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Der Physiker Markus Greiner erhält den Otto-Klung-Weberbank-Preis 2005

DER OTTO-KLUNG-WEBERBANK-PREIS: Für herausragende deutsche Wissenschaftler

Physikalische Tanzformationen

Fest, flüssig, gasförmig. Das sind wohl die bekanntesten Zustände der Materie. Sie reichen aus, um die alltägliche Umwelt zu beschreiben. Doch Physikern genügt das nicht. Sie suchen unermüdlich weiter nach neuen Zuständen. Auch Prof. Dr. Markus Greiner hat einen neuen Zustand gesucht – und gefunden. Er hat sogar zwei neue gefunden: den Mott-Isolator-Zustand in einem Bose-Einstein-Kondensat, bei dem sich Atome in einem räumlichen optischen Gitter befinden, und das Fermikondensat, das nur dann entsteht, wenn sich zwei fermionische Atome zu Paaren zusammenschließen und gemeinsam kondensieren.

Unter anderem für diese Entdeckungen hat der 32-Jährige am 4. November den mit 50 000 Euro dotierten Otto-Klung-Weberbank-Preis für Physik 2005 erhalten. Markus Greiner hat bei Theodor W. Hänsch, dem diesjährigen Physiknobelpreisträger, an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert. Hänsch hatte 1979 selbst den Otto-Klung-Preis an der Freien Universität Berlin erhalten.

Greiners Welt ist die Welt der Atome, vor allem die der ultrakalten. Wenn ein Gas aus bosonischen Atomen auf wenige Milliardstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt, bei minus 273 Grad Celsius, abgekühlt wird, entfaltet die Quantenphysik ihre volle Wirkung und das Atomensemble kann seltsame Eigenschaften annehmen: Die Atome, die normalerweise chaotisch umherschwirren, formieren sich in einer Choreografie und tanzen im Gleichtakt. Sie bilden, wie beim Paartanz, ein harmonisches Ganzes – physikalisch gesprochen ein „kohärentes Superatom“, das so genannte Bose-Einstein-Kondensat.

Bose-Einstein-Kondensate atomarer Gase wurden erst 1995 entdeckt, doch schon 1924/25 hatten der indische Physiker Satyendra Nath Bose und Albert Einstein diesen Zustand vorhergesagt. Er besteht aus extrem kalten, also sehr langsamen bosonischenTeilchen, den Bosonen, die sich in diesem Zustand auf eine bizarre Art absolut gleich verhalten. In unserer Welt gibt es aber außer Bosonen noch eine zweite Art von Teilchen, die Fermionen. „Bosonen sind Nachahmer und tun gern das Gleiche wie alle anderen“, erklärt Greiner. „Fermionen hingegen sind von Natur aus unabhängige Geister und tun das nie.“ Eigentlich nie, müsste man sagen. Denn es ist dem gebürtigen Hannoveraner gelungen, sie in einen Gleichklang zu zwingen. Als Paare können sie sich nämlich wie Bosonen verhalten und damit einen neuen Materiezustand formen. „Man kann sich das Ganze vorstellen wie Tänzer bei heißer Musik“, meint der Physikprofessor, der seit drei Monaten in Harvard lehrt und dort eine eigene Arbeitsgruppe aufbaut. „Man erkennt die Paare nur, wenn man genau hinschaut, am Augenkontakt und an der Körpersprache. Ähnlich wie langsame Musik dafür sorgt, dass Tänzer sich aneinander schmiegen.“ Mit dieser physikalischen Choreografie ist es dem Atomphysiker Greiner gelungen, ein fermionisches Kondensat ultrakalter Atome zu erzeugen, eine neue Art von Materie. Obwohl dieses fermionische Kondensat mit einem Bose-Einstein-Kondensat und mit einem Supraleiter verwandt ist, ist es keines von beiden. „Wenn wir wüssten, wie fermionische Kondensate genau aussehen, könnten wir daraus vielleicht schließen, wie Supraleiter beschaffen sein müssen, damit sie schon bei Zimmertemperatur den Strom widerstandslos leiten“, erläutert Greiner. „Das wäre eine gigantische Erfindung, die die Technik revolutionieren könnte.“

