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Deutschland – China – Deutschland

Flug DI 7019, Berlin – München zu Flug LH 726, München – Shanghai.

Eine Stunde Verspätung. Ich bitte, das Gepäck zu markieren, damit es als Erstes in München ausgegeben wird und noch eine Chance besteht, den Anschluss zu bekommen. Das Gepäck kommt als Letztes. LH 726 München – Shanghai ist weg. „Wir warten nicht auf andere Fluggesellschaften.“ Dieselbe Flugnummer am gleichen Tag: ausgebucht. Das Gespräch mit dem chinesischen Erziehungsminister droht zu platzen. Am nächsten Tag zurück nach Frankfurt und von dort nach Shanghai: LH 2983. Übernachtung im Flughafen München. Einen Tag warten in Frankfurt. Eintreffen in Shanghai um 13.05 Uhr. Das Gepäck wurde in Frankfurt vergessen – Deutschland.

China: Das Missgeschick ist bereits allen bekannt. Eine kleine Delegation wartet am Flugzeug. Die Formalitäten werden gleich vor Ort erledigt. Mit grünem Tee und Freundlichkeiten versorgt. Auf schnellstem Weg in das Hotel. „Zum Gespräch mit dem Minister brauchen Sie einen Anzug.“ Der ist in Frankfurt. „Wir kaufen einen mit Ihnen.“ Auf dem schnellsten Wege im Dienstwagen zum Kaufhaus. Der Schneider braucht 20 Minuten, um den Anzug passend zu machen. Mit neuem Hemd, Schlips und Anzug sitze ich pünktlich beim Minister. Großes Interesse am Netzwerk-Konzept der Freien Universität Berlin. Ein kenntnisreicher Gesprächspartner. Am nächsten Tag „3rd Chinese-Foreign University Presidents Forum“. 150 chinesische Universitätspräsidenten diskutieren mit den Vertretern aus den USA, Australien, Kanada und Deutschland. In Shanghai ist die Globalisierung zu Hause. Die Partner sehen die Chancen für alle, best practice des jeweils anderen zu lernen. China!

Rückflug LH 729. Temperatur irgendetwas zwischen 30 und 40 Grad. Luftfeuchtigkeit 100 Prozent. Ich bemerke noch im Steigflug, dass das Fieber wieder beginnt. Neben mir sitzt ein deutscher Ingenieur mit einem guten Gesicht. So um die 50. Ich erzähle ihm, dass es mich erwischt hat. Sei ihm auch schon passiert. Er redet mit mir und lenkt mich ab. Er arbeitet beim Bau von Komplett-Fabriken für die Herstellung von Gipskarton-Platten. „Das dauert im Schnitt sechs bis neun Monate.“ – Einsätze in Mexiko, Malaysia, Australien, Kanada und Polen. Jetzt China. Er ist auf dem Weg nach Hause für einen Monat. Dann neun Monate Tansania. Früher hatte er seine Ehefrau und Kinder mitgenommen, als sie noch klein waren. Heute gehen sie in Kassel zur Schule. Sie sehen ihn ein bis zwei Monate im Jahr. Früher war dies das Schicksal von Kapitänskindern. Als sein Unternehmen vor 15 Jahren in Schwierigkeiten geriet, stand er vor der Frage: arbeitslos oder Arbeitsplatz mit hoher Mobilitätserwartung. Er hat sich entschieden. „Die jungen Akademiker, die glauben, sie könnten ihr Leben lang in Deutschland bleiben, haben jetzt schon verloren. Sie lassen sich lieber aushalten, als dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Vor 20 Jahren haben wir die Werkzeugmaschinen noch in Deutschland gefertigt. Gastarbeiter haben das gemacht. Heute bauen wir komplette Fabriken vor Ort. Wir sind jetzt die Gastarbeiter. Die meisten haben das nicht begriffen.“ – Deutschland.

Als er mich fragt, erzähle ich ihm, was ich mache. Er lässt sich zwei Whiskey bringen, um mit mir anzustoßen darauf, dass auch ich ein Gastarbeiter sei. Ich nippe an dem Whiskeyglas und nehme vier Aspirin dazu. Er behält sein gutes Gesicht, auch nachdem ich ihm im Schlaf zum zweiten Mal sein Getränk auf die Beine geschüttet habe. Mein Arbeitskollege hat mich zweimal zugedeckt, wenn mir im Schlaf die blaue Lufthansa-Kuvertüre verrutschte. Ich träumte irgendetwas von Kolonien. Das ist lange her. Über dem Ural schärft mir mein Nachbar ein, von unseren Studenten Sprachkenntnisse und Weltoffenheit zu verlangen. „Wenn Sie wollen, dass sie sich selbst ernähren können.“

Im Flughafen Frankfurt versichern wir uns, einander nicht aus den Augen zu verlieren, vergessen aber, die Visitenkarten zu tauschen. Es kommen andere Zeiten.

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin.