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„Wer reich stirbt, stirbt in Schande“

EUROPÄISCHE JOURNALISTEN-FELLOWSHIPS: Recherchepraxis an der Freien Universität Berlin erweitern

Warum die Deutschen noch kein Mäzenatentum wie in den Vereinigten Staaten entwickelt haben

Sein Leben lang hatte er mit rücksichtlosen Methoden Geld gescheffelt und wurde damit zu einem der reichsten Amerikaner seiner Zeit. Dann verkaufte Andrew Carnegie im Jahr 1901 sein Stahlimperium, wandelte sich zum überzeugten Wohltäter und ließ im ganzen Land über 2500 Bibliotheken errichten. "Wer reich stirbt, stirbt in Schande", verkündete der Multimillionär - und folgte diesem Credo. Der Stahlbaron wurde der erste große Philanthrop der Vereinigten Staaten. In allen Städten und Gemeinden der USA halten die Namen von Museen, Schulen und Konzerthallen die Erinnerung an großzügige Spender wach. An deren Spitze steht derzeit Bill Gates. Der Microsoft-Gründer hat bisher 31,5 Milliarden US-Dollar aus seinem Privatvermögen an die "Bill und Melinda Gates Stiftung" überwiesen, jährlich kommen einige Milliarden Dollar hinzu. Eine selbstverständliche Philanthropie, wie sie in den USA existiert, ist in Deutschland nicht zu finden. Es gibt zwar auch hierzulande großzügige Stifter und Mäzene - sie sind aber nach wie vor die Ausnahme. "Philanthropie hat sich als gesellschaftliches Konzept in Europa nicht durchgesetzt", sagt der Kunsthistoriker der Freien Universität Berlin Thomas W. Gaehtgens.

Dabei war Philanthropie auch in Deutschland fester Bestandteil der bürgerlichen Kultur. Am Ende des 19. Jahrhunderts blühte das bürgerliche Engagement für Kultur und Wissenschaft. Viele heute staatliche Museen, Kunstgalerien und auch wissenschaftliche Institute gehen auf private Initiative zurück. Jüdische Philanthropen machten im wilhelminischen Deutschland die Mehrzahl der Spender aus. Doch der erste Weltkrieg verpasste dem Nationalstolz einen empfindlichen Dämpfer. Die politische Instabilität der Weimarer Republik tat ihr übriges. Unter der nationalsozialistischen Diktatur wurden die großzügigen jüdischen Stifter dann später aus dem Land getrieben oder in Konzentrationslagern ermordet. Die öffentliche Hand übernahm die Finanzierung von Kultur und Wissenschaft. Von dieser Zäsur hat sich die deutsche Philanthropie bis heute nicht erholt. Doch warum hat sich in Deutschlands Nachkriegsgesellschaft nicht eine ähnliche philanthropische Verantwortung der reichen Oberschicht für ihre Gesellschaft entwickelt wie in den USA? Wohl auch, weil deren Engagement hierzulande weder gesellschaftlich eingefordert noch anerkannt wird. Anders als in den USA sind große Vermögen und Einkünfte in Deutschland nicht Anlass für Bewunderung, sondern für Misstrauen und Neid. Aus eben diesem Grund wagen sich viele Vermögende gar nicht an die Öffentlichkeit. Marita Haibach, profilierte Fundraiserin und Autorin, stellt fest: "Wer sich als vermögend outet, muss Schimpf und Schmäh fürchten. Doch vermögende Menschen, die sich verstecken (müssen), nützen der Gesellschaft wenig."

Wer sich hierzulande engagiert, muss vielmehr damit rechnen, unlautere Motive unterstellt zu bekommen. Hier entsteht ein fataler Kreislauf: Je missgünstiger das Klima gegenüber Wohlhabenden, desto stärker werden sie sich aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zurückziehen. Zumal dieser Rückzug, dieses Unsichtbar-Machen als Millionär oder Milliardär hierzulande durchaus möglich ist - ohne dass der gemeine Bürger oder auch die Elite daran Anstoß nähme. Was weiß die deutsche Öffentlichkeit beispielsweise schon vom Engagement oder Nicht-Engagement Deutschlands reichster Männer, der Gebrüder Albrecht, die zweistellige Milliardenbeträge mit den Aldi-Märkten erwirtschaftet haben. Sie selber schweigen sich auf Nachfrage aus. Ebenso interessant ist aber, dass die Gesellschaft auch keinerlei Erwartungen an sie richtet. Ganz im Gegenteil. Aldi zählt neben Porsche zu den beliebtesten Unternehmen Deutschlands.

Microsoft-Gründer Bill Gates hat da ganz andere Erfahrungen gemacht. Sein Ruf litt auch wegen seiner skrupellosen Geschäftsmethoden in den neunziger Jahren - bis er seine milliardenschwere Stiftung gründete. Bill Gates rettete sein Ansehen, er reagierte aber auch auf eine gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber Wohlhabenden, die hierzulande nicht existiert. Etliche vermögende Deutsche, so ist anzunehmen, sind darüber sicher nicht traurig. Nicht in jedem Reichen steckt vermutlich ein durch Neid und Missgunst verhinderter Philanthrop. Viele versuchen ihr Nichtengagement mit den angeblich so hohen Steuersätzen in Deutschland zu rechtfertigen. Je höher die Belastung für die so genannten Besserverdiener ist, desto überzeugender klingt ihre Argumentation, die besagt, man tue schließlich schon genug für den Staat.

