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Was die Welt im Innersten zusammenhält

Der Chemiker Christoph Schalley entschlüsselt intermolekulare Kräfte

Christoph Schalley hat eine Vision: Der Professor am Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin will durch Synthese winzige Kapseln entwickeln, in die medizinische Wirkstoffe eingeschlossen und im menschlichen Körper transportiert werden können. Diese Miniaturcontainer von nur einem Milliardstel Meter Größe sollen sich genau dann öffnen und ihre heilenden Passagiere freigeben, wenn sie an den angesteuerten erkrankten Zellen angedockt haben. Als Erfinder des Prinzips solcher Kapseln gilt der amerikanische Wissenschaftler Julius Rebek. Christoph Schalley hat bei einem Post-Doktoranden-Aufenthalt 1998 am Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla mit Rebek gemeinsam geforscht. Sollte die Vision eines Tages Realität werden, könnten sich neue Möglichkeiten für die Heilung von Krankheiten ergeben.

„Wir stehen noch ganz am Anfang, bis zu Anwendungen werden noch Jahre vergehen“, stellt der 38-Jährige klar, der seit Oktober 2005 an der Freien Universität Berlin lehrt. Doch wer dem gebürtigen Krefelder in seinem Büro in Dahlem gegenübersitzt, der zweifelt nicht an dessen Entschlossenheit, zu den nötigen Erkenntnissen durchzudringen.

Die Herausforderungen für Schalleys Arbeitsgruppe an der Freien Universität Berlin scheinen allerdings gigantisch: Bevor nämlich das Design solcher synthetisch erzeugten Kapseln oder anderer Molekül-Aggregate entwickelt werden kann, sind hohe wissenschaftliche Hürden zu nehmen: „Wir müssen die Wechselwirkungen zwischen Molekülen bis ins kleinste Detail verstehen, wenn wir solche Kapseln bauen wollen“, erläutert der Chemiker.

Ganz wichtig sind dabei die so genannten schwachen Bindungen zwischen einzelnen Molekülen. „Diese Kräfte spielen überall in der Natur eine herausragende Rolle, ob beim Aufbau von Zellen oder bei chemischen Reaktionen im Stoffwechsel. Selbst Wasser ist nur flüssig, weil es diese Kräfte gibt“, erklärt der Chemie-Professor, der sich in seiner Freizeit mit ausgedehnten Fahrrad-Touren fit hält und bei Musik von Wagner bis Schostakowitsch entspannt. Nur wer zu grundlegenden Erkenntnissen über diese intermolekularen Kräfte gelange, könne Moleküle auch nachbilden.

Um der Natur auf die Schliche zu kommen, bedient sich Christoph Schalley einer besonderen experimentellen Methode – der Massenspektrometrie. Erste Erfahrungen damit sammelte er schon während seiner Promotion bei Professor Helmut Schwarz im Jahr 1997 an der Technischen Universität Berlin. Auch bei seinem Forschungsaufenthalt in Kalifornien wandte er diese Technik auf die schwachen Bindungen zwischen Molekülen an. „Das Massenspektrometer ist die perfekte Methode, um Bindungen und Wechselwirkungen zwischen Molekülen fast jeder Masse zu untersuchen“, schwärmt der Forscher. Ein neues Hochleistungs-Massenspektrometer wird in Kürze auch an der Freien Universität Berlin verfügbar sein. In dem Gerät werden Moleküle in ein Hochvakuum überführt und können dadurch isoliert vom Einfluss ihrer Umgebung untersucht werden. Sie werden in einem Magnetfeld eingefangen, das mehrere zehntausend Mal stärker ist als das Erdmagnetfeld, und zur Reaktion gebracht. Durch dieses Verfahren sind Rückschlüsse auf die Struktur und die Zusammensetzung der Moleküle möglich.

Gesicherte Erkenntnisse über die Struktur und Stärke intermolekularer Bindungen könnten nicht nur die medizinischen und pharmazeutischen Methoden verfeinern. Ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich irgendwann vielleicht auch in der Computertechnologie, wie Christoph Schalley erklärt. Denn wenn man sich bei der Produktion von Mikrochips die Erkenntnisse über intermolekulare Bindungen zu Nutze machen könnte, stünde einer weiteren dramatischen Miniaturisierung der Chips nichts mehr im Wege. Doch auch hier steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.

Leidenschaft und Ausdauer für diese minutiöse Spurensuche hat Christoph Schalley gewissermaßen schon in der Schule eingeatmet: „Im Chemie-Leistungskurs wurde uns ein realistisches Bild über das Fach vermittelt – Chemie ist Wissenschaft und Handwerk zugleich.“ Wegweisende Pflöcke im Bereich der Massenspektroskopie hat der Wissenschaftler jedenfalls schon einmal eingerammt: Im März 2006 erkannte die Deutsche Gesellschaft für Massenspektrometrie Christoph Schalley für herausragende wissenschaftliche Leistungen den mit 12 500 Euro dotierten renommierten Mattauch-Herzog-Preis zu.

Von Carsten Wette