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Wertschöpfung durch Wertschätzung

Immer mehr Unternehmen in Deutschland setzen auf das Führungskonzept „Diversity Management“ aus den USA


Unter dem Einfluss von Globalisierung, demografischem Wandel und anderen Veränderungen der Gesellschaft wird die Zusammensetzung der Belegschaften in deutschen Unternehmen und Behörden immer vielfältiger: Dominierte dort noch in den 1970er Jahren der männliche deutsche Familienernährer, so wächst mittlerweile der Anteil weiblicher Beschäftigter und der von Beschäftigten mit Migrationshintergrund. Und in Folge einer dauerhaft niedrigen Geburtenrate müssen sich Unternehmen wie Behörden auf Belegschaften mit steigendem Durchschnittsalter einstellen. Was dort auf den ersten Blick Probleme bereiten könne, sei in Wirklichkeit ein gewaltiges Potenzial, meint Gertraude Krell, Professorin am Institut für Management der Freien Universität Berlin. Sie gilt hier zu Lande als Forschungs-Pionierin für eine Personalpolitik, die sich die Vielfalt der Belegschaft zu Nutze macht. „Ein gezieltes Management der Identitäten, Lebensweisen und Kulturen ist ein Wettbewerbsvorteil. Doch das haben in Deutschland bisher nur ein paar große Unternehmen erkannt“, erklärt Gertraude Krell.

In den USA ist man da deutlich weiter. Das dort unter dem Namen „Diversity Management“ etablierte Konzept zielt auf eine größtmögliche Einbeziehung der Belegschaft ab. Es werde in rund 90 Prozent der 500 führenden Unternehmen angewandt, sagt die renommierte amerikanische Diversity-Beraterin und Autorin Anita Rowe, die im März auf der Tagung „Rethinking Diversity“ an der Freien Universität Berlin einen Vortrag hielt. Für sie liegt der entscheidende Impuls bei der Verbreitung dieses Modells in den USA in den 1960er Jahren: „Die Bürgerrechtsbewegung setzte Gesetze gegen Rassendiskriminierung und gegen andere damals auch im Arbeitsleben alltägliche Formen der Ausgrenzung durch.“

Anfangs hätten sich Unternehmen in der Personalführung lediglich politisch korrekt verhalten, um nicht mit Gesetzen in Konflikt zu geraten, sagt Anita Rowe. Doch mittlerweile sähen viele Firmen das gezielte Management der Belegschaftsvielfalt als eine gewinnbringende Geschäftsstrategie an. „Kein Konzern kann es sich etwa leisten, bei der Entwicklung eines Familienautos, mit dem neue Kundenschichten erreicht werden sollen, auf die Kreativität und Erfahrungen einer Mutter zu verzichten, die in dem Unternehmen selbst arbeitet“, betont Anita Rowe. Sie berät Firmen in den USA seit fast 30 Jahren. Zu ihren Kunden gehören Konzerne wie Shell oder Boeing.

Doch wie geht man bei der Einführung von Diversity Management erfolgreich vor? Ein Patentrezept gebe es nicht, betont die Firmenberaterin. Viele Unternehmen müssten erst mit der Nase auf Probleme gestoßen werden, die ihnen durch Diversity Management erspart bleiben könnten: interne Konflikte oder der Verlust wichtiger, aber unzufriedener Mitarbeiter an die Konkurrenz. Unternehmen, die von den Vorzügen des Konzepts überzeugt seien, müssten sämtliche Strukturen überdenken, erklärt Anita Rowe. Das Vorhaben dürfe der Belegschaft nicht von oben verordnet werden, sondern müsse von allen getragen werden.

Gewinnbringend ist diese menschliche Seite des Managements nach Überzeugung von Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft nicht allein wegen der positiven Wirkung auf das Geschäft. Diversity Management wirkt auch nach innen, denn dadurch erhöht sich die Zufriedenheit der Mitarbeiter – und das steigert die Produktivität. Diese Erkenntnis macht sich die Lufthansa AG zu Nutze, die mit der Freien Universität Berlin im Bereich der Forschung über Diversity Management kooperiert: „Wir vermitteln unseren Mitarbeitern das Gefühl, dass sie so akzeptiert werden, wie sie sind. Durch solche Freiräume erreichen wir eine höhere Produktivität als in einem Klima, in dem Beschäftigte sich ständig einem Mainstream anpassen müssen“, betont Monika Rühl, Leiterin der Abteilung „Change Management und Diversity“. „Unser Ziel ist es, Wertschöpfung durch Wertschätzung zu erreichen“. Der umkämpfte Markt, in dem die Lufthansa sich behaupten müsse, mache aus einem vermeintlich weichen Thema wie Diversity Management einen handfesten Erfolgsfaktor.

