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Literaturwissenschaftlerin Elke Koch erhält Tiburtius-Preis für die beste Dissertation

Kein Grund zur Trauer

Trauer löste bei Elke Koch Glücksgefühle aus. Die Germanistin hat ihre Dissertation über „Trauer als Performanz von Identität – Studien zur Emotionsdarstellung in narrativen Texten um 1200“ geschrieben und wurde dafür am 14. Dezember mit dem diesjährigen Tiburtius-Preis ausgezeichnet. Damit ging der renommierte Preis für die beste Dissertation zum ersten Mal an eine Wissenschaftlerin der Freien Universität Berlin.

Das Thema „Trauer“ ist in den Literatur- und Kulturwissenschaften seit langem Forschungsgegenstand. Bisher standen jedoch meist die Formen literarischer Darstellung von Leid und Trauer der mittelalterlichen Literatur im Vordergrund. Die 35-Jährige, die seit 1999 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ arbeitet, erweiterte in ihrer Dissertation den literarischen Aspekt um ein bislang eher vernachlässigtes Gebiet – die Performanz. „Unter Performanz versteht man eigentlich ein Handeln nach Mustern, das vorgeprägt ist und sich vor Zuschauern vollzieht“, erklärt die Preisträgerin, „im Mittelpunkt stand jedoch nicht die Frage, was Trauer ist, sondern wie sich Trauer konstituiert, wie sie inszeniert wird und welche gesellschaftliche Funktion sie übernimmt.“

Grundlage der ausgezeichneten Forschungsarbeit waren die Textanalysen dreier Klassiker: des „Willehalm“ von Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aues „Erec“ und Gottfried von Straßburgs „Tristan“. Bei allen handelt es sich um Dichtungen der mittelhochdeutschen Literatur, die sich zwar inhaltlich stark unterscheiden, in denen die Trauer jedoch eine zentrale Rolle spielt. Als Untersuchungsgegenstand boten sie sich damit geradezu an: Das traurige Schicksal des Tristan legte die Frage nahe, welche Rolle die Trauer bei der Identitätsbildung des Helden spielt, und die Geschichte des Willehalm wird in der Forschung sogar als Klageschrift bezeichnet, in dem das geschilderte Leid des Krieges und die damit verbundene Trauer einen hohen Stellenwert besitzt. „Durch Trauer wird in den Texten vor allem auch das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder auch zu einzelnen Menschen ausgedrückt“, sagt Elke Koch. „Sie spielt bis heute eine wichtige Rolle und wird kollektiv mobilisiert. Das konnte man beispielsweise nach den Anschlägen vom 11. September beobachten.“ Mittelalterliche Verhaltensmuster, die sich bis in Neuzeit erhalten haben. Trauer stelle, so Koch, auch Identitäten in sozialen Beziehungen her. Diese Identität müsse allerdings ständig aufs Neue gebildet und gefestigt werden, um dadurch die Position der trauernden Person zum Ausdruck zu bringen. Nicht zu verwechseln sei dieser Identitätsbegriff allerdings mit der Individualität im heutigen Sinne.

Fünf Jahre dauerte es, bis die Dissertation fertig gestellt werden konnte. Ein recht kurzer Zeitraum, denn auf dem Weg zum „summa cum laude“ musste sie zunächst viel an theoretischer und methodischer Grundlagenforschung leisten. Entstanden ist die Dissertation im Rahmen des Teilprojekts „Emotionalität in der Literatur des Mittelalters“ des Sonderforschungsbereichs. Die Tiburtius-Preise werden jährlich von der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen (LKRP) für die besten Dissertationen und Diplomarbeiten der Berliner Hochschulen verliehen. Der Preis für die beste Dissertation ist mit 4000 Euro dotiert. „Natürlich freue ich mich sehr über den Preis. Wenn man eine solche Resonanz über die Fächergrenzen hinaus erhält, dann ist das für mich als Geisteswissenschaftlerin natürlich eine Bestätigung“, fasst die Alt-Germanistin ihr Glück zusammen. Ein Gefühl, das auch im Mittelalter bekannt gewesen sein dürfte.

Von Bernd Wannenmacher