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Das „E. coli-Chick-Projekt“ will Verlustraten in der Geflügelindustrie reduzieren

Veterinäre der Freien Universität Berlin untersuchen die Resistenz von Hühnern gegenüber Infektionskrankheiten

Fugato!? Nein – trotz des Mozartjahres handelt es sich nicht um den Teil einer Komposition in fugalem Stil. FUGATO steht für „Funktionelle Genomanalyse im Tierischen Organismus“ und stellt einen Eckpfeiler im Nationalen Netzwerk der Genomanalyse dar. Dieses soll helfen, biologische Vorgänge durch die Untersuchung der Erbanlagen besser zu verstehen. Konzentrierte sich die Forschung bislang vornehmlich auf Pflanzen, Mikroorganismen und den Menschen, stehen nun mit FUGATO die landwirtschaftlichen Nutztiere im Zentrum der Untersuchungen. Doch hier ist das Ziel nicht die Entschlüsselung des Erbguts, des so genannten Genoms, sondern der Zusammenhang zwischen bestimmten Genvariationen und der Resistenz gegen Krankheiten.

Das Vorhaben setzt sich aus sechs einzelnen Verbundprojekten zusammen und wird seit Mai 2005 für zunächst drei Jahre mit 5,6 Millionen Euro durch das Bundesforschungsministerium gefördert. Weitere 2,4 Millionen Euro erhalten die Wissenschaftler von Industriepartnern, die sich an den verschiedenen Projekten beteiligen.

Auch die Veterinärmediziner der Freien Universität Berlin forschen in einem der Verbundprojekte: Im „E. coli-Chick-Projekt“ befassen sie sich mit der Resistenz von Hühnern gegenüber bestimmten Infektionserregern, den Bakterien Escherichia coli (kurz „E. coli“). Unter diesen als Kolibakterien der menschlichen Darmflora bekannten Mikroorganismen kommen auch gefährliche Durchfallerreger vor. Aber auch außerhalb des Verdauungsapparates richten sie Schaden an: Sie können Harnwegsinfekte verursachen oder im schlimmsten Fall eine Gehirnhautentzündung (Meningitis) auslösen, die bei Neugeborenen tödlich verlaufen kann.

Die beim Geflügel verbreitete Variante des Kolibakteriums heißt „aviäre pathogene E. coli“ (APEC) und führt zur Entzündung der inneren Organe. Leistungsminderung und erhöhte Sterberaten sind die Folge – vor allem Hühner, Puten, Enten und anderes Wassergeflügel sind betroffen. Weltweit ist APEC einer der Hauptgründe für wirtschaftliche Verluste in der Geflügelindustrie. Mit der zunehmenden Einführung alternativer Haltungssysteme werden von Veterinärexperten höhere Verlustraten erwartet, denn in diesen Systemen sind wirksame Hygienemaßnahmen schwerer umzusetzen: Die Tiere kommen eher in den direkten Kontakt mit dem Kot, der das APEC-Bakterium enthält.

„Um die Verlustraten beim Geflügel zu reduzieren und darüber hinaus die Lebensmittelsicherheit für den Verbraucher zu gewährleisten, besteht dringender Handlungsbedarf zur gezielten Bekämpfung der APEC-Infektionen“, weiß Prof. Dr. Lothar H. Wieler. Der Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Tierseuchen der Freien Universität Berlin erforscht mit seinem Team bereits seit Ende der neunziger Jahre die APEC-Bakterien bei Hühnern. Durch umfangreiche Genomanalysen ist es den E. coli-Chick-

Forschern gelungen, die Gruppe der APEC-Bakterien klarer zu definieren und die krankheitserregenden, so genannten pathogenen Eigenschaften dieser Bakterien genau zu analysieren. „Ein Problem ist, dass dieser Erreger einigen für den Menschen gefährlichen E. coli-Bakterien sehr ähnelt“, erklärt Wieler. Er hat sich als Wissenschaftler vor allem auf dem Gebiet der Zoonosen, also den vom Tier auf den Menschen übertragbaren Infektionskrankheiten, spezialisiert und möchte herausfinden, welche bakteriellen Untergruppen dem Menschen gefährlich werden und wie deren Übertragung erfolgen könnte. „Hier besteht auf jeden Fall noch Forschungsbedarf“, sagt Wieler.

In den vergangenen Jahren rückte der Krankheitsvorgang im Huhn immer stärker in den Blickpunkt der Wissenschaftler. Sie haben bislang unbekannte bakterielle Gene gefunden, die APEC ein Überleben im Huhn erst ermöglichen. Den Infektionsforschern dient dabei das Huhn als Modell für andere Tiere. Dies bietet viele Vorteile: Sein Genom ist von allen Nutztieren bisher als einziges vollständig entschlüsselt. Zudem sind seine Haltungsbedingungen relativ einfach und die Generationsintervalle kurz. „Uns wurde schnell klar, dass wir mit unserem Infektionsmodell die einzigartige Chance haben, die Wirtsabwehr des Huhns besser kennen zu lernen“, sagt Tierseuchen-Experte Wieler. „Wir wollen systematisch die Wirt-Erreger-Interaktionen untersuchen und herausfinden, wie die Resistenz- und Immunitätsmechanismen des Huhnes gegenüber Infektionskrankheiten funktionieren.“

Das langfristige Ziel der Projektgruppe „E. coli-Chick“ ist die Züchtung resistenterer Hühner und die Entwicklung einer Schutzimpfung für die Tiere gegen die APEC. Die Ergebnisse können aber auch direkt im Hinblick auf die Resistenz gegenüber Virusinfektionen, wie zum Beispiel mit aviären Influenzaviren, genutzt werden. Auch könnten die Ergebnisse aus dem Projekt für andere Nutztiere, deren Genom noch nicht vollständig entschlüsselt ist, herangezogen werden. Gleiches gilt im Kampf gegen aviäre Viren.

Die Veterinärmediziner der Freien Universität Berlin kooperieren dabei innerhalb des FUGATO-Projekts mit der Lohmann Tierzucht GmbH in Cuxhaven, mit Tiergenetikern von der Universität Göttingen, der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft mit dem Institut für Tierzucht in Mariensee und zwei Veterinär-Immunologen von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lothar Wieler ist optimistisch: „Unsere Expertise auf dem Sektor der mikrobiellen Pathogenität und Genomforschung gepaart mit dem Expertenwissen über Hühner sollte ein Erfolgsmodell werden. Denn eins ist klar: Gesunde Hühner schützen auch den Verbraucher vor lebensmittelbedingten Infektionen.“

Von Ilka Seer