Unter Wissenschaftlern ist das Konzept des Diversity Management nicht unumstritten. Einige Vertreterinnen der Frauenforschung sehen es als problematisch an, dass die Dimension „Geschlecht“ nur als ein Merkmal unter vielen anderen wie Alter, Herkunft oder Religion betrachtet wird, wenn es um Gleichberechtigung und Mitwirkung geht – und dadurch an Bedeutung verliert. Unter manchen Feministinnen wird die Diversity-Strategie auch deshalb kritisch bewertet, weil das Ziel der Chancengleichheit von Frauen und Männern vor allem mit wirtschaftlichen Argumenten begründet wird – etwa mit dem Erfolg eines Unternehmens im internationalen Wettbewerb – und nicht ausschließlich mit emanzipatorisch-politischen Erwägungen.

Die Politikwissenschaftlerin Barbara Riedmüller geht von einer wachsenden Bedeutung des Konzepts Diversity Management im Arbeitsleben aus. Die Professorin am Otto-Suhr-Institut gehört wie Gertraude Krell einer fächerübergreifenden Arbeitsgruppe der Freien Universität Berlin zum Thema Diversity an. „Auch Verwaltungen, Universitäten und andere Organisationen wie Krankenkassen werden die Vielfalt ihrer Mitarbeiter in Zukunft stärker nutzen“, meint Barbara Riedmüller, „im öffentlichen Dienst gibt es gegenwärtig aber noch zu viele Hindernisse“.

Von solchen Schwierigkeiten kann der Berliner Bildungssenator Klaus Böger ein Lied singen. „Die Notwendigkeit von Diversity Management ist völlig unstrittig“, betonte der SPD-Politiker auf der Tagung „Rethinking Diversity“. Doch die Zusammensetzung des Personals im öffentlichen Dienst sei noch weit davon entfernt, die Vielfalt der Gesellschaft widerzuspiegeln. „Das Land Berlin verschenkt hier Eigenpotenzial.“ Dies zu ändern sei aus finanziellen und rechtlichen Gründen schwierig.

Die deutsche Wirtschaft ist da deutlich dynamischer: Die Nase vorn bei der Einführung von Diversity Management haben die Niederlassungen amerikanischer Unternehmen. Personal-Expertin Gertraude Krell führt das Beispiel von Ford an. Auch durch Fusionen zwischen Firmen aus beiden Ländern – etwa im Fall von DaimlerChrysler oder Deutscher Bank und Bankers Trust – wird Diversity Management hier zu Lande etabliert. Bei einer Erhebung der Fernuniversität Hagen unter allen im DAX notierten Firmen und den deutschen Niederlassungen der 50 wichtigsten amerikanischen Unternehmen im Frühjahr 2005 gaben bereits mehr als ein Drittel der Befragten an, Diversity Management zu betreiben.

Zu den Unternehmen, die Diversity Management einführen, gehört auch die Deutsche Bahn AG. „Wir setzen das Konzept konzernweit um“, sagte die Leiterin des Bereiches Personal- und Bildungsstrategie, Katharina Heuer, auf der diesjährigen Diversity-Tagung. Durch die Bildung generationsübergreifender Teams will die Bahn das kreative Potenzial der Mitarbeiter einbinden und zugleich einer Stigmatisierung des Alters vorbeugen.

Einen großen Schub für die Verbreitung von Diversity Management erwartet Gertraude Krell von der überfälligen Umsetzung mehrerer europäischer Richtlinien in deutsches Recht. Diese verbieten es beispielsweise, Menschen aufgrund von deren Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung zu diskriminieren. Sie greifen damit wesentliche Dimensionen auf, die auch bei erfolgreichem Diversity Management eine Rolle spielen. Dies werde sich wie in den USA auch auf den Arbeitsalltag auswirken – zumindest auf lange Sicht. „Wer mit Diversity Management erfolgreich sein will, braucht einen langen Atem“, meint Anita Rowe, „messbare Erfolge stellen sich bei den meisten Firmen erst nach fünf Jahren ein.“

Von Carsten Wette