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Von der International Space Station zur MIR

DER OTTO-KLUNG-WEBERBANK-PREIS: Für herausragende deutsche Wissenschaftler

Physiknobelpreisträger Theodor W. Hänsch über den Wissenschaftsstandort Deutschland

Prof. Dr. Theodor W. Hänsch, der am 10. Dezember mit dem diesjährigen Physiknobelpreis ausgezeichnet wird, hielt anlässlich der Verleihung des Otto-‍Klung-‍Weberbank-‍Preises 2005 die Laudatio auf den Preisträger und seinen Schüler Markus Greiner. Im Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Lenzen, dem Präsidenten der Freien Universität Berlin, und Prof. Dr. Günter Kaindl, dem Vorsitzenden der Auswahlkommission für den Otto-Klung-Weberbank-Preis für Physik, unterhielt sich Theodor W. Hänsch anschließend unter anderem über den Wissenschaftsstandort Deutschland und den Unterschied zwischen deutschen Hochschulen und amerikanischen Spitzenuniversitäten. Das Gespräch dokumentierte Ilka Seer.

 

Theodor W. Hänsch
Theodor W. Hänsch beim Justieren von Diodenlasern. Mit diesen Geräten ist es seinem Kollegen Kai Dieckmann und seinen Doktoranden Matthias Taglieber und Arne Voigt gelungen, in einer magnetooptischen Falle gleich drei verschiedene Atomsorten gleichzeitig zu kühlen und einzufangen, darunter die Fermionen Lithium 6 und Kalium 40. Ein Ziel ist die Bose-Einstein-Kondensation von Molekülen aus zwei verschiedenen Atomen.
Foto: LMU München, Friedrich Schmid

Dieter Lenzen: Herr Hänsch, Sie haben 1979 selbst den Otto-Klung-Preis an der Freien Universität erhalten und bekommen jetzt den Nobelpreis. Wie bekannt ist eigentlich der Otto-Klung-Weberbank-Preis bei deutschen Wissenschaftlern?

Theodor Hänsch: Der Preis hat einen hohen Stellenwert. Zum einen wegen der illustren Leute, die ihn bislang erhalten haben – immerhin sind es jetzt schon fünf Wissenschaftler, die zuerst den Otto-Klung-Preis und später den Nobelpreis bekommen haben. Zum anderen wegen der Höhe des Preisgeldes, das jetzt ja 50.000 Euro beträgt.


Dieter Lenzen:
Wie wirkt sich der Nobelpreis auf Sie und Ihren Alltag aus?

Theodor Hänsch: Seitdem bekannt ist, dass ich den Nobelpreis bekomme, habe ich viel mehr Anfragen von den Medien, und es häufen sich die lukrativen Angebote ausländischer Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ich überlege ernsthaft, ob ich eines davon annehmen soll, denn ich werde im nächsten Jahr 65.


Dieter Lenzen:
Und dann droht Ihnen die Pensionierung. Wie beurteilen Sie denn das Thema Altersgrenze von erfolgreichen Wissenschaftlern: Ist eine Altersgrenze überhaupt sinnvoll?

Theodor Hänsch: Volkswirtschaftlich betrachtet ist das unsinnig. Es wird ständig darüber gesprochen, dass die Rentensysteme nicht überleben können, wenn wir nicht das Renteneintrittsalter erhöhen. Aber die Hochschullehrer, die wirklich länger arbeiten wollen, dürfen nicht.


Dieter Lenzen:
Ist das in Amerika anders?

Theodor Hänsch: Oh ja, ich schaue neidisch auf meine amerikanischen Kollegen, die bis in ihre 70er, 80er Jahre hinein aktiv sind. Roy Glauber zum Beispiel, der jetzt auch den Nobelpreis bekommt, ist mit 80 noch an der Harvard University im Amt und hält Vorlesungen. Und ein anderer amerikanischer Kollege, Charly Townes, ist gerade 90 geworden, experimentiert immer noch und publiziert mit jungen Studenten gemeinsam Fachartikel. Das ist toll, denn gerade die Symbiose zwischen erfahrenen Professoren und jungen begeisterungsfähigen Studenten kann doch viel bewegen.

