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Unendliche Geschichte

Der Wirtschaftshistoriker Nikolaus Wolf untersucht den Ausbau des Flughafen Schönefelds

Bei Nikolaus Wolf scheint immer die Sonne. Dafür hat der Juniorprofessor durch ein sattes Gelb an den Wänden gesorgt. Ganz unten im Regal, in praktischer Krabbelkindreichweite, verrät Spielzeug den Familienvater. Obwohl es noch etwas dauert, bis die beiden Töchter des 32-Jährigen in die Schule kommen, sorgt sich Wolf schon jetzt um den Bildungsstandort Deutschland. „Um unseren hohen Lebensstandard zu halten, muss Arbeit in Deutschland attraktiver und produktiver sein als im Ausland“, sagt der Wirtschaftshistoriker und ergänzt nachdrücklich: „Daher brauchen wir Bildung, Bildung, Bildung!“ Eine gezielte Erhöhung der Bildungsinvestitionen hält er für dringend notwendig.

Nikolaus Wolf ist selbst ein gutes Beispiel dafür. Mit kaum 30 Jahren wurde er 2004 als einer der jüngsten Wissenschaftler auf eine Juniorprofessur an die Freie Universität Berlin berufen. Fast zeitgleich legte er zwei Universitätsabschlüsse hintereinander ab: Seine 1994 in Freiburg begonnene Studienzeit beendete Wolf zunächst als Diplom-Volkswirt an der Berliner Humboldt-Universität, wenig später folgte ein zweiter Abschluss als Magister der Neueren und Neuesten Geschichte an der Freien Universität Berlin.

„Während des Studiums habe ich mich eigentlich nicht speziell für Wirtschaftsgeschichte interessiert“, bekennt er. Erst mit der Promotion wurde Wolf zum Brückenbauer: „Mir wurde klar, dass nur wenige den ernsthaften Versuch machen, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften zu verbinden“, sagt er. „Die Arbeitsstile der beiden Fächer sind sehr verschieden.“ Für seine Dissertation über die wirtschaftliche Integration Polens zwischen den beiden Weltkriegen forschte er mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Warschauer Archiven. Die Arbeit wurde später mit dem Gino-Luzzatto-Preis der European Historical Economics Society ausgezeichnet.

Auf Polen richtet sich Wolfs Interesse sowohl als Forscher als auch als Privatmensch immer wieder. Ein Grund dafür dürfte in seiner Familiengeschichte liegen. Sein Vater wurde 1946 aus Niederschlesien vertrieben, woraufhin sich die Familie in Süddeutschland ansiedelte. Der Sohn, in Miltenberg am Main aufgewachsen, lernte später Polnisch und verbrachte als Student ein Semester an der Universität Gdansk. „Meine Erfahrung ist, dass die Geschichte Polens sehr hilfreich ist, um die Geschichte Deutschlands zu verstehen.“

So ist es kein Zufall, dass die wirtschaftlichen Ungleichheiten in Deutschland nach der Vereinigung für Nikolaus Wolf ebenfalls ein Thema sind. Als Wahlberliner verfolgt der Juniorprofessor für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte insbesondere die Region Berlin-Brandenburg. Besonders interessiert ihn die unendliche Geschichte um den Ausbau des Flughafens Schönefeld zum internationalen Airport. „Berlin liegt wirtschaftlich momentan deutlich unter seinem Potenzial“, fasst er das hiesige Standortproblem zusammen. Ein modernes Drehkreuz für den internationalen Luftverkehr würde weit reichende Perspektiven für die verschiedensten Branchen und damit auch für den strapazierten Arbeitsmarkt der Region eröffnen. „Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass Konkurrenten wie Frankfurt, München und Leipzig während der vergangenen Jahre nicht geschlafen haben“, erklärt Wolf.

Erst kürzlich hat er sich in einer Studie intensiv mit dem Thema befasst. Der Aufstieg des Frankfurter Flughafens seit 1946 ist unmittelbar mit der abnehmenden Bedeutung der Berliner Flughäfen verbunden. Historische Zufälle wie die Luftbrücke und die Verlegung der europäischen Basis der US-Airforce von Paris Orly nach Frankfurt am Main spielten ebenfalls eine Rolle – mit enormen positiven Folgen für das Umland. Ob der Flughafen Schönefeld vergleichbaren Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. „Ohne gezielte Förderpolitik von Bundesseite dürfte das hier nicht klappen“, sagt Wolf.

Der Juniorprofessor ist nicht nur an guter Forschung, sondern auch an guter Lehre interessiert. Erfahrungen dazu sammelte er in England. Nach der Promotion arbeitete Wolf ein Jahr als Post-Doctoral Research Fellow an der London School of Economics (LSE) – ein Jahr, das ihn sehr geprägt hat. „Die LSE konnte nahezu jeden Abend mit großen Namen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aufwarten, die mit den Studierenden diskutiert haben. Dort herrscht eine beeindruckend stimulierende Atmosphäre“, erinnert er sich.

Eine solche Diskussionskultur pflegt er – im Kleinen – nun selbst in Berlin. Wer sich zur Sprechstunde bei ihm einfindet, findet Platz in der gemütlichen Sitzecke seines Büros in der Boltzmannstraße. Das behagliche Sonnengelb im Raum hat schon so manche Debatte befördert, besonders, wenn es um den Bildungsstandort Deutschland geht. „Wir brauchen mehr und höher qualifizierte Wissenschafter“, betont Nikolaus Wolf noch einmal: „An Bildung darf nicht gekürzt werden. Das wäre Selbstmord.“

Von Anke Assig