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Heiner Müller-Gastprofessur für Durs Grünbein

„Durch den Kehlkopf“

Ordnungen wechseln,
Taghimmel, Moden,
Landschaften kommen und gehen
Wie Sterne und das Gerede um Nichts
Regeneriert sich im Schlaf.
Sprache ist Rache des Fleischs
Durch den Kehlkopf.

Mit seinen ersten Gedichtbänden „Grauzone morgens“ (1988) und „Schädelbasislektion“ (1991) hat der Lyriker, Prosaist und Übersetzer Durs Grünbein seine Leser als bewusst zeitgenössischer Dichter in der Tradition Arthur Rimbauds und Vladimir Majakovskijs für sich eingenommen. Der Gewinn des Büchner-Preises 1995 signalisiert die Würdigung des 1962 in Dresden Geborenen als „kulturelle Identifikationsfigur“ der Nachwendezeit. Seine Distanz zum „realen Sozialismus“ hatte er souverän als aufklärerische Skepsis den Ideologien gegenüber verallgemeinert, in einer poetischen Bildkraft, die ihn als jüngeren Bruder Hans Magnus Enzensbergers erscheinen ließ.

Seit Mitte der 90er Jahre vollzieht sich in Grünbeins Werk eine Wende zur klassischen Tradition in all ihren Zungen. „Nach den Satiren“ (1999) und „Erklärte Nacht“ (2002) heißen nun Gedichtbände, mit denen er sich kompromisslos der klassischen Tradition von Aischylos, Seneca und Juvenal sowie ihren Renaissancen über Dante bis hin zur deutschen Klassik zuwendet. Er ist damit nicht nur bei Zunftgenossen auf beißende Kritik gestoßen. Ist aus dem „Darling“ der Nachwendezeit ein klassizistischer Verräter an der Moderne geworden? Ist dieser Klassizismus ein Abschied von der Gegenwart? Grünbein bestreitet das temperamentvoll, wenn er die Zustände im Jahre 100 nach Christus in Rom mit der gegenwärtigen Situation in New York oder Berlin vergleicht. Gewiss ist, dass der Autor über seine literarischen Metamorphosen hinaus an poetischer Erfindungskraft, Formbewusstsein und analytischer Intelligenz nichts eingebüßt hat. Den Essayisten zeichnen weitläufige Bildung, wache Zeitgenossenschaft und eine große Meinungsfreudigkeit aus.

Im kommenden Sommersemester ist Durs Grünbein Heiner Müller-Professor für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin. Die Berufung als Gastprofessor ist mit dem Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung verbunden, der mit 30 000 Euro einer der höchstdotierten deutschen Literaturpreise ist. Mit dem Preis würdigt die Stiftung Schriftsteller, deren Werk einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur geleistet hat. Mit der Heiner Müller-Gastprofessur wird den Preisträgern ein Forum eröffnet, über den Kosmos ihrer poetologischen Geheimnisse öffentlich nachzudenken, und den literaturinteressierten Studierenden die Möglichkeit geboten, an diesem Denkprozess teilzuhaben. Wie Herta Müller im vergangenen Jahr wird auch Durs Grünbein eine literarische Werkstatt für studentische Autorinnen und Autoren leiten. Als erfahrener Ratgeber, Kritiker und Mentor bespricht der Literaturpreisträger ein Semester lang mit dem literarischen Nachwuchs dessen erste Manuskripte in wöchentlichen Treffen. Für einen der 15 Plätze der Werkstatt können sich Studierende aller Fächer der Berliner Universitäten bewerben.

Der Berliner Literaturpreis wird Durs Grünbein im Frühjahr 2006 im Rahmen einer Festveranstaltung verliehen.

Von Gert Mattenklott, Professor am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin und Mitglied der Jury für den Berliner Literaturpreis.

BEWERBUNGEN

Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen und 10 Seiten eigenem literarischem Text aus dem lyrischen, erzählerischen oder dramatischen Fach sind bis zum 10. April 2006 unter dem Stichwort „Heiner Müller-Professur“ an die folgende Adresse zu richten: Freie Universität Berlin, Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Herrn Prof. Dr. Gert Mattenklott, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin. Auskünfte: Regula von Schintling, Tel.: 030/838-55599 E-Mail: regulash@zedat.fu-berlin.de.