Günter Kaindl: Stimmt, das sieht man ja auch bei Ihnen und unserem Preisträger Markus Greiner. Den haben Sie in seiner jungen Karriere an der Ludwig-Maximilians-Universität München begleitet und inspiriert.


Dieter Lenzen:
Und nun ist er seit einem halben Jahr an der Harvard University. Wir freuen uns natürlich, wenn junge deutsche Talente an amerikanischen Spitzenuniversitäten erfolgreich sind. Aber dennoch: Was müssen wir tun, um sie wieder nach Deutschland zurückzuholen?

Theodor Hänsch: Wir müssen konkurrenzfähige Bedingungen schaffen. Manchmal gelingt das sogar: Immanuel Bloch zum Beispiel, ein anderer Schüler von mir, hatte Rufe nach Yale und Stanford und ist trotzdem an die Universität Mainz gegangen.


Dieter Lenzen:
Was macht uns denn konkurrenzfähig?

Theodor Hänsch: Die Ausstattungen der Labore. Die kann bei uns besser sein als an amerikanischen Universitäten. Hier haben die Professoren nicht nur wissenschaftliche Assistenten, sondern auch Werkstätten mit den entsprechenden Technikern. So etwas kennt man in Amerika kaum.


Dieter Lenzen:
Das ist ja interessant. Ich dachte immer, dass auch die Laborausstattung bei den amerikanischen Spitzenuniversitäten wesentlich besser sei als bei uns.

Theodor Hänsch: Nein, das ist nicht immer der Fall. Als Markus Greiner zum Beispiel von München an die Universität von Colorado gegangen ist, schrieb er in einer seiner ersten E-Mails, er komme sich so vor, als sei er von der International Space Station zur MIR gekommen.


Dieter Lenzen:
Das ist ja eine schöne Metapher. Aber woran hapert es denn dann in Deutschland? Warum zieht es die deutschen Wissenschaftler immer wieder nach Amerika?

Theodor Hänsch: Das liegt sicher an dem stimulierenden intellektuellen Reizklima und der Fähigkeit der Amerikaner, sich schnell für Neues zu begeistern. Die deutschen Gehälter sind auch ein Problem. Wir sind in die Tarifstruktur des öffentlichen Dienstes eingebunden, wo die Gehälter stagnieren. Meine amerikanischen Kollegen dagegen erhalten über Jahrzehnte hinweg jedes Jahr eine sechsprozentige Gehaltserhöhung. So ist inzwischen ein großes Missverhältnis entstanden.


Dieter Lenzen:
Aber Geld kann doch nicht alles sein – vor allem nicht, wenn Sie sagen, dass unsere Infrastruktur wesentlich besser ist.

Theodor Hänsch: Den amerikanischen Spitzenunis ist es eben auch gelungen, sich selbst als Marke zu verkaufen. Allein den Namen einer solchen Spitzenuniversität in seinem Lebenslauf stehen zu haben, ist Gold wert.


Dieter Lenzen:
Sie selbst waren ja auch 16 Jahre lang an der Stanford University. Seitdem Sie zurück nach Deutschland gekommen sind, sind Sie trotz ihrer Mitgliedschaft in der Max-Planck-Gesellschaft fest in die Ludwig-Maximilians-Universität integriert, mit der uns ja eine freundschaftliche Allianz verbindet. Hat sich die Doppelmitgliedschaft bewährt?

Theodor Hänsch: Mein Kollege Herbert Walther und ich, wir sind beide hauptamtlich Professoren an der LMU und nebenamtlich Direktoren am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Das funktioniert sehr gut, weil wir die Vorteile beider Welten miteinander kombinieren können: Am MPI genießen wir eine sehr gute Infrastruktur mit hervorragend ausgestatteten Laboren, und die Uni hat den Vorteil, dass wir dort den Zugang zu begeisterungsfähigen jungen Leuten haben.


Dieter Lenzen:
Was raten Sie denn einem Universitätspräsidenten an seiner Hochschule zu tun, um die Naturwissenschaften aufzurüsten und noch weiter nach vorne zu kommen?

Theodor Hänsch: Fakt ist, dass Spitzenleute weitere Spitzenleute anziehen. Gute Köpfe sind wichtiger als das Fachgebiet, das sie abdecken. Ich glaube, dass die teuersten Berufungen diejenigen sind, bei denen man an der Qualität spart.

