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Verräterische Augenblicke

Anhand von Pupillenbewegungen können Medienforscher Gefühlsregungen dokumentieren

Ein Mann trifft auf fünf Frauen. Er unterhält sich mit ihnen, man flirtet. In gemeinsamen Spielen lernt der Kavalier die Damen besser kennen – um am Ende diejenige auszuwählen, die er am attraktivsten findet. Entspricht das Ergebnis seinen wahren Gefühlen? Oder haben ihm andere Einflüsse, wie etwa das Aussehen der Kandidatinnen, einen Streich gespielt? Die Zuschauer, die das Geschehen mitverfolgen, wissen mehr als der Kavalier. Denn ein Erregungsmesser offenbart auch die kleinste emotionale Regung des Mannes.

Was wie ein wissenschaftlicher Versuchsaufbau aus einem Science-FictionFilm anmutet, ist längst Realität. Der Blick ins Gemüt gehört zu einem TV-Format, das sich das Medienunternehmen Endemol für eine neue Dating-Show hat einfallen lassen. Tatsächlich haben die Fernsehleute, die unter anderem „Wer wird Millionär?“ und „Big Brother“ produzieren, das Konzept der Sendung eigens auf ein neues technisches Verfahren zugeschnitten, das Medienforscher an der Freien Universität Berlin entwickelt haben. Ein System, das Gefühlsregungen misst und sich für viele Bereiche der Medienforschung eignet. Wissenschaftler können damit herausfinden, an welcher Stelle beispielsweise ein Kinofilm besonders spannend ist, ob eine Internetseite nutzerfreundlich aufgebaut ist oder wie ein Werbefilm beim Verbraucher ankommt.

Zu den klassischen Methoden der Werbewirkungsforschung gehören bislang die Konsumentenbefragung in Interviews, die direkte Bewertung von Werbefilmen oder Werbeprospekten durch Probanden anhand von Skalen und das Messen des Hautleitwerts. Für letztere Methode müssen die Testpersonen allerdings erst kompliziert verkabelt werden, damit die durch psychische Vorgänge beeinflusste Schweißproduktion auf der Haut gemessen werden kann. Schneller und ohne lästige Verkabelung funktioniert dagegen das neue Verfahren. Es misst einfach, wie sich die Pupillengröße im Auge verändert.

Dass Pupillen auf Reize reagieren, ist an sich nichts Neues. Jeder weiß, dass sich die Größe der Pupille je nach Helligkeit des einfallenden Lichts verändert. „Pupillen reagieren aber auch auf mentale oder emotionale Reize. Das haben amerikanische und israelische Forscher bereits in den Siebzigerjahren herausgefunden“, sagt Dr. Florian Kerkau, Psychologe und Medienforscher an der Freien Universität. Im Rahmen seiner Promotion am Center for Media Research hat sich der Wissenschaftler dieses Phänomen zunutze gemacht und das so genannte „pupillometrische Verfahren zum Ermitteln des physiologischen Aktivierungspotenzials“ entwickelt.

Normalerweise regelt die Regenbogenhaut die einfallende Lichtmenge im Auge: Helligkeit macht die Pupille klein, Dunkelheit entsprechend groß. Aber weil die Größe der Pupille von zwei Strängen des vegetativen Nervensystems gesteuert wird, vom Sympathikus und vom Parasympathikus, wirkt sich auch eine „sympathische Erregung“ des zentralen Nervensystems auf die Größe der Pupille aus. Denn der Muskel, der die Iris auseinanderzieht, ist über die Nervenstränge des Sympathikus im Gehirn mit dem Limbischen System verbunden. Dieses ist unter anderem an der Entstehung von Gefühlen, an Lernprozessen und an der Speicherung von Gelerntem im Langzeitgedächtnis beteiligt. Ist das Limbische System besonders aktiv, erhält der Muskel den Auftrag, die Pupille zu erweitern. Sobald es überfordert ist, erschlafft der Muskel hingegen und die Pupille wird kleiner. Da sich diese Pupillenbewegung nicht bewusst steuern lässt, ist sie ein verlässlicher Indikator dafür, wie angespannt oder gelangweilt ein Mensch tatsächlich ist – unabhängig davon, was er denkt, sagt oder sich wünscht. Pupillen sagen also mehr als 1000 Worte.

