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Wissenschaft und Öffentlichkeit

Auch in diesem Jahr findet an der Freien Universität Berlin wieder eine Lange Nacht der Wissenschaften statt. Und das zum sechsten Mal. Mehr Einrichtungen als je zuvor präsentieren sich und ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit, neue Adressatengruppen finden auf sie zugeschnittene Angebote: Kinder, Senioren und – wegen „des“ Berliner Sportereignisses – eben auch Fußballfreunde. Nicht nur, dass zwei Fußballmannschaften aus Wissenschaft und Politik aufeinander treffen, sondern viele Einrichtungen haben ihren diesjährigen Beitrag unter das sportliche Rahmenthema gestellt. Zum Beispiel die Informatiker, die ihre FU-Fighters, die großen und kleinen Fußballroboter, auf das Spielfeld schicken und gegeneinander antreten lassen. Oder die Historiker und Geschichtsdidaktiker, die sich in ihrem Programm mit der Rolle des Fußballs in der antiken und neuzeitlichen Gesellschaft auseinander setzen.

Warum macht eine Universität so etwas? Hat sie diesen Rummel nötig? Gedeiht Wissenschaft nicht am besten im Stillen, in „Einsamkeit und Freiheit“, wie Humboldt es einmal formuliert hat? – Das ist lange her: Als kluge Politiker am Anfang des 19. Jahrhunderts den entstehenden Wissenschaften erlaubten, in Einsamkeit und Freiheit – also ohne Zuschauer und öffentliche Kontrolle – zu forschen, was sie für richtig hielten, begründeten sie ein Erfolgsrezept, das nicht scheitern konnte: Wissenschaftliche Neugier, Entdeckungs- und Erfindungswille waren Ausdruck einer Befreiung aus obrigkeitlicher Bevormundung, ein Wagnis, wissen zu wollen. Da so wenig gewusst und so vieles geglaubt wurde, war es vernünftig, den Wissenschaftlern und ihrer disziplinären Logik zu überlassen, wohin der Weg sie führte. Zweihundert Jahre später, nach Hiroshima und Zyklon B, wissen wir, dass Wissenschaft nicht für das Gute schlechthin steht, dass sie vieles gerade nicht weiß, auch wenn sie es manchmal suggeriert, und dass vieles auch gar nicht hätte gewusst werden müssen, weil sich die Bemühungen um manche Erkenntnisse als „Holzwege“ erwiesen.

Was hat das mit Öffentlichkeit zu tun? – Vielleicht lässt es sich am besten an einer kleinen Begebenheit erläutern: Nach einem spätabendlichen Termin traf ich unlängst auf einen Straßenarbeiter in Berlin-Mitte, der mit der Verlegung von Straßenbahnschienen beschäftigt war. Er rauchte eine Zigarette, und ich sah dabei, dass ihm seine Hand blutete. „Eingeklemmt“ sagte er auf meine Frage, ob er Hilfe brauche. Wir kamen ins Gespräch. Ich sagte, dass ich Wissenschaft „mache“. „Da kann Ihnen ja nichts passieren“, meinte er. Es war 23.30 Uhr.

Ich möchte, dass dieser lange, hart und gefährlich arbeitende Straßenarbeiter, dass die Berliner Öffentlichkeit weiß, was wir mit dem Geld für sie tun, das sie uns geben, damit wir etwas für sie tun. Deswegen gibt es die Lange Nacht der Wissenschaften, die besonders auch dann die klügste des Jahres wird, wenn die Wissenschaftler auf kluge Fragen kluge Antworten wissen. Kommen Sie zu uns, schauen Sie, machen Sie mit, und stellen Sie kluge Fragen! Wir freuen uns auf Sie.

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin.