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Selbst und ständig: Unternehmer werden

Die Weiterbildung „Unternehmertum in der Wissensgesellschaft“ vermittelt Basiswissen und Netzwerke

Gesine Wessels ist auf den ersten Blick nicht unbedingt die klassische Teilnehmerin eines Unternehmensgründer-Seminars. Im Verkaufsraum ihres lichten Laden-Ateliers am Ludwigkirchplatz warten Modellkleider, Hosen und Röcke auf ihre künftigen Besitzerinnen. Weiter hinten hängen Schnittmuster, stapeln sich Stoffballen, Tücher und Knöpfe. Eine Nähmaschine rattert. Das Geschäft der Textil- und Modedesignerin existiert seit rund zehn Jahren, die Auftragsbücher sind gut gefüllt. Dennoch: „Ich habe über das UWG gelesen und mich in Sekunden entschlossen, daran teilzunehmen“, erzählt sie.

UWG steht für „Unternehmertum in der Wissensgesellschaft“, ein nebenberufliches Weiterbildungsseminar, das ein Projektteam aus Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftlern der Freien Universität Berlin im Sommer 2004 ins Leben gerufen hat. Angesiedelt im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften verfolgt sie das Ziel, Berufstätigen universitäres Wissen und Methodenkenntnisse für die Entwicklung unternehmerischen Denkens und Handelns zu vermitteln. „Das Tempo, in dem sich Rahmenbedingungen der Wirtschaft ändern, wird immer schneller. Unternehmer, die ständig ihren Markt analysieren müssen, können nur noch schwer den Überblick behalten“, erklärt Sigrid Peuker, eine der Initiatorinnen. Sie ergänzt: „Wir wollen das Hintergrundwissen und die Fähigkeiten dazu vermitteln.“ Die Teilnehmer sollen ein Bewusstsein für ihre Kompetenzen, Schwächen und Risiken bekommen – Einsichten, die sie befähigen, auch nach Abschluss des Seminars relevante (Geschäfts-)Entscheidungen zu treffen. Gesine Wessels war Teilnehmerin der ersten Stunde. „Damals steckte ich mitten in einem Orientierungsprozess: Eröffne ich eine zweite Dependance? Soll ich versuchen, ein Konfektionslabel zu etablieren? Oder einfach alles lassen wie es ist?“, begründet die Modedesignerin ihre Motivation, das Seminar zu besuchen. „Ich hatte so viele Ideen – und brauchte einfach einen realistischen Draufblick und kritische Reflektion.“

„Im Vordergrund der Weiterbildung steht die Entwicklung einer Geschäftsidee, die Persönlichkeitsfaktoren des Einzelnen ebenso einbezieht wie eine gründliche Marktanalyse“, so Peuker. Das Programm richtet sich dabei nicht nur an Unternehmer, die ihr Geschäftskonzept „generalüberholen“ möchten. Es ist ebenfalls für Angestellte gedacht, die sich beruflich verändern möchten, aber noch nicht genau wissen, wohin sie eigentlich wollen. Bewerber müssen drei Voraussetzungen mitbringen: Ein abgeschlossenes Hochschulstudium – bei gleichwertiger Berufserfahrung sind Ausnahmen möglich –, eine Geschäftsidee sowie die Bereitschaft, sich auf Denkmuster und Perspektiven Anderer einzulassen. Ob die Idee schon ausgereift oder noch vage ist, ist nebensächlich: „Im Laufe des Seminars wird sie ohnehin ständig überarbeitet – das ist das Besondere an unserem Ansatz“, sagt Peuker.

Bestehende Existenzgründerworkshops setzen in einer Phase an, in der die angehenden Unternehmer ihre Geschäftsidee bereits entwickelt haben. „Das UWG greift früher: Es unterstützt die Leute darin, Unternehmer zu werden. Mit allem, was dazu gehört.“ Dreh- und Angelpunkt ist die Persönlichkeit des Einzelnen. Im Seminar erarbeiten die Teilnehmer gemeinsam Antworten auf Fragen wie „Was will ich erreichen?“, „Was motiviert mich?“, „Wo liegen meine Stärken?“ und passen ihre Geschäftsidee daran an. „Wenn ich etwas nicht gerne mache oder meine Kompetenzen in einem anderen Bereich liegen, habe ich auch keinen Erfolg“, fasst Peuker zusammen. Für die Kommunikationswissenschaftlerin liegt der Grund dafür, dass ein Großteil der Neugründungen in Berlin und Brandenburg scheitert, auf der Hand: „Die Leute nehmen sich zu wenig Zeit, ihre Idee zu hinterfragen.“ Gründungskonzepte sollten nicht nur auf potenzielle Kunden, sondern auch auf den Unternehmer selbst, seine Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten zugeschnitten sein.