Revolutionär ist auch der zweite Materiezustand, den Greiner mit seinem Team gefunden hat: Mit Hilfe eines räumlichen optischen Gitters, das durch sechs Laser erzeugt wird, überführten sie ein superflüssiges Bose-Einstein-Kondensat in den Mott-Isolator-Zustand und wieder zurück. Im superflüssigen Zustand formen die Atome eine makroskopische Materiewelle, im Mott-Isolator-Zustand hingegen bilden sie ein regelmäßiges Teilchengitter. Dieses Phänomen hatte der britische Physiker Sir Neville Mott bereits 1974 für Festkörper vorhergesagt und dafür 1977 den Nobelpreis erhalten. In der superflüssigen Phase erstreckt sich jedes einzelne Atom über das gesamte Gitter. Völlig ungestört verteilen sich die identischen Atome dann über ein begrenztes Gebiet – so, als würden sich Eier in einem Eierkarton pausenlos hin und her bewegen. Für Wissenschaftler ist es dadurch nahezu unmöglich, zu messen, an welchem Ort sich die Atome im superflüssigen Zustand gerade befinden. Mit den sechs Lasern können die Forscher Ordnung in dieses Chaos bringen und den Mott-Isolator-Zustand erzeugen, bei dem jedes einzelne Atom von seinen Nachbaratomen getrennt und exakt lokalisiert ist – jedes Ei befindet sich also im Eierkarton auf seinem Platz. So können die Forscher auf Knopfdruck die weit ausgedehnten Atome im superflüssigen Zustand beliebig in ein enges Korsett aus Energietrögen im Mott-Isolator-Zustand zwängen und von einander isolieren.

„Durch die Realisierung des Mott-Isolator-Zustands in einem Bose-Einstein-Kondensat können fundamentale Fragen aus der Festkörperphysik, der Quantenoptik und der Atomphysik studiert werden, wodurch auch völlig neue Perspektiven für die Realisierung eines Quantencomputers eröffnet werden“, erklärt Günter Kaindl, Professor für Experimentalphysik an der Freien Universität Berlin und Vorsitzender der Physik-Auswahlkommission für den Otto-Klung-Weberbank-Preis. „Die technische Realisierung eines solchen Computers dauert wohl noch zehn bis zwanzig Jahre", schätzt Kaindl. Dann allerdings könnte dieser neuartige Computertyp Aufgaben lösen, die von herkömmlichen Rechnern buchstäblich in Millionen von Jahren nicht bewältigt werden können. Anders als die bisherigen Rechner können Quantencomputer auch Überlagerungen von Quantenzuständen erfassen und verarbeiten, was die Computer für ganz neue Aufgaben zugänglich machen würde.

DER PREIS

Der Otto-Klung-Weberbank-Preis wird im jährlichen Wechsel für Physik und Chemie an herausragende deutsche Wissenschaftler verliehen, die jünger als 40 Jahre alt sind. Seit 2001 geschieht das in Kooperation zwischen der Otto-Klung-Stiftung an der Freien Universität Berlin und der Fördergesellschaft der Weberbank. Der Preis ist – dank eines privaten Stifters, der das bisherige Preisgeld verdoppelt hat – ab diesem Jahr mit 50 000 Euro dotiert und soll die Wissenschaftler in ihrer Arbeit bestärken. Alle bisherigen Otto-KlungPreisträger sind heute in wichtigen wissenschaftlichen Positionen anzutreffen.

Viele haben weitere renommierte Wissenschaftspreise gewonnen, fünf von ihnen den Nobelpreis.

Weitere Informationen unter: www.otto-klung-weberbank-preis.de

Von Ilka Seer