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Wegbereiter der ökologischen Modernisierung

20 Jahre Forschungsstelle für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin

Im Dachgeschoss des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin gehen Grundlagenforschung und Politikberatung Hand in Hand: Hier hat die Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU) ihren Sitz. Es weht ein unternehmerischer Geist – jeder der rund 20 Mitarbeiter forscht an zwei oder drei Projekten und akquiriert zudem neue Vorhaben.

Martin Jänicke, Lutz Mez und Thomas Ranneberg gründeten 1986 die Koordinationsstelle der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung an der Freien Universität. Wie lange eine zum Großteil aus Drittmitteln finanzierte Einrichtung bestehen würde, hätten die Gründer bei der Eröffnung sicher nicht vorhersagen wollen. Am 28. April 2006 nun feierte die FFU ihr 20. Jubiläum im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft. Martin Jänicke ist bis heute aktiv, bereitet sich aber nach dem runden Geburtstag der FFU auf den Ruhestand vor.

Schnell entwickelte sich die Forschungsstelle für Umweltpolitik zu einer Einrichtung mit großem Renommee: In der Fachwelt gilt ihre Forschung als „Berliner Schule der Umweltpolitik-Analyse“. Internationales Markenzeichen ist das Konzept der „ökologischen Modernisierung“, das eng mit dem Namen Martin Jänicke verknüpft ist. Der Kategorie „ökonomische“ Modernisierung stellte Jänicke die „ökologische“ Modernisierung entgegen: Wie muss Politik gestaltet sein, um den industriellen und wirtschaftlichen Neuerungen eine umweltpolitische Richtung zu geben? Wie kann Industriepolitik ökologisch werden und Umweltpolitik wirtschaftliche Zugkraft entfalten?

Einmalig in der europäischen Umweltforschung ist der Zugang zu den Themen: Seit den Anfängen liegt der Schwerpunkt auf einer vergleichenden empirischen Analyse von Strukturwandel in den Industrieländern – in so genannten Ex-post- und Bottom-up-Analysen. Statt von einem umweltpolitischen Instrument – Zöllen oder Steuern – „top-down“ auf ein Ergebnis zurückzuschließen, ist das Vorgehen der Forschungsstelle subtiler und komplexer: Ausgehend von einem empirisch beobachtbaren Strukturwandel werden dessen Rahmenbedingungen und Entstehungsgründe umfassend rekonstruiert. Mit dieser Strategie öffnet sich der Blick auf die Komplexität jedes Strukturwandels: auf die Wechselwirkungen von Akteuren, wie Industrieverbänden oder Unternehmen, mit der Umweltpolitik und anderen Politikfeldern. Auch der Politikstil, also wie ökologische Vorhaben umgesetzt werden sollten, und die politischen Instrumente, die eingesetzt werden, spielen dabei eine wichtige Rolle.

Es ist immer ein ganzes Bündel von Faktoren, die einen Strukturwandel auslösen – staatliche Sanktionen oder Anreize sind nur ein Instrument im Orchester. So war die internationale Verbreitung des Katalysators beim Automobil weder ausschließlich staatlichen Vorgaben zu verdanken noch allein von Unternehmen betrieben worden. Die Entwicklung von Katalysatoren nahm in Kalifornien ihren Ausgang: Der amerikanische Bundesstaat entwickelte Autoabgas-Standards für bessere Luftqualität, die die USA in den siebziger Jahren auf Bundesebene ausweitete. Sehr bald jedoch übernahm Japan – mit Blick auf den amerikanischen Absatzmarkt – die Standards und überholte die USA bei der Umsetzung: Die Industrielobby in den Vereinigten Staaten hatte dafür gesorgt, dass die umweltpolitische Verordnung zunächst wieder gebremst wurde. Europa zog erst in den achtziger Jahren in Sachen Katalysator nach. Vorreiter war Deutschland, maßgeblich angetrieben von der exportorientierten Autoindustrie.

Von solchen „Lead-Märkten“ tritt ökologische Modernisierung seinen Weg in Nachbarländer und in die ganze Welt an. An der Forschungsstelle für Umweltpolitik gibt es inzwischen eine riesige Datenbank, gefüttert mit Informationen zu ökonomischem und ökologischem Wandel: ob zu Katalysatoren, zur Ökosteuer oder zur Einspeisevergütung. Auf der Grundlage von Analysen dieser Daten entwickeln die Mitarbeiter der FFU neue ökologische Strategien – im Sinne eines „Lesson-learning“. So berieten die Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin die rot-grüne Bundesregierung bei der Einführung der Ökosteuer.

