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Eine einflussreiche Stimme

Marcel Reich-Ranicki erhielt den Ehrendoktor der Freien Universität Berlin

„Man hat mich in diesen Tagen mehrfach gefragt, was denn der Ehrendoktor der Freien Universität Berlin für mich bedeute. Meine Antwort hat die Fragenden nicht recht zufrieden gestellt und eher verwundert. Ich sagte nämlich, ich sei als Kritiker von der deutschen Kultur der Zwanziger Jahre geprägt, und somit natürlich von der Kultur Berlins. (…) Wenn ich in München oder in Zürich aufgewachsen wäre, ich wäre mit Sicherheit auch Kritiker geworden – aber ein anderer", sagte Marcel Reich-Ranicki, als er im Januar die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin erhielt.

Nachdem Reich-Ranicki wegen seiner jüdischen Herkunft 1938 nicht zum Germanistik-Studium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zugelassen worden war, ehrte ihn der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften knapp sieben Jahrzehnte später für sein Lebenswerk. Mit der Auszeichnung würdigte der Fachbereich insbesondere das langjährige Engagement des 85-Jährigen für das literarische Leben in Deutschland, das er als wortgewaltiger und streitbarer Kritiker bis heute maßgeblich bestimmt hat.

„Literaturkritiker und Literaturwissenschaftler sind einander in herzlicher Abneigung zugetan“, so definierte der Literaturprofessor Rolf-Peter Janz in seiner Laudatio die Maßstäbe und Vorlieben dieses einflussreichen Kritikers und rühmte die literarischen Qualitäten seiner Autobiografie. Autobiografisch war dann auch Reich-Ranickis Festrede „Berlin und ich“. Der „Literaturpapst“ sprach vor allem über das Berliner Theater der dreißiger Jahre: über das Deutsche Theater Heinz Hilperts und das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt unter der Leitung von Gustaf Gründgens. Beide Intendanten waren Auslöser für Reich-Ranickis lebenslange Liebesbeziehung zur deutschen Kultur. „Mich hat tatsächlich in hohem Maße das Theater der Weimarer Republik geprägt, obwohl ich in der Weimarer Republik nur eine einzige Theatervorstellung gesehen habe.“ Es war Friedrich Schillers Stück „Wilhelm Tell“ im Herbst 1932.

Marcel Reich-Ranickis Rede und die Laudatio von Rolf-Peter Janz sind im Internet abrufbar unter: www.fu-berlin.de/info/dahlemer-impulse/2006

Von Ilka Seer