Günter Kaindl: Also, wenn ich mich da einmischen darf: Ich würde dem Universitätspräsidenten empfehlen, die Berufungskommissionen mit mindestens einem, vielleicht zwei externen höchstrangigen Wissenschaftlern zu besetzen. So können nämlich irgendwelche Seilschaften sofort von den Externen zerstört werden, wenn die Auserwählten nicht wirklich passen.


Dieter Lenzen:
Das stimmt. Das erwarten wir auch von unseren Fachbereichen. Herr Hänsch, wie beurteilen Sie eigentlich die deutsche Physik im internationalen Vergleich?

Theodor Hänsch: Auf jeden Fall können wir bei der Grundlagenforschung mitreden.


Dieter Lenzen:
Gibt es innerhalb der Physik Fachrichtungen, wo Sie sagen würden, da ist Deutschland besonders gut, darauf müssen wir uns weiter konzentrieren?

Theodor Hänsch: Meine prophetische Gabe ist sehr begrenzt. Wir sind aber nachgewiesenermaßen stark auf den Gebieten der Laserphysik, der Atomphysik, der Quantenoptik, der Festkörperphysik...

Günter Kaindl: ...und in der Synchrotronstrahlungsphysik, der Neutronenstreuung, der Nanotechnologie und der Schwerionenforschung.


Dieter Lenzen:
Es ist relativ schwer, junge Leute für die Naturwissenschaften zu begeistern. Wie können wir mehr Jugendliche, auch Mädchen, dazu bringen, sich für die Naturwissenschaften zu interessieren?

Theodor Hänsch: Wir müssen die natürliche Neugierde und Begeisterungsfähigkeit der Kinder wecken und sie nicht gleich zu Anfang mit komplizierten Formeln abschrecken. Im Vergleich zu Amerika aber ist hierzulande das Interesse an Physik viel größer. Auch das Potenzial ist größer: Hier gibt es viel mehr Uniabsolventen in der Physik, und, wie wir wissen, werden viele ihnen von amerikanischen Universitäten abgeworben.

Günter Kaindl: Zumindest was die Physik angeht, sind die deutschen Universitäten sind in der Physik viel besser als ihr internationales Ansehen. Wie schafft man es, ein deutsches Harvard, Berkeley oder MIT heranzubilden?

Theodor Hänsch: Wenn man es erst einmal will, muss man versuchen, die Weichen so zu stellen, dass das überhaupt möglich ist. Bei uns ist das gesellschaftliche Umfeld ganz anders: Wir haben nicht die großen Mäzene, die bereit sind, riesige Summen für ihre Universitäten zu geben. So etwas wächst nur über Jahrzehnte. Zumindest kann man aber versuchen, alle erkennbaren Hindernisse aus dem Weg zu räumen, so dass überhaupt die Möglichkeit besteht, das Ziel zu erreichen.


Dieter Lenzen:
Wie beurteilen Sie denn die Physik an der Freien Universität?

Theodor Hänsch: Ich weiß, dass die Berliner Universitäten mit sehr großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Aber ich weiß auch, dass es eine ganze Reihe hervorragender Physiker hier gibt, vor denen ich großen Respekt habe.


Dieter Lenzen:
Ich glaube, Ihnen gebührt mehr Respekt vor dem, was Sie geleistet und wofür Sie den diesjährigen Nobelpreis für Physik erhalten werden. Worum geht es da eigentlich genau?

Theodor Hänsch: Um den so genannten optischen Frequenzkamm. Eine Erfindung, mit der man extrem genaue Messungen machen kann: von Frequenzen, von Zeiten und auch von Längen. Das ist praktisch das präziseste Messgerät, das man bisher erfunden hat. In der Grundlagenforschung bedeutet dies, dass man vielleicht die Grenzen unseres Verständnisses der Relativitätstheorie aufzeigen kann und beispielsweise untersuchen kann, ob sich die Naturkonstanten langsam ändern. Und was die technische Anwendung betrifft, glauben wir, dass man genauere Satellitennavigationssysteme und bessere Telekommunikationssysteme schaffen kann.


