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Chancen und Versäumnisse deutscher Hochschulpolitik im Ausland

New York - Peking - Riad - Warschau

Die Freie Universität Berlin erweitert ihr internationales Engagement und knüpft damit an ihre internationale Gründungsgeschichte und den internationalen Wettbewerb an. Der Präsident der Freien Universität Berlin wirft einen Blick auf Universitäten im Ausland.

NEW YORK

„Within short, there will only be ten to twelve leading Research Universities in the world and we want to be one of them“. Dieser Satz des Präsidenten einer der führenden amerikanischen Universitäten hätte noch vor hundert Jahren aus dem Munde einer deutschen Magnifizenz kommen können. – Und heute? – Ein zwiespältiger Eindruck. In der internationalen „Szene“ sind erstaunlich viele deutsche Universitäten ein Begriff, die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), Heidelberg, Göttingen, Tübingen – die beiden Berliner Universitäten. Ungläubige Blicke, wenn man über die deutsche Wirklichkeit spricht: Massenbetrieb mit grotesken „Untreue“-Verhältnissen, marode Gebäude, Ausrüstung immer einen Schritt hinterdrein, viel Mittelmaß, fünf Prozent des Jahresbudgets einer amerikanischen Spitzenuniversität. Der Grund für die Wertschätzung: Erstklassige deutsche Jungwissenschaftler(innen), die zu Zehntausenden das Land verlassen haben, prägen das Bild deutscher Wissenschaft. – Das Gehirn läuft aus und weg. Etwa 40 Prozent kommen zurück – manchmal erst nach Jahrzehnten.

Motive für den Exodus: Obenan die besseren Forschungsbedingungen, sodann die sichere (!) Berufsperspektive mit fast 50 Prozent Lebenszeitprofessuren, doppelt bis dreifach so hohen Gehältern für die Elite. Die zwanzig amerikanischen Top-Universitäten sind unermesslich reich, sie verfügen über ein Milliardenvermögen. Die Columbia Universität ist der größte Grundstückseigner New Yorks.

Hausaufgabe für Deutschland:

Hochschulbudget um einen halben bis einen Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen, das heißt, um jährlich zehn bis zwanzig Milliarden Euro. Kapitalaufbau für zehn bis fünfzehn Universitäten ermöglichen – die globale Zukunft der Hochschulen hat auch eine ökonomische Seite. Higher Education droht zum Big Business zu werden. Auch unser Land wird sich den Export seiner grauen Zellen teuer bezahlen lassen müssen; von denen, die es bezahlen können, um die zu schützen, die es nicht können.

 

WARSCHAU

Die Stunde Null hat alles möglich gemacht. Statt früher (1980) 380 000 studieren heute über zwei Millionen junge Menschen in Polen und 8000 junge Polen in Deutschland, die größte Zahl aller ausländischen Studierenden. Das sind die, die (noch) deutsch gelernt haben. Das wird sich ändern. Längst bieten polnische Hochschulen englischsprachige Studiengänge an, gern angenommen von arabischen Studenten, von Chinesen und Afrikanern. Sogar in deutscher Sprache kann man an einer privaten polnischen Hochschule seinen MBA erwerben, begehrt bei zahlungskräftigen Opfern deutscher Gymnasialmisere mit schlechter Abitur-Durchschnittsnote. Was machen die Polen richtig? Sie internationalisieren sich rasch, kennen keine Ausländerfeindlichkeit und haben verstanden, dass Deutschland nicht mehr das Land der Wissenschaft schlechthin ist. Dabei kamen sie und die Nachbarn aus den anderen osteuropäischen Staaten nach der Wende in großen Zahlen mit dem Willen zur Zusammenarbeit in Deutschland an. Aus Angst vor einem imperialen Gestus haben wir uns oft zurückgehalten mit breiten Angeboten im Ausland.

Hausaufgabe für Deutschland:

Stipendien ohne Wenn und Aber für so viele Osteuropäer wie möglich – Deutschland hat ein demografisches Problem und der Osten hat junge Menschen mit Hunger nach Wissen und der Welt.

