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Die stille Post schweigt nie

Funknetzfirma ScatterWeb GmbH gewinnt den Innovationspreis 2005

Ob Erdbeben, Brand oder Grubenunfall. Die Zeit drängt. Feuerwehrleute dringen in die zerstörten und vom Einsturz gefährdeten Gebäude ein und suchen in den Trümmern nach Lebenszeichen, auch wenn sie damit ihr eigenes Leben riskieren. „Am besten wäre es, wenn bei solchen Rettungseinsätzen nicht noch mehr Menschen in Gefahr kämen“, sagt Jochen Schiller, Informatik-Professor an der Freien Universität Berlin. Dieser Wunsch könnte bald in Erfüllung gehen: Denn mit seinem Team hat er ein Funknetz entwickelt, mit dem einzelne Sensoren verschiedene Daten aufzeichnen und an Nachbarsensoren weiterleiten. Anstelle von Feuerwehrmännern und anderen Rettungskräften könnten künftig also flexible und robuste Minisensoren, die mit Bewegungsmeldern ausgestattet sind, nach Menschenleben suchen.

Um das Funksystem zu produzieren und zu vertreiben, haben drei Informatiker aus der Arbeitsgruppe von Jochen Schiller gemeinsam mit dem Berliner IT-Unternehmen Condat AG im Januar 2005 die ScatterWeb GmbH gegründet. Für die Produktidee und das neue Verfahren hat das junge Start-up-Unternehmen den diesjährigen Innovationspreis Berlin/Brandenburg bekommen. Am 25. November 2005 haben der Berliner Staatssekretär für Wirtschaft, Volkmar Strauch, und der brandenburgische Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns insgesamt vier Firmen aus der Region mit dem Preis ausgezeichnet. Er ist mit 10 000 Euro dotiert. „Der Preis bestärkt uns, die Firma weiter auszubauen“, sagt ScatterWeb-Geschäftsführer Hartmut Ritter. „Denn wir planen, in den nächsten drei Jahren 30 neue Mitarbeiter einzustellen.“ Nach seinem Elektrotechnik-Studium in Karlsruhe promovierte Ritter in Informatik und kam 2002 an die Freie Universität Berlin. Hier hat er ScatterWeb mit entwickelt.

ScatterWeb, was so viel bedeutet wie „zerstreuendes Netz“, funktioniert nach dem Prinzip der Stillen Post: Einzelne Kommunikatoren, die Sensoren, leiten eine bestimmte Information an ihre Nachbarn weiter, bis sie schließlich zu einem Gateway gelangt, das die Nachricht über eine Schnittstelle verfügbar macht. „Allerdings – und das ist der große Unterschied zur ,Stillen Post‘, bei der ja immer Teilstücke einer Information verloren gehen – sind die Daten bei uns hundertprozentig sicher“, erklärt Ritter. „ScatterWeb schließt Übertragungsfehler aus, außerdem verkraftet das Funknetz auch den Ausfall einzelner Glieder in der Transportkette.“ Damit unterscheidet sich ScatterWeb von anderen Funknetzen.

„Technische Überwachungsanlagen an sich sind nichts Neues“, sagt der Informatiker Jochen Schiller. „Doch die traditionellen Systeme bringen mehrere Probleme mit sich: Sie sind unflexibel, teuer und fehleranfällig.“ Bei den meisten Systemen werden die Sensoren zum Messen der Daten über Kabel an einen Rechner angeschlossen. Vor jedem Einsatz müssen die Kabel erst verlegt werden. Bricht ein Kabel, fällt der Sensor aus. Die Folge: Der Sensor kann weder Daten messen, noch Informationen der Nachbarsensoren weiterleiten. Viele Systeme sind zudem nicht kompatibel oder das Installieren ist kompliziert und nur von Spezialisten zu meistern. „ScatterWeb dagegen kann von Laien installiert werden“, meint Technik-Experte Schiller. So könnte sich im Prinzip jeder zu Hause seine eigene Überwachungsanlage einrichten.

Überwachen kann ScatterWeb auch Notausgänge von Gebäuden, in denen es häufig zu Menschenansammlungen kommt, wie Messe- und Konzerthallen oder Fußballstadien. Dafür arbeitet ScatterWeb mit der Messe Berlin GmbH zusammen. Dort überwachen Funkknoten die Notausgänge, um im Katastrophenfall zu melden, welche Fluchtwege verfügbar sind. Durch die drahtlose Vernetzung über das gesamte Messegelände hinweg sind die Sicherheitskräfte in der Alarm- und Einsatzzentrale die ganze Zeit über den Zustand der Notausgänge informiert.

Mit einem Druckmesser ausgestattet kann ScatterWeb auch überwachen, wie voll die Sauerstoffflaschen von Feuerwehr-Einsatztruppen sind. Denn wer warnt den Feuerwehrmann vor Sauerstoffmangel und meldet, dass er umkehren muss, wenn er sich gerade in einem brennenden Haus befindet. Die Warnung übernimmt ein PC: Er sendet dem Feuerwehrmann Alarmsignale, wenn die Sensoren einen zu niedrigen Sauerstoffdruck in der Flasche messen. Die Berliner Feuerwehr hat Prototypen dieser „Alarmanlage“ bereits getestet.

ScatterWeb besteht aus einer Hard- und einer Software. Zwischen zehn und 10 000 Knoten können aneinander gehängt werden, so dass das Sensorennetz unterschiedlich engmaschig geknüpft werden kann. Jeder Knoten ist mit einem kleinen Prozessor, einem so genannten Mikrocontroller, einem oder mehreren Sensoren, einer Funkkomponente und einer Energiequelle ausgestattet. Misst ein Knoten einen Wert, so kann er ihn über seine Kurzstreckenfunktechnik an seine Nachbarn senden. Diese wiederum leiten ihn an einen Knoten weiter, der über eine Datenfunktechnik wie GPRS (General Packet Radio Service) mit dem Internet verbunden ist. Alternativ können auch Festnetze oder Satellitenfunksysteme die Daten empfangen und übertragen.

Durch die Vielfalt der verwendbaren Funktechniken ist ScatterWeb auch an Orten einsetzbar, an denen eine konventionelle Funknetzverbindung nicht immer gesichert ist. Zum Beispiel auf dem offenen Meer. Dort ist ScatterWeb heute schon auf Datenjagd. Für schwedische Meeresforscher misst das Netz an verschiedenen Stellen und in unterschiedlicher Tiefe die Wassertemperatur. „Wir haben für dieses Projekt unterschiedlich viele Sensoren aneinander gereiht und lassen sie wie Perlenketten an Bojen hängend im Wasser baumeln“, erklärt Geschäftsführer Ritter das Prinzip. Sobald die Bojen ins Wasser gelassen werden, orten sich die Sensoren automatisch per Funk. Sie sind sofort einsatzbereit und können ihre Aufgaben erledigen. Und schon beginnt der Datentransport von den „Arbeiterbojen“ bis hin zur „Königsboje“, die den Kontakt zum Festland pflegt und die Wissenschaftler mit den Messwerten beliefert. Fällt ein Knoten aus, weil er zum Beispiel nicht mehr über ausreichend Energie verfügt, ist das System in der Lage, automatisch eine alternative Route zu finden, um die Daten zu transportieren. „Dann springt einfach ein Nachbarknoten ein“, sagt Hartmut Ritter, „dessen Energiespeicher noch voll ist.“ Die Stille Post schweigt eben nie.

Weiteres im Internet: www.scatterweb.net

Von Ilka Seer