Günter Kaindl:
Herr Hänsch, mit Ihrer Erfindung haben Sie ja die Frequenz- und Zeitmessung auf eine Genauigkeit von 10-15 revolutioniert. Das heißt, dass Sie die Frequenz des Laserlichts bis zur 15. Stelle hinter dem Komma genau messen können. Bei einer Zeitspanne von 2000 Jahren, also von Christi Geburt bis heute, betrüge bei dieser Messgenauigkeit der Fehler demnach gerade mal den zehntausendstel Teil einer Sekunde. Darf ich noch eine weitere Frage stellen, die mit der von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagten Frequenzverschiebung von Licht im Gravitationsfeld zum Beispiel der Sonne oder der Erde zusammenhängt: In Potsdam wurde vor mehr als 80 Jahren auf dem Telegraphenberg der Einstein-Turm gebaut, um die erwartete Rotverschiebung von Spektrallinien, die von Atomen auf der Sonnenoberfläche ausgesandt werden, zu messen. Wie man bald erkannte, funktioniert das nicht, weil die Spektrallinien aufgrund des Dopplereffekts und der turbulenten Bewegungen der Atome auf der Sonnenoberfläche stark verbreitet sind. Kann man mit Ihrer extrem genauen Frequenzmessung von derzeit 10-15 bereits heute diese Gravitationsverschiebung im Schwerefeld der Erde optisch messen? Bisher konnte man diesen Effekt ja nur relativ ungenau mit dem Mössbauereffekt oder mit Satellitenexperimenten beobachten.

Theodor Hänsch: Ja, die Hoffnung ist, dass man in Zukunft sogar Uhren bauen kann, mit denen man die Zeit auf 10-18 genau messen kann. Dann muss man tatsächlich, wenn man die Zeit angibt, auch noch die Höhe der Uhr angeben, weil ein Höhenunterschied von einem Zentimeter bereits einen Gangunterschied von 10-18 bewirken würde. Damit ließe sich die Gravitationsverschiebung so genau messen, dass man nachschauen könnte, ob es vielleicht Abweichungen von den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie gibt.


Dieter Lenzen:
Herr Hänsch, Sie haben ja auch eine eigene Firma. Was produzieren Sie da?

Theodor Hänsch: Eben dieses Messgerät, den optischen Frequenzkamm-Generator. Das ist ein kleiner Apparat, der kaum größer ist als ein Schuhkarton. Früher brauchte man für die Messung der Frequenz von Licht noch ganze Fabrikhallen voller Laser. Wir fertigen diese Instrumente in kleiner Stückzahl an, einzeln, sozusagen in Handarbeit – wie das früher Ernst Abbé in Jena bei seinen ersten Mikroskopen tat.


Günter Kaindl:
Eine Frage zum Freien-Elektronen-Laser, einem Großgerät, mit dem man Laser im Bereich der weichen und sogar harten Röntgenstrahlung verwirklichen kann. In Hamburg bei DESY nimmt das erste Gerät dieser Art gerade den Messbetrieb auf, und in Berlin gibt es bei BESSY in Adlershof ein viel versprechendes Projekt zum Bau eines Freien-Elektronen-Lasers der zweiten Generation, also eines FEL mit stark verbesserter Zeitstruktur, um ultrakurze Prozesse mit weicher Röntgenstrahlung verfolgen zu können. Wie beurteilen Sie das wissenschaftliche Potenzial dieser Erweiterung des spektralen Bereichs der bisherigen optischen Laser in den Bereich der Röntgenstrahlung?

Theodor Hänsch: Ich finde das spannend. Man hat ein Werkzeug, mit dem man ganz neue Untersuchungen vornehmen kann – unter Bedingungen, die bisher nicht verfügbar waren. Ich erwarte, dass damit aufregende Entdeckungen gemacht werden.


Ilka Seer:
Herr Hänsch, welche Tipps würden Sie jungen Physikern mit auf den Weg geben: Wie wird man Nobelpreisträger?

Theodor Hänsch: Ich würde sagen: Macht das, woran Ihr Spaß habt und nicht nur, was der Professor Euch sagt. Vor allem bei der Diplom- oder Doktorarbeit. Denn nur wenn man Freude bei der Arbeit hat, bringt man auch entsprechende Leistungen. Und wenn am Ende etwas Schönes rauskommt, freut sich auch der Professor.


Dieter Lenzen:
Lieber Herr Hänsch, herzlichen Dank für dieses Gespräch und alles Gute für Ihre Zukunft.