern wird man an der FU unterstützt, wo es geht.“

Während das Betreuungsangebot und die Stimmung auf dem Campus kinderfreundlich sind, gleicht die Fahrt zur FU per Bus und Bahn einem Spießrutenlauf für junge Eltern. Astrid hat einen kleinen Sohn und ihr Staatsexamen gerade hinter sich. Sie berichtet von tumultartigen Szenen am U-Bahnhof Dahlem-Dorf: „Dort drängeln sich alle um den Fahrstuhl, um bloß nicht den anstrengenden Umweg über die Treppen nehmen zu müssen. Und man selbst hat mit dem Kinderwagen keine Chance.“ Ähnliches im Bus: „Wenn die Kinder nicht absolut ruhig sind, werden andere Fahrgäste schnell pöbelig.“ Am meisten empört hat sie der Spruch: „Sie sind doch Mutter, da haben Sie doch Zeit, auf den nächsten Bus zu warten.“ Doch an den FU selbst verbessert sich die Situation weiter, zum Beispiel am OSI: Zum Windelnwechseln muss sich Anna nicht mehr auf den Boden hocken – es gibt jetzt einen Wickelraum. Und das Beste: Ihre ältere Tochter Emma trägt gar keine Windeln mehr.

FU MIT KIND

Informationen zur FU-Kita, zu den FUniMäusen und zu Fragen rund um die Kinderbetreuung an der FU gibt es auf den Internetseiten der Frauenbeauftragten Mechthild Koreuber: www.fu-berlin.de/frauenbeauftragte. Dort wird auch der Termin für den Eltern-Info-Tag der AG „FU mit Kind“ bekannt gegeben. Beim Studentenwerk Berlin gibt es eine Broschüre zum Thema „Studieren mit Kind“. Sie kann unter www.studentenwerk-berlin.de/bub/dokumente heruntergeladen werden.
OT