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Mehr Autonomie und Freiheit

Wettbewerb zwischen den Hochschulen steigert die Produktivität

Deutschland braucht mehr qualifizierte Arbeitskräfte. Ein Hochschulstudium schützt noch immer am besten vor Arbeitslosigkeit. Doch die Universitäten können schon jetzt den starken Anstieg der Studierendenzahlen nicht verkraften. Der Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München und Finanzwissenschaftler meint: Das Leitbild „Unternehmen Universität“ führt in die Irre.

Deutschland leidet seit Jahren unter einer anhaltenden Wachstumsschwäche; gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit erschreckend hoch und die Lage der öffentlichen Haushalte extrem prekär. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits leidet die deutsche Wirtschaft noch immer an den ökonomischen Folgen der Wiedervereinigung, andererseits hat es Deutschland unterlassen, durch Reformen rechtzeitig seinen Arbeitsmarkt und seine Sozialsysteme auf die Bedingungen einer zunehmend globalisierten Wirtschaft einzustellen. Die neunziger Jahre wurden so für Deutschland zum verlorenen Jahrzehnt, und erst in den letzten drei Jahren wurden erste Reformen eingeleitet, deren Wirkungen sich aber nur langsam einstellen werden und im übrigen durch weitere Reformschritte ergänzt werden müssen.

Besonders bedrückend ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Es sind vor allem gering qualifizierte Arbeitskräfte, die die Arbeitslosigkeit mit voller Wucht trifft. Nahezu jede dritte Erwerbsperson ohne Schul- oder Berufsabschluss ist arbeitslos; mit zunehmender Qualifikation geht dagegen das Risiko der Arbeitslosigkeit deutlich zurück. Den Unkenrufen zum Trotz bestätigen alle Daten, dass ein Hochschulstudium noch immer den besten Schutz gegen Arbeitslosigkeit bietet. In anderen Ländern, deren Lohnsysteme flexibler sind als das deutsche, beobachtet man eine ständig wachsende Kluft zwischen der Entlohnung von qualifizierten und nicht qualifizierten Arbeitnehmern. Die Prämie, die der Arbeitsmarkt für Qualifikation zahlt, hat also zugenommen. Dahinter steht der ökonomische Trend, dass in modernen Volkswirtschaften die Nachfrage nach qualifizierten Tätigkeiten zunimmt, während im Verhältnis dazu die nach gering qualifizierter Arbeit zurückgeht.

Die Vermittlung zusätzlicher Qualifikationen und Investitionen in Bildung sind somit ein Weg, neue Beschäftigungschancen zu eröffnen und die Arbeitslosigkeit zu senken. In Deutschland wird diese Möglichkeit aber viel zu wenig genutzt. Viele junge Menschen erreichen ein Qualifikationsniveau, mit dem sie unterhalb ihres Entwicklungspotenzials bleiben. Das Beispiel der Hochschulen macht dies deutlich: Während in anderen Ländern der Anteil eines Jahrgangs, der die Berechtigung für ein Hochschulstudium hat, zwischen 50 und 90 Prozent liegt, beläuft er sich in Deutschland gerade einmal auf 40 Prozent. Dementsprechend niedrig ist auch die Zahl der Hochschulabsolventen: Erreicht in Deutschland nur etwa jeder Fünfte eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss, ist es im internationalen Vergleich jeder Dritte.

Es gelingt in Deutschland also nicht, die Qualifikationspotenziale vollständig zu mobilisieren und damit die Chancen für zusätzliche Beschäftigung zu nutzen. Dafür ist sicherlich das sozial selektive Bildungssystem in Deutschland verantwortlich. Aber das deutsche Bildungssystem ist auch insgesamt schlecht gerüstet, um eine stärkere Mobilisierung der Qualifikationspotenziale leisten zu können. Im internationalen Vergleich gibt Deutschland sehr wenig Geld für Bildung aus. Die Hochschulen sind schon jetzt nicht in der Lage, den vor allem demografisch bedingten Anstieg der Studierendenzahlen in den nächsten Jahren zu verkraften. Es wäre gegenwärtig utopisch, darüber hinaus noch mehr junge Menschen eines Jahrgangs an die Hochschulen zu holen. Will man die vorhandenen Qualifikationspotenziale stärker nutzen, müssen Staat und Gesellschaft bereit sein, verstärkt in das Bildungs- und Hochschulsystem zu investieren. Die jüngste Forderung der Hochschulrektorenkonferenz nach einem Hochschulpakt, der zusätzliche Mittel für die Hochschulen bereitstellt, ist deswegen nur allzu berechtigt.

