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Was Terror den internationalen Handel kostet

Der Juniorprofessor Volker Nitsch plädiert fürs Querdenken in der Wissenschaft

Volker Nitsch ist erst 36 Jahre alt. Und doch hat der Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre seine ersten Meriten bereits in der realen Welt der Banken erworben. Bevor er 2003 an die Freie Universität kam, war er acht Jahre als Volkswirt ein gefragter Konjunkturexperte, der es bereits auf die Titelseite des Wall Street Journals geschafft hat. Selbst für seine Generation ist das ungewöhnlich. „Das Spannendste war damals die Einführung des Euro aus Sicht der Banken. Ich habe Vorträge gehalten und mich bei Fernsehsendungen im Vorfeld der Währungsumstellung an Expertenhotlines für interessierte Bürger beteiligt“, erinnert er sich. Für den Bürger Nitsch war es die zweite Währungsumstellung. Als Wissenschaftler ist er dem Thema treu geblieben, jüngst untersuchte er die Wirkung des Euro auf den europäischen Handel. „Da die europäischen Staaten schon lange intensive Handelsbeziehungen pflegen, war der Effekt allerdings nicht sehr groß“, sagt der Ökonom.

Dass der gebürtige Berliner einmal die Finanzmetropolen der Welt bereisen würde, war für ihn als Abiturienten nicht nur unvorstellbar, es war unmöglich. In Nitschs Biografie spiegelt sich die Wiedervereinigung der einst geteilten Stadt wider: Aufgewachsen in Lichtenberg standen ihm nach der Schulzeit 1986 erst einmal drei Jahre Wehrdienst bevor. Es folgten Studienjahre an der Hochschule für Ökonomie und später an der Freien Universität Berlin.

Volker Nitsch reist zu zahlreichen Seminaren ins englischsprachige Ausland. Hier, umgeben von internationale Handelstheorien, wächst er in eine junge, global denkende Forschergemeinschaft hinein. „Die Probleme der Globalisierung, der internationalen Arbeitsteilung, gab es so vor 40 Jahren noch nicht. Länder wie China und Indien waren in die Weltwirtschaft kaum integriert. Heute haben Forscher viel bessere technische Möglichkeiten empirische Daten auszuwerten, die diese Phänomene erklären und beurteilen helfen“, erläutert er.

Für den praxisorientierten Forscher ist es selbstverständlich, dass sich die Wirtschaftswissenschaft direkt in die politische Diskussion einmischt. Unmittelbar nach dem 11. September 2001 nimmt der Juniorprofessor gemeinsam mit Dieter Schumacher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung den internationalen Terror ins Visier. Ihr 2003 erschienener Aufsatz „Terrorismus und internationaler Handel“ geht der Frage nach, inwieweit terroristische Anschläge den internationalen Handel beeinflussen. „An Daten zu kommen, war nicht einfach. Terrorismus war nie ein Top-Thema in der Ökonomie“, so Nitsch. Die Studie untersucht bilaterale Handelsströme von mehr als 200 Ländern im Zeitraum von 1960 bis 1993. Gewalt und Terrorismus, dies hat der 11. September überdeutlich gezeigt, haben einen dramatischen Einfluss auf Handelsaktivitäten: Als die US-Behörden die Grenzen zeitweilig schlossen, mussten Lastwagen an den kanadisch-amerikanischen Transitstrecken mehr als 20 Stunden warten, statt sie wie gewohnt in wenigen Minuten passieren zu können. Auch der Flugverkehr ist betroffen: Einen ganzen Tag dauert es, ehe Handelsgüter aus Israel die strengen Sicherheitschecks der EL Al passiert haben. Die Angst vor Terror kostet. Was das für die Logistik verderblicher Güter wie Avocados bedeutet, kann der Leser sich leicht ausmalen. Der Verdienst der Autoren ist, dieser Dramatik eine mathematische Formel an die Seite zu stellen. Diese Formel entwaffnet einen der Erfolgsfaktor des Terrors, nämlich den der Bodenlosigkeit der Zerstörung und Gewalt: Klarheit und Eingrenzung bedeutet hier eine mentale Entschärfung des Klimas, das durch Terrorismus auf lange Zeit wirkt. Eine Verdoppelung der Anzahl terroristischer Anschläge bewirke innerhalb eines Jahres einen Rückgang des bilateralen Handelsvolumens um vier Prozent, so die Studie. Was wenig klingt, sind Milliardenverluste für die betroffenen Länder.

Von seinen Studierenden erwartet Volker Nitsch polyglotte Neugier und dass sie sich den drängenden Fragen der wirtschaftlichen Globalisierung stellen. Originelles Querdenken, davon ist er überzeugt, lässt eine neue Generation von Wissenschaftlern heranwachsen. Zu denen könnte einmal auch seine heute 5-jährige Tochter zählen. Wie man mit Geld umgeht, wird sie demnächst lernen. „Im September, wenn sie eingeschult wird, bekommt sie ihr erstes Taschengeld“, verrät der Ökonom.

Von Michaela Habelitz und Anke Assig