 

RIAD

„We want to force our young people to learn German“, sagt der Erziehungsminister Saudi-Arabiens in Berlin nach drei Monaten des Schweigens. Vorangegangen war ein Besuch in Riad in einer Delegation des deutschen Außenministeriums durch Staaten der arabischen Halbinsel, auf der Suche nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Viel, wenngleich zurückhaltende Aufgeschlossenheit. Vorsichtige Andeutungen dahin, auf der Suche nach Alternativen zur amerikanisch-britischen Hegemonie im Erziehungssystem zu sein. Diese haben ihre Scouts überall: In den Beraterstäben der kleinen und großen Monarchien, in den Boards der Unternehmen und in den meisten neu gegründeten Hochschulen. Der Markt ist weitgehend aufgeteilt: Deutschland wird zwei, drei Beteiligungen haben. Das entspricht dem Versagen im ökonomischen Sektor. Ein Blick auf die zahllosen teuren Messingschilder der Firmen in den großen Industrieparks genügt: Auch deutsche Unternehmer haben den Aufbruch auf der heiligen Halbinsel verschlafen – aus Ignoranz oder Ängstlichkeit. Natürlich: Es ist kein reines Vergnügen, sich in Riad mit Panzerwagen und Personenschutz zu bewegen. Aber der Markt fragt nicht nach Bequemlichkeit.

Hausaufgabe für Deutschland:

Die Euphorie der arabischen Partner an der deutschen Nichtbeteiligung am Irak-Krieg nutzen und investieren mit dem besten deutschen Exportartikel: Bildung und europäische Philosophie.

 

PEKING

Vor gut 30 Jahren gab es in Peking für Ausländer ein paar Telefone auf dem Flur des einzigen internationalen Hotels. Selbst Kohl musste im Schlafanzug von dort aus mit Deutschland telefonieren. Heute hat fast jeder chinesische Student ein Handy, China hat einige Spitzenuniversitäten, die in die Liga der ersten hundert vorrücken, und Peking hat den Smog. „Hier möchte ich nicht leben“, sagt ein deutscher Professor, der aus Anlass der Eröffnung des Deutschen Studienzentrums in Peking mitgereist ist, das unter der Federführung der Freien Universität Berlin seine Arbeit aufgenommen hat. Er wird es nicht mehr müssen mit seinen 60 Jahren, aber vielleicht seine Schüler, wenn sie in Deutschland keine Arbeit finden. Die „Beida“, die Spitzenuniversität Pekings, hat zahlreiche neue Gebäude bekommen. 2008 kommt ein Tischtenniszentrum dazu: Die „Beida“ erwartet Goldmedaillen von ihren Studierenden. Das Klima der Diskussionen ist offen, die Gastfreundschaft eindrucksvoll. Wie schäbig dagegen unsere Möglichkeiten, wenn wir uns an die vorgeschriebenen Regeln einer Landeshaushaltsordnung halten.

Apropos Haushalt: Das Budget der „Beida“ ist bei ähnlicher Größe der Universität vier Mal so hoch wie das der Berliner Universitäten. Und: China praktiziert BA-MA-PhD und erwartet dieses auch von deutschen Universitäten, wenn sie chinesische Studenten haben wollen, und: Sie werden es wollen. Aber: Der BA ist nicht wie in Deutschland eine dreijährige Discountausbildung, sondern, wie international üblich, vierjährig. – Keine Chance für deutsche BA-Absolventen, mit so einem Ausbildungstorso auf den internationalen Markt zu kommen.

Hausaufgabe für Deutschland:

Die deutsche Version der europäischen Studiengänge nachjustieren und den Spar-Gedanken aus der Erstausbildung verbannen.

Es ließe sich so weitermachen: Sydney, Katmandu, Singapore – der Globus hat sich weitergedreht. Deutschland hat sich hochgeschwungen, irgendwann einmal. Es wird Zeit, aus der Stratosphäre wieder einzutauchen und zu schauen, wie oft die Erde sich inzwischen gedreht hat. Man kann das alles auch ganz einfach sagen: Mehr Geld und mehr Autonomie.

Im Rahmen der dritten Förderlinie des Exzellenzwettbewerbs ist die Freie Universität Berlin mit einem Antrag für ein Zentrum für internationalen Austausch dabei. Es soll an den wissenschaftlich bedeutsamen Orten der Welt Zweigstellen unterhalten für den wissenschaftlichen Austausch, Konferenzen, Braingaining bei Studierenden wie bei Professoren.

Von Dieter Lenzen