Gunnar Brückner, Teilnehmer des aktuellen Kurses, hat sich diese Zeit bewusst genommen. Nach einer erfolgreichen Berufslaufbahn, zuletzt als Chief Learning Officer bei UNDP, dem Entwicklungsprogramm der UNO in New York, hat er den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Als Geschäftsführer der kanadisch-deutschen Firma „coachingplatform“ vertreibt er seit drei Jahren eine Software zur Förderung virtueller Kommunikationsprozesse. Sein zweites Standbein ist die Lernberatung für internationale Unternehmen und Organisationen. Jetzt will er verstärkt den Deutschen sein Wissen über die Bedeutung informellen Lernens näher bringen. „Achtzig Prozent allen Lernens in Unternehmen läuft auf informellen Wegen. In Teamsitzungen oder beim Schwätzchen zwischen Tür und Angel geben Angestellte wichtige Informationen über Arbeitsprozesse und -abläufe weiter. Achtzig Prozent der Ausgaben für Personalentwicklung werden dagegen in formale Weiterbildung gesteckt.“ Bei dem Versuch, dieses Paradoxon im Gespräch gemeinsam mit seinen Kunden zu lösen, stieß der studierte Soziologe auf ein Problem: „Für mich sind Begriffe wie Motivation, Innovationsbereitschaft und selbstbestimmtes Lernen per se positive Werte für ein Unternehmen. Nicht alle Wirtschaftswissenschaftler können mit diesen Kategorien etwas anfangen“, so Bruckner. Das Argument, dass sich die Zufriedenheit der Mitarbeiter – und Lernen macht sie zufriedener – günstig auf Kostensenkung und Effektivität auswirkt, stößt dagegen bei ökonomisch denkenden Menschen auf offene Ohren. „Ich muss einfach lernen, die Sprache meiner Kunden zu sprechen“, resümiert Brückner. Die Weiterbildung an der FU vermittelt ihm die nötige Fachsprache und auch die Argumentation: zum einen durch die wissenschaftlichen Lerninhalte der Seminar-Einheiten, aber auch durch die Erfahrungen der anderen Seminarteilnehmer. „Mit den Präsentationen meines Geschäftsmodells vor der Gruppe und den anschließenden Diskussionen lerne ich, wie ich mein Produkt, meine Dienstleistung verpacken kann, damit sie die Leute auch kaufen“, so Brückner. Dazu gibt es wertvolles praktisches Wissen: „Einer kommt beispielsweise aus dem Vertrieb und kann mir Tipps geben, wie ich meine Software verkaufe. Oder mich selbst besser vermarkte.“

Die Geschäftsideen der Teilnehmer aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, ist einer der Kerngedanken des UWG. Nicht nur die Inhalte des Weiterbildungsprogramms, auch die Gruppen selbst sind heterogen zusammengesetzt. Die verschiedenen Biografien, beruflichen Hintergründe und Lebensstile der Teilnehmer sorgen für den Blick über den eigenen Tellerrand. Die Lerninhalte werden von Dozenten und Kursteilnehmern im stetigen Austausch gemeinsam erarbeitet. Auch die Macherinnen und Macher des Seminars gewinnen so ständig neue Erkenntnisse über ihr Betätigungsfeld. Die laufende Evaluation gehört zum Konzept des Seminars: „Das Feedback unserer Kunden fließt direkt in die Gestaltung des Kursprogramms ein“, erläutert Sigrid Peuker. „Dabei geht uns nicht darum, aus jedem auf Teufel komm raus einen Unternehmer zu machen.“ Wer im Laufe der Weiterbildung merkt, dass er doch besser in einem Angestelltenverhältnis aufgehoben ist, bekommt ein persönliches Bewerbungstraining, Beratung zu Bewerbungsstrategie und Gestaltung der Unterlagen inklusive.

Die anderen Teilnehmer entwickeln ihr Geschäftskonzept nach ihren Bedürfnissen. Gesine Wessels beispielsweise hat ihre Dienstleistung erweitert: Zusätzlich zum klassischen Modedesign bietet sie seit einem halben Jahr als „Style Coach“ Modeberatung an. Wessels und Brückner haben erkannt, dass sie auch als Selbstständige nicht allein auf sich gestellt sind.

Sie haben Strategien gefunden, Teilbereiche ihrer Arbeit bei Bedarf an Mitarbeiter abzugeben. „Zu sehen, dass man auch Hilfe annehmen und Mitarbeiter einstellen kann, ist eine wichtige Erkenntnis auf dem Weg zum Unternehmer“, erklärt Peuker. „Dieser Rollenwechsel braucht Zeit – wir begleiten ihn.“

DIE NÄCHSTEN TERMINE

Für Selbstständige und solche, die es werden wollen

„Unternehmertum in der Wissensgesellschaft“ bietet eine berufsbegleitende, sechsmonatige Weiterbildung an. In einer Mischung aus Präsenzveranstaltungen, Online-Lernen, Beratung, Workshops und Coaching entwickeln die Teilnehmer ihre Geschäftsidee bis zur Umsetzungsfähigkeit.

Ablauf: Zu Kursbeginn eine Woche ganztägiges Intensivseminar, danach über fünf Monate je an einem Wochenende (Freitag/Samstag) Präsenzveranstaltungen. Die restliche Lernzeit ist individuell gestaltbar, Zeitaufwand circa 5 Stunden pro Woche.

Termine: Die nächsten beiden Kurse beginnen am 29. August und am 27. Oktober 2005.
Anmeldung: ab sofort, bis zu einer Woche vor Beginn.

Maximale Teilnehmerzahl: je 30 Personen.

Teilnahmegebühr: 200 Euro.
Für die Teilnahme ist aufgrund der Förderung durch den Europäischen Sozialfonds ein Wohnsitz in Berlin Bedingung.

Weitere Informationen und Anmeldung:
Dr. Dorothea Kress und Sigrid Peuker:
Freie Universität Berlin
Projekt Unternehmertum in der Wissensgesellschaft
Fachbereich Wirtschaftswissenschaft
Garystraße 21
14195 Berlin

Tel.: 030/838-54488 oder 838-52279,
E-Mail: uwg@zedat.fu-berlin.de, Internet: http://uwg.fu-berlin.de

MJ