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Gefährliche Glimmstängel

Ein Kriminologe forscht über den internationalen illegalen Zigarettenhandel

Es begann in West-Berlin, kurz vor dem Fall der Mauer. Im Januar 1989 wurde für polnische Staatsbürger, die nach West-Berlin reisen wollten, die Visumpflicht aufgehoben. Und plötzlich waren sie da: die so genannten „Polenmärkte“. Für einige Zeit boten dort unzählige polnische Kleinhändler alles Mögliche an – Werkzeuge, Haushaltsgeräte, Textilien selbst Lebensmittel. Auf den Märkten entwickelte sich der Handel mit Zigaretten aber zum einträglichsten Geschäft, wie Klaus von Lampe erzählt. Der promovierte Jurist und Politologe erforscht seit knapp sechs Jahren am Lehrstuhl für Kriminologie der Freien Universität Berlin den internationalen Zigarettenschwarzmarkt.

Klaus von Lampe selbst ist Nichtraucher. Zurzeit arbeitet er mit Partnern aus Belgien, Holland, Estland und Großbritannien an dem EU-Projekt „Assessing Organised Crime“. Bei dem noch bis August 2006 mit rund 500 000 Euro geförderten Forschungsvorhaben geht es darum, die Lageberichterstattung über organisierte Kriminalität in Europa zu harmonisieren und zu verbessern.

Schon Ende 1989 gab es in Berlin einen etablierten offenen Zigarettenschwarzmarkt – ein bislang in Deutschland noch unbekanntes Phänomen, wie von Lampe hervorhebt. Doch die Akteure wechselten: Nach der Wende wurde ein Großteil der noch von der DDR-Regierung angeworbenen vietnamesischen Gastarbeiter mit einem Schlag arbeitslos. Aus Not wandten sich einige dem Schwarzhandel zu. Bis Sommer 1991 verlagerte sich der offene Straßenhandel nach Ost-Berlin, polnische Schwarzhändler hatten sich zurückgezogen und das Geschäft Straßenverkäufern aus Vietnam überlassen. Sie kontrollieren den Markt bis heute.

Den Grund für diese Dominanz sieht Klaus von Lampe vor allem in der relativen Immunität vietnamesischer Staatsbürger gegenüber einer Abschiebung, sollten sie einmal straffällig werden. Eine wichtige Anlaufstelle bei der Datenerhebung ist für den Wissenschaftler die GE Zig, die gemeinsame Ermittlungsgruppe Zigaretten von Zoll und Polizei in Berlin. „Es ist nicht einfach, den illegalen Zigarettenhandel zu bekämpfen“, sagt Manfred Welp, stellvertretender polizeilicher Leiter der GE Zig. Wenn ein Straßenhändler aus Vietnam erkennungsdienstlich behandelt wird, muss er zumeist wegen mangelnder Haftgründe wieder freigelassen werden. Erst bei mehrfachen Delikten kann ein Haftbefehl erwirkt werden. „Die Freiheitsstrafen für Straßenhandel sind gering“, ergänzt Welps Kollege Peter Becker, zollseitiger Leiter der GE Zig. „Sie liegen je nach Umfang der Straftat zwischen einem Monat und anderthalb Jahren.“ Hinzu komme, dass Vietnamesen, sollten sie illegal eingereist sein, meist falsche Personalien angäben, wenn sie Asyl beantragten. Gerade dies erschwere eine Abschiebung im Falle eines abgelehnten Asylantrags, denn die vietnamesischen Behörden akzeptierten als Staatsbürger nur Personen, die in den heimischen Melderegistern auffindbar seien.

Seit etwa eineinhalb Jahren verlagert sich der Schwarzhandel nach Erkenntnissen der Behörden von den östlichen wieder in die westlichen Stadtteile: nach Wedding, Steglitz, Neukölln und Reinickendorf. Es sind mehr Zigaretten im Umlauf, es gibt mehr Straßenverkäufer und die Täter werden immer jünger. „Dadurch entsteht ein zum Teil gewalttätiger Verdrängungswettbewerb in der Stadt“, sagt Polizeileiter Welp. Dieser müsse unbedingt beobachtet werden, um Eskalationen zu verhindern.

Im vergangenen Jahr wurden im Großraum Berlin/Brandenburg 68 Millionen geschmuggelte Zigaretten konfisziert. Im Vergleich zum Jahr 2004 ist das eine Steigerung um 39 Prozent. Der dadurch entstandene Steuerschaden beläuft sich auf knapp 11,6 Millionen Euro. Doch die Dunkelziffer ist sehr hoch: „Das, was wir mitbekommen, liegt unter zehn Prozent“, schätzt Zollfahnder Becker. Der Grund: Den Beamten seien bei ihren Ermittlungen oft die Hände gebunden. Seit der Bundesgerichtshof 2003 die Telefonüberwachung bei illegalem Zigarettenhandel auf Ausnahmefälle beschränk hat, könnten die Behörden die Absprachen zwischen Händlern und Zulieferern häufig nicht mehr nachvollziehen. Hinzu komme, dass sich die Schmugglerbanden inzwischen auf die verbesserten Kontrollmöglichkeiten des Zolls – etwa durch den Einsatz von Röntgengeräten bei LKW - eingestellt hätten. „Geschmuggelt wird in immer kleineren Mengen“, sagt Klaus von Lampe. „Ameisenschmuggel“ nennt man das im Zoll-Fachjargon.

Der illegale Zigarettenhandel ist bislang kaum wissenschaftlich erforscht, die einzigen veröffentlichten Arbeiten über die Strukturen des deutschen Zigarettenschwarzmarkts stammen von Klaus von Lampe. Den Wissenschaftler reizt an dem Thema vor allem seine Vielschichtigkeit: „Hier hat man die ganze Bandbreite, vom armen illegalen Einwanderer aus Vietnam, der auf der Straße steht und Zigaretten verkauft, bis zum hoch dotierten Manager eines internationalen Zigarettenkonzerns, der mehr oder weniger stark involviert ist.“

Die EU habe ein enormes Interesse daran, ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität empirisch zu unterfüttern, erklärt der Kriminologe. „Wir erarbeiten am Beispiel des illegalen Zigarettenhandels ein neues System der Lageberichterstattung. Wir fragen, welche vorhandenen Daten gebraucht werden, welche zusätzlich erhoben und wie sie aufgearbeitet, interpretiert und präsentiert werden müssen.“ Es ist das erste internationale Forschungsprojekt zu diesem Thema.

Ein relativ neues Phänomen im Zigarettenschwarzmarkt ist die Produktpiraterie. Stammten die gefälschten Zigaretten noch im Jahr 2000 zumeist aus Ostasien, erläutert von Lampe, so habe sich die Herstellung mittlerweile auf Europa ausgedehnt. Im Jahr 2005 flogen in Koblenz und Köln zwei illegale Zigarettenfabriken auf. Ermittlungen der Zollfahndungsämter Frankfurt und Essen ergaben, dass in beiden Städten 650 bis 700 Millionen Zigaretten unter falschem Markennamen produziert wurden.

Der Zoll-Jahresbilanz 2005 zufolge belegen Untersuchungen, dass das Rauchen von gefälschten, unter schlechten hygienischen Bedingungen hergestellten Zigaretten extrem ungesund ist: Sie haben einen höheren Teergehalt und sind mit Schadstoffen wie Arsen, Cadmium oder Blei verunreinigt.

Von Barbara-Ann Rieck