Taugen die USA überhaupt als Vorbild? Die Frage ist insofern berechtigt, als die Engagementkultur beider Länder eine ganz eigene Geschichte hat. Die puritanischen Wurzeln der ersten Einwanderer sind in den USA noch immer prägend und präsent. Hier gründet das tiefe Misstrauen gegenüber dem Staat ebenso wie der Glaube an die Selbsthilfe und den Wert der eigenen Tüchtigkeit. Diese Überzeugungen sind Teil des nationalen Gens. Deutschlands Weg der Bürokratisierung und einer frühen Begründung der Sozialversicherung durch Bismarck verlief da gänzlich anders. Und noch heute beschützt und bevormundet der deutsche Staat seine Bürger dort, wo der amerikanische Freiräume, auch für den freien Fall nach unten lässt.

Dem bürgerschaftlichen Einsatz fehlen in Deutschland die zivilgesellschaftlichen Wurzeln und die Gestaltungsfreiräume, das gilt auch für das Engagement des Durchschnittsbürgers. Zwar sind laut dem jüngsten Freiwilligensurvey rund 22 Millionen Bundesbürger in Vereinen, in Nicht-Regierungsorganisationen wie Greenpeace oder Amnesty, in Nachbarschaftskreisen und Schulinitiativen aktiv. Doch ihr Engagement ist häufig privat. Dabei würde eine gesellschaftliche Anerkennungskultur sicher mehr als eine kürzlich verbesserte Unfallversicherung von Ehrenamtlichen den Menschen Anreiz bieten, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. In diesem Punkt können die USA als Vorbild dienen. Wer sich dort engagiert, erhält nicht nur ein aufrichtiges "Thank You" - Engagement wird in der amerikanischen Gesellschaft in vielfältigster Weise anerkannt und belohnt. Universitäten und Arbeitgeber ziehen in ihren Entscheidungen für Bewerber auch deren bürgerschaftlichen Einsatz mit ein - ja ohne diesen bleiben viele Türen schlicht verschlossen.

Hinzu kommt, dass das klassische deutsche Ehrenamt sich erst langsam aus seinen staatstragenden Strukturen befreit und eigenverantwortlicher wird. Ein schwieriger Prozess: Der deutsche Verwaltungs- und Bürokratenstaat hat seinem Volk im vergangenen Jahrhundert die Lust am selbstgesteuerten Engagement ausgetrieben - durch Bürokratisierung und Regelungen. So haben im karitativen Bereich Großverbände die bürgerliche Selbstorganisation verdrängt. 1897 wurde der Caritasverband gegründet, 1919 die Arbeiterwohlfahrt, 1921 das Deutsche Rote Kreuz - sie machten das private soziale Engagement der Bürger weitgehend überflüssig. Sie alle wurden im freiwilligen Engagement zum Befehlsempfänger in einer Staats- und Verbändebürokratie, eine Rolle, die bis heute nachwirkt. Erst langsam, mit den Folgen der 68er Bewegung, bildete sich parallel ein Bürgerengagement heraus, das eigene Ziele verfolgte und sich bewusst gegen staatliche Strukturen stellte.

Dieses neue Bürgerverständnis - das sich jenem in den USA annähert - kann nicht ohne Einfluss auf das Verhältnis von Staat und Bürger bleiben. Wo dieser sich einmischt und mitmischen will, wo er oder sie zivilgesellschaftliche Verantwortung übernehmen will, da muss der Staat Platz machen. Doch der drückt seine Fürsorglichkeit im Einsteinjahr mit einem Spruch des Genies am Berliner Kanzleramt aus: "Der Staat ist für die Menschen da und nicht die Menschen für den Staat." Da ist er wieder, der behütende Vater Staat, er kann einfach nicht aus seiner Haut.

Die Autorin Petra Krimphove arbeitet als Redakteurin der Badischen Zeitung in Freiburg und hat bis zum Sommer 2005 ein Jahr als Stipendiatin am Europäischen Journalistenkolleg teilgenommen.

EUROPÄISCHE JOURNALISTEN-FELLOWSHIPS

Medienschaffende knüpfen Netzwerk

Das Programm "Europäische Journalisten-Fellowships" (EJF) unter der Leitung von Prof. Dr. Lutz Erbring verleiht jährlich zehn bis fünfzehn Stipendien für einen zweisemestrigen Studien- und Arbeitsaufenthalt in Berlin an Journalistinnen und Journalisten aus Ost- und Westeuropa sowie den USA.
Damit haben sich die Fellowships seit 1999 als eine wichtige Institution für Journalistinnen und Journalisten auf europäischer Ebene etabliert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können zwei Semester lang aus dem Redaktionsalltag aussteigen und ein Studienjahr in Berlin verbringen, um Wissen zu vertiefen und an einem größeren Recherche-Projekt zu arbeiten. Gleichzeitig ermöglicht das Programm den intensiven Austausch mit Berufskollegen.
Derzeit werden Junior-Fellowships und Standard-Fellowships vergeben. Die Europäischen Journalisten-Fellowships werden von Stiftungen und Unternehmen in Kooperation mit der Freien Universität Berlin getragen.
Zu den Förderern des laufenden Studienjahres gehören die FAZIT-Stiftung (Frankfurter Allgemeine Zeitung), die Haniel-Stiftung sowie die Stiftung Presse-Haus NRZ. Auch drei politische Stiftungen, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung, beteiligen sich. fva

Nähere Informationen: www.ejf.fu-berlin.de