Die Politik in Deutschland ist aber bisher einen anderen Weg gegangen. Sie hat sich an der Vorstellung orientiert, dass im Hochschul- und Bildungssystem Produktivitätsreserven vorhanden sind, durch die sich die gleiche Leistung mit weniger Ressourcen oder eine größere Leistung mit den gleichen Ressourcen erbringen lässt. Um solche Effizienzreserven zu heben, hat die Politik vor allem auf organisatorische Reformen gesetzt. Eine Zeit lang ist das Modell der Stiftungsuniversität propagiert worden. In jüngster Zeit soll die Idee „Unternehmen Universität“ als neues Leitbild dienen. Der Erfolg dieser Reformen fiel aber bisher bescheiden aus, vor allem weil bei realistischer Betrachtung auch größere Produktivitätsgewinne nicht ausreichen, um die chronische Unterfinanzierung des Hochschul- und Bildungssystems auszugleichen. Zudem führen viele der neuen Leitbilder für die Hochschulen in die Irre. Universitäten waren und sind keine Unternehmen. Sie unterscheiden sich von Unternehmen schon dadurch, dass Hochschulen keine Gewinne erzielen, sondern möglichst exzellente Wissenschaft betreiben wollen. Deswegen kommen auch viele Organisationsformen von Unternehmen für die Hochschulen nicht in Frage: Hochschulen brauchen eine offene, hierarchiefreie Struktur, um optimale Voraussetzungen für Kreativität und Innovationen zu schaffen; Organisationsstrukturen, wie sie bei Unternehmen sinnvoll sind, sind dementsprechend ungeeignet.

Eines kann man allerdings von der Wirtschaft lernen: Wettbewerb zwischen Hochschulen steigert auf Dauer die Produktivität und die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit. Dazu braucht es jedoch weniger neue Organisationsmodelle, sondern vor allem mehr Autonomie und Freiheit für die Hochschulen. Auch das ändert aber nichts daran, dass die Chancen, die verbesserte Qualifikationen jungen Menschen eröffnen, nur genutzt werden können, wenn unsere Gesellschaft bereit ist, auf Dauer mehr Ressourcen für Bildung und Wissenschaft bereitzustellen.

Von Bernd Huber

ZUR PERSON

Der Finanzwissenschaftler Bernd Huber

Bernd Huber, geboren 1960 in Wuppertal, ist Professor für Finanzwissenschaft und seit Oktober 2002 Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Nach dem Abitur 1979 studierte er Volkswirtschaftslehre an der Universität Gießen und schloss im Jahr 1984 mit dem Diplom ab. 1988 folgte die Promotion an der Universität Würzburg und 1994 die Habilitation. Auf den Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der LMU wurde Huber 1994 im Alter von 34 Jahren berufen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Staatsverschuldung und der Steuerpolitik. Er ist stellvertretender Vorsitzender im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen. Die finanzielle Situation der Münchener Universität ist eines der wichtigen Themen für LMU-Rektor Huber. In den Beginn seiner Amtszeit fielen die massiven Kürzungen des Hochschuletats in Bayern. Der von Bernd Huber eingeleitete Umbau soll die LMU in die Lage versetzen, auch mit knapperen Ressourcen eine international wettbewerbsfähige Hochschule zu bleiben. Neben der Konzentration auf die starken Schwerpunkte der LMU setzt dieses Zukunftskonzept auf die Bündelung und die interdisziplinäre Vernetzung der Fachbereiche. Auch das Einwerben von Mitteln aus der Wirtschaft gehört dazu. Dagegen hält Huber wenig davon, mit Hilfe von Studiengebühren die Finanzkrise der Universitäten zu lösen, weil die Lastenverteilung von Alt zu Jung dadurch noch mehr zunehme und außerdem die Gefahr bestehe, dass das Bildungssystem in Deutschland noch selektiver wird.

Um für die Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft gut aufgestellt zu sein, haben die LMU München und die Freie Universität Berlin 2004 eine strategische Partnerschaft vereinbart. Sie haben mit dieser Allianz eine intensive Zusammenarbeit in zahlreichen Bereichen der Universitätssteuerung und der akademischen Arbeit in Forschung und Lehre begründet. „Berlin und München bilden die beiden entscheidenden deutschen Forschungscluster“, erklärt Rektor Huber. „Nur durch solche Kooperationen wird sich der Wissenschaftsstandort Deutschland auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb behaupten können.“