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20 Jahre deutsch-französische Hochschulkooperation tragen ihre Früchte

Berlin – Paris und zurück!

Bremsen Frankreich und Deutschland den europäischen Einigungsprozess? Diese Frage stellte Professor Alfred Grosser in seinem Festvortrag im November 2005 im Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin. Anlass war das 20-jährige Jubiläum des Studierendenaustauschs zwischen dem „Institut d'Etudes Politiques de Paris“ („Sciences Po“) und dem Otto-Suhr-Institut. In der Tat tun sich beide Länder seit geraumer Zeit sehr schwer, Lösungen für die großen Fragen der gemeinsamen europäischen Zukunft zu finden. Anders steht es um die beiden führenden politik- und sozialwissenschaftlichen Partnerinstitute in Paris und Berlin. Für die Entwicklung der internationalen Hochschulkooperation und insbesondere für die Herausbildung eines konkurrenzfähigen europäischen Bildungsraumes hat ihre Zusammenarbeit eine zukunftsweisende Rolle.

Im Rahmen des 1985 eingerichteten Studierendenaustauschs ist ein integriertes deutsch-französisches Studienprogramm entstanden, dass es den Studierenden beider Institute ermöglicht, einen doppelten deutsch-französischen Abschluss zu erwerben. Die jüngste Reform des Programms galt der Anpassung an die Herausforderungen des Bologna-Prozesses.

Die Feier zum 20-jährigen Jubiläum des Studierendenaustauschs stellte zugleich den Auftakt für das neue Programm dar. Mit Beginn des Wintersemesters 2005/06 können die Studierenden entweder den neu eingerichteten BA-Studiengang oder den reformierten Diplomstudiengang des OSI mit dem berufsorientierten Master von „Sciences Po“ verbinden. Ergänzend gibt es die Möglichkeit, im Bereich der Internationalen Beziehungen einen doppelten Masterabschluss zu absolvieren. Beide Programme werden von der Deutsch-Französischen Hochschule gefördert, die auch Stipendien für den Studienaufenthalt im Partnerland bereitstellt. „Das Studienjahr in Paris war mit Abstand mein bestes Jahr an der Uni insgesamt“, sagt Friederike Schulz. Die heutige Journalistin hat in den Jahren 1999 bis 2001 an dem Austauschprogramm teilgenommen. „Ich bin froh, beide Systeme, das deutsche und das französische, mit allen Vor- und Nachteilen kennen gelernt zu haben: in Deutschland das eher auf Eigeninitiative basierende wissenschaftliche Arbeiten – und in Frankreich die Fakten. Nicht zuletzt ist das Deutsch-Französische Diplom eine einmalige Zusatzqualifikation. Damit kann man wirklich so manchen Arbeitgeber beeindrucken.“

Die fruchtbare Ergänzung höchst unterschiedlicher Studiengänge und die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen bilden die Basis der Ausbildung. Mit dem gemeinsamen Studium von Deutschen und Franzosen in Paris und Berlin – die Studentengruppe bleibt die ganze Zeit zusammen –, gemeinsamen Seminaren, die jeweils von Dozenten beider Institute in Berlin und Paris betreut werden, und studienbegleitenden Praktika, wird der integrative Charakter des Studienangebotes unterstrichen. „Die schönste, schon fast emotionale Erinnerung für mich sind die gemeinsamen Seminare“, erzählt Chloé Aublin. „Die Diskussionen zwischen Deutschen und Franzosen über den Umgang mit der Geschichte zum Beispiel oder auch die durchaus spannungsreichen Auseinandersetzungen über Ansätze und Methoden in der Politikwissenschaft.“ Die Französin ist aus dem gleichen Jahrgang wie Friederike Schulz und arbeitet heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin im deutschen Bundestag: „In diesen Seminaren habe ich die Deutschen wirklich kennen gelernt, zugleich aber auch sehr viel über mich selbst gelernt.“ Die Wurzeln der Kooperation zwischen OSI und „Sciences Po“ reichen weit in die Geschichte zurück. Die „Ecole Libre des Sciences Politiques“, aus der „Sciences Po“ hervorgegangen ist, wurde 1872 als Reaktion auf die Niederlage Frankreichs im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 gegründet. Als Vorbild diente die damalige Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Umgekehrt stand bei der Gründung der Deutschen Hochschule für Politik, aus der das OSI hervorgegangen ist, das Vorbild der „Ecole Libre“ in Paris Pate.

Die Beziehungen zwischen „Sciences Po“ und dem Otto-Suhr-Institut sind spiegelbildlich zu der generellen Entwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit verlaufen. Nicht zufällig erfolgte die Einrichtung eines regelmäßigen und integrierten Studierendenaustauschs erst im Verlauf der 8oer Jahre, die generell durch eine neue Dynamik der deutsch-französischen und der europäischen Zusammenarbeit gekennzeichnet waren.

Auch wenn sich beide Länder und auch beide Institute immer ähnlicher werden – wichtige Unterschiede bleiben bestehen. Und so ist der Beginn des Studiums im Partnerland immer wieder mit einem kleinen Kulturschock verbunden. „Die Anpassung an das andere Studiensystem ist schwieriger als ich dachte“, sagt Lise Burgade, die in diesem Semester in Berlin mit dem Studium begonnen hat. Ihre Schwester wohnt seit Jahren in Deutschland und Lise hatte sich bereits im Rahmen des Abiturs auf die deutsche Sprache spezialisiert. Am OSI angekommen, stellt sie dennoch fest: „Die Unterschiede sind riesig. Das fängt damit an, dass man die Texte auf eine ganz andere Art lesen muss. Zunächst ist man sehr verunsichert und stellt sich selbst in Frage. Aber wenn man sich für Europa interessiert, ist es sinnvoll, eine binationale Ausbildung zu machen.“

Das Besondere an dem Qualifikationsprofil der bisher rund 350 Absolventinnen und Absolventen der Studienprogramme ist, dass sie über ein breit gefächertes Fachwissen, eine ausgeprägte interkulturelle Kompetenz und eine hohe Mobilitätsbereitschaft verfügen. Ehemalige Studenten sind nicht nur in Berlin, Paris und Brüssel, sondern auch in Moskau, New York, Islamabad, Peking, Tunis und Istanbul anzutreffen.

Die Palette der Berufsfelder, die sich ihnen eröffnet, ist breit: Sie reicht über Wirtschaft, Medien, Ministerialverwaltung und Politikberatung bis hin zur Forschung und den internationalen Organisationen. Verbunden sind sie alle in einem lebendigen Netzwerk, das sich in der regen Tätigkeit des Ehemaligenvereins widerspiegelt.

Weiteres im Internet: www.fu-berlin.de/frankreich, www.agkv.org

Von Sabine von Oppeln, verantwortliche Leiterin der integrierten Studiengänge am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft.