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Kardiologen leben in einer spannenden Zeit

In Berlin soll ein Zentrum für regenerative Medizin gegründet werden

„Regenerativ“ will Medizin eigentlich immer sein: Es geht um Heilung, man will dem Organismus dazu verhelfen, sich nach einer Krankheit vollständig wiederherzustellen. Doch oft genug wird eine Krankheit chronisch, flammt immer wieder auf, hinterlässt bleibende Schäden oder kann allenfalls gelindert werden. Wer den Traum von der kompletten Regeneration verfolgt, muss deshalb neue Wege beschreiten. Und tatsächlich meint der Begriff „Regenerative Medizin“ heute in der Fachwelt die Entwicklung und Anwendung neuartiger medizinischer Behandlungsformen: Biomaterialien, Stammzellen und gezüchtete Organe kommen zum Einsatz, um geschädigte Organe wieder funktionstüchtig zu machen.

Ein Weg ist der biologische Ersatz von Gewebe, das mittels „Tissue Engineering“ im Labor gezüchtet und dann in den menschlichen Körper verpflanzt wird. Ein zweiter sind künstliche Materialien, etwa Hüftprothesen, die so ausgestattet sind, dass sich die körpereigenen Zellen schnell mit ihnen verbinden und in den Organismus integrieren. Am zukunftsträchtigsten scheint jedoch das Konzept, durch den Einsatz von Stammzellen im Körper selbst Reparaturvorgänge anzustoßen. Solche Therapien könnten eines Tages die Dauereinnahme von Medikamenten bei Krankheiten wie Diabetes oder Herzschwäche überflüssig machen.

In Berlin haben sich Grundlagenforscher, Fachleute aus der Biotechnologie, dem Ingenieurswesen und klinisch tätige Mediziner zu einer „Regenerativen-Medizin-Initiative“ zusammengeschlossen. Die Freie Universität Berlin und die Humboldt-Universität wollen mit der Charité und der Helmholtz-Gemeinschaft in der Hauptstadtregion ein Berliner Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) gründen. Über einen beim Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) gestellten Förderungsantrag wird nach Auskunft des Projektsprechers Hans-Dieter Volk vom Campus Virchow der Charité demnächst entschieden. Voraussetzung dafür, dass Bundesgelder in die Hauptstadt fließen, ist eine Kofinanzierung des Projektes durch das Land Berlin. Am Campus Benjamin Franklin sind vor allem Chirurgen, Unfallchirurgen, Biochemiker, Molekularbiologen, Radiologen und Herzspezialisten an der interdisziplinären Initiative beteiligt.

Eine der Fragestellungen lautet: Wie können gebrochene Knochen schneller heilen? „Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem wir bei der lebenden Ratte durch eine Mikrocomputertomografie dynamisch verfolgen können, wie die Heilung verläuft“, erklärt der Radiologe Dieter Felsenberg vom Zentrum für Muskel- und Knochenforschung. Die Forscher interessieren sich unter anderem dafür, wie man die Ausbildung neuer Blutgefäße fördern kann, die für die Heilung wichtig sind.

Carsten Tschöpe, Oberarzt an der Medizinischen Klinik für Kardiologie und Pneumologie am Campus Benjamin Franklin der Charité, fungiert als Koordinator für die kardiologischen Projekte der Initiative. „Wir leben als Kardiologen in einer spannenden Zeit, in der alte Dogmen ins Wanken geraten“, freut sich der Herzspezialist. Ende der 1990er-Jahre zeigte sich, dass das Herz doch eine gewisse Potenz zur Regeneration hat: Wissenschaftler konnten nachweisen, dass es auch nach Infarkten noch zur Zellteilung kommt. Bei Männern, denen ein Frauenherz transplantiert wurde, konnten danach auch Herzmuskelzellen nachgewiesen werden, die das männliche Y-Chromosom aufwiesen. Es mussten bei ihnen also auch Stammzellen von außerhalb ins Herz eingewandert sein. „Es gibt hier Heilungsprozesse, die von Natur aus ablaufen, allerdings auf niedrigem Niveau“, folgert der Kardiologe. Was liegt näher, als diese Prozesse für die Entwicklung neuer Therapien zu nutzen? Der große Traum der Herzspezialisten besteht schließlich darin, in absehbarer Zeit Herzen zu „erneuern“, indem zugrunde gegangenes Herzgewebe ersetzt wird. „Bislang kann man allenfalls Schadensbegrenzung betreiben und den Krankheitsprozess verzögern“, bedauert Tschöpe.

Hoffnungsträger für eine solche Erneuerung sind adulte Stammzellen. Weil diese noch nicht vollständig spezialisierten Zellen aus dem Organismus des Patienten selbst entnommen werden, gibt es hier – anders als bei embryonalen Stammzellen – keine ethischen Bedenken. Allerdings ist man sich in der Fachwelt über das therapeutische Potenzial dieser Zellen noch keineswegs einig. Neben ersten viel versprechenden Studienergebnissen gibt es auch einige enttäuschende Ergebnisse bei Infarkt-Patienten. „Immerhin gab es bei keiner der Studien böse Nebenwirkungen, und das beruhigt uns“, erläutert Tschöpe.

Am Campus Benjamin Franklin wurden inzwischen die ersten beiden Infarkt-Patienten in eine multizentrische Stammzell-Studie aufgenommen. Die Boost-2-Studie ist eine Nachfolge-Untersuchung der Boost-1-Studie, die am Uniklinikum Hannover lief. Es werden Patienten ausgewählt, bei denen nur ein Herzkranzgefäß schwer erkrankt ist und die auch einige Tage nach der Akutbehandlung ihres Infarkts noch eine eingeschränkte Herzfunktion haben. Sind sie mit der zusätzlichen Behandlung einverstanden, wird ihnen nach einer Kurznarkose Knochenmark entnommen. „Dafür arbeiten wir mit den Hämatologen unseres Klinikums zusammen“, sagt Tschöpe. Aus dem Knochenmark werden dann in Hannover Stammzellen isoliert und präpariert, die dem Patienten per Herzkatheter direkt in das betroffene Gefäß gespritzt werden. Bei diesen Stammzellen handelt es sich um Vorläufer von gefäßbildenden Zellen. Arbeitsgruppen anderer Universitäten versuchen, auch aus dem Hoden oder aus Oberschenkelmuskeln Stammzellen zu gewinnen, die helfen sollen, den Herzmuskel zu regenerieren. „Hier stellen sich noch viele Fragen für die Forschung“, erläutert Tschöpe. „Wir wissen noch nicht genau, welcher Zelltyp am günstigsten ist, zu welchem Zeitpunkt man am besten behandelt und vor allem, ob der Effekt dauerhaft anhält.“ Inzwischen ist man von der Vorstellung abgekommen, dass aus den Stammzellen direkt Herzmuskelzellen werden könnten. Sie scheinen das Wachstum von Zellen eher indirekt zu stimulieren.

Bei Patienten, die unter einer Herzschwäche mit Vergrößerung des Herzmuskels leiden, müsste eine Behandlung mit Stammzellen anders aussehen als bei Infarkt und Arteriosklerose. Den Kardiologen der von Heinz-Peter Schultheiß geleiteten Klinik auf dem Campus Benjamin Franklin liegen diese Patienten ganz besonders am Herzen, denn die Herzerkrankung ist dort Gegenstand eines Sonderforschungsbereichs. In Gewebeproben, die direkt aus dem Herzmuskel der Erkrankten genommen wurden, fand sich ein besonderer Typ von Stammzellen, die „resident stem cells“.

„Es scheint sich hier um einen Zelltyp zu handeln, der keine Abstoßungsreaktionen hervorruft“, sagt Tschöpe. Das könnte die Möglichkeit eröffnen, die schwer und häufig auch mehrfach erkrankten, meist älteren Patienten mit Stammzellen von Spendern zu behandeln. Schwerkranken Patienten, die auf der Warteliste für eine Herztransplanation stehen oder selbst dafür zu krank sind, könnte man mit einem speziell gesteuerten Kathetersystem Stammzellen direkt ins Herzmuskelgewebe injizieren. Dafür allerdings bräuchten die Kardiologen ein teures Spezialgerät, für dessen Anschaffung sie gern einen Teil der Fördermittel des BMBF nutzen würden.

Die Herzspezialisten des Campus Benjamin Franklin fühlen sich im BCRT als Teil eines großen Netzwerks. Netzwerke sind ohnehin eine Spezialität der Regenerativen Medizin: Neben der Arbeit mit Stammzellen ist der Ersatz erkrankter und defekter Gewebe durch dreidimensionale Zell- und Gewebekulturen eine weitere wichtige Methode. Auf diesem Gebiet gilt Berlin weltweit als eines der führenden Zentren. Im Masterplan für die Entwicklung Berlins zu einem Kompetenzzentrum für Biotechnologie und Biomedizin, den die Senatsverwaltung für Wirtschaft in Zusammenarbeit mit der Technologiestiftung Innovationszentrum Berlin (TSB) und anderen im November 2005 herausgegeben hat, wird die Regenerative Medizin denn auch ausdrücklich als eines der dringlichsten Handlungsfelder benannt.

Weiteres im Internet: www.cellnet.de

Von Adelheid Müller-Lissner