Ganz praktische Ziele hat auch ein neues Projekt, das die Europäische Kommission in Auftrag gegeben hat: Evaluating Impact Assessments (EVIA). Impact Assessments – Folgenabschätzungen von Politik und Gesetzen – sollen Politiker in die Lage versetzen, die Verordnungen und Strategien zu wählen, die die größte Wirkung bei den geringsten Kosten versprechen. Auf der Grundlage von Fallstudien und Nutzerbefragungen werden die Wissenschaftler von EVIA die Impact Assessments bewerten und weiterentwickeln. Das Forschungsvorhaben, an dem sieben weitere europäische Partner beteiligt sind, läuft über zwei Jahre und wird mit einer Million Euro gefördert. „An der Freien Universität sind wir damit eine der ersten Koordinatoren eines Großprojekts im Rahmen des aktuellen sechsten Forschungsprogramms der EU“, erläutert EVIA-Leiter Klaus Jacob.

Professor Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, hebt bei der Jubiläumsfeier den Erfolg der anwendungsorientierten und interdisziplinären Forschung hervor: „Die ökologische Modernisierung entfaltete sich mit tatkräftiger Unterstützung der FFU von einem politischen Schlagwort zu einer fundierten umweltpolitischen Strategie.“ Gerade die wissenschaftliche Evaluierung von Politik sei „ein heldenhaftes Thema, denn welcher Politiker lässt sich schon gern evaluieren?“

Auch der Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) gratulierte Martin Jänicke: „Hut ab vor so viel Weitsicht, Politik agiert selten so vorausschauend.“ Die FFU entstand – mit allem Vorlauf, der der Gründung voranging – einige Tage vor der Katastrophe von Tschernobyl. Das deutsche Bundesumweltministerium wurde erst nach dieser historischen Zäsur eingerichtet.

Ungeachtet allen praktisch-politischen Einflusses ist dem FFU-Leiter Martin Jänicke wichtig: „Wir haben uns immer als Universitätsinstitut verstanden, verbunden mit allen Verpflichtungen der Ausbildung und Lehre.“ Seit 1996 bietet die Forschungsstelle deshalb gemeinsam mit den Fachbereichen Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin das Wahlfach Umweltmanagement an. Auch das seit 2002 bestehende interdisziplinäre Masterprogramm „Öffentliches und betriebliches Umweltmanagement“ ist sehr begehrt. Auf die vorhandenen 15 Plätze bewerben sich jedes Jahr vier Mal so viele Interessenten.

Absolventen der FFU arbeiten heute in Außen-, Forschungs- und Umweltministerien oder bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, einer Entwicklungsorganisation. Sie bereichern die oft von Ingenieuren und Wirtschaftswissenschaftlern dominierte Umweltpolitik mit der ganzen Breite ihres sozialwissenschaftlichen Ansatzes.

Weiteres im Internet: www.fu-berlin.de/ffu

 

ZUR PERSON

Der Gründer der Forschungsstelle

Martin Jänicke, geboren 1937, studierte an der Freien Universität Berlin Soziologie, Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Geschichte.

1971 wurde er Professor für Vergleichende Analyse am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit 1973 betreibt Jänicke Umweltpolitik-Analyse und leitet Drittmittel-Projekte.

1986 gründete er die Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU), die er seitdem führt und die zu einer der größten politikwissenschaftlichen Forschungsinstitute für Umweltpolitik in Europa herangewachsen ist. Zudem ist Jänicke politisch aktiv: Er war von 1974 bis 1976 Planungsberater des Bundeskanzleramts und von 1981 bis 1983 parteiloses Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Seit 1999 ist er Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen – des zentralen Beratungsgremiums der Bundesregierung zu Umweltfragen –, als dessen stellvertretender Vorsitzender er von 2000 bis 2004 amtierte.

Außerdem ist Martin Jänicke Mitglied im Kuratorium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt sowie des Vorstands der Stiftung Naturschutz Berlin. zie

 

Von Kerrin Zielke