Die Vorrichtung, um die Pupillenbewegung zu messen, besteht aus einer Infrarot-Kamera, drei handelsüblichen Computern und einer speziellen Software, die für Windows geeignet ist. Auf einem der Computer sieht die Testperson einen Spielfilm, wobei die Infrarot-Kamera parallel die Augenbewegungen des Probanden aufnimmt. Die gewonnenen Videodaten werden an den zweiten Rechner übergeben, der die Rolle einer Kontrollinstanz übernimmt. Er wertet mittels einer Videokarte die Daten aus und bestimmt den aktuellen Pupillendurchmesser. Diese Pupillenwerte werden wiederum an den dritten Computer, die Analyseeinheit, weitergeleitet, um dort verarbeitet zu werden. Die Analyseeinheit ist mit einer von Florian Kerkau entwickelten Software ausgestattet, die die Pupillendaten des Kontroll-Computers aufnimmt und durch verschiedene Berechnungen von Fehlern und Artefakten – etwa den Lidschlag, der das Ergebnis verfälscht – bereinigt. Ein im Programm enthaltener Luxmeter misst ergänzend die Umgebungshelligkeit, während die Software gleichzeitig die Pupillendaten von Störfaktoren bereingt, die durch Lichteffekte entstehen. Aus der Veränderung der Pupillengröße kann der 37-jährige Wissenschaftler die mentale und emotionale Beanspruchung der Versuchsperson ableiten. Und das sogar in Echtzeit, sodass die Medienforscher die Daten unmittelbar nach ihrer Entstehung auswerten können.

„Es ist erstaunlich, wie positiv der Markt auf das neue Messverfahren reagiert hat“, sagt Florian Kerkau. Der großen Nachfrage entsprechend entwickelte der gebürtige Berliner im vergangenen Jahr gleich im Anschluss an seine Promotion eine Geschäftsidee, die auch das Bundesforschungsministerium überzeugte. Im Rahmen des Programms Exist-Seed erhielt er für den Zeitraum von einem Jahr Fördermittel in Höhe von 40 000 Euro, um einen Businessplan erarbeiten zu können. Zur Seite gestellt wurden ihm ein ebenfalls vom Ministerium finanzierter Unternehmensberater sowie ein wissenschaftlicher Mentor von der Freien Universität Berlin, Professor Ludwig Issing. Einen passenden Firmennamen hat Florian Kerkau auch schon gefunden: Eye on Media.

Auch im Auftrag von MTV hat Kerkau schon sein Auge auf die Medien gerichtet. „Für den Musiksender haben wir eine Pilotsendung zur Serie ,Pimp my Fahrrad‘ untersucht – eine Parodie auf das amerikanische Original ,Pimp my Ride‘, bei der Schrottautos von einem Rapper skurril aufgepeppt werden“, erzählt der Medienpsychologe. In der Medienbranche – insbesondere bei der Entwicklung kostspieliger und langfristiger Produktionen wie TV-Serien – ist es üblich, Pilotsendungen zu produzieren und anschließend intensiv zu untersuchen, um die Serienstaffel möglichst erfolgreich zu gestalten. Kerkau sollte mit seinem Team herausfinden, welche Elemente in der Sendung die Zuschauer fesseln und wie der Hauptdarsteller, der Rapper Das Bo von der Hip-Hop-Gruppe „Fettes Brot“, beim Betrachter ankommt. Zwanzig Testpersonen mussten sich den Piloten dafür ansehen. In Kombination mit der Blickbewegungsregistrierung, „Eye-Tracking“ genannt, konnten die Wissenschaftler genau bestimmen, welches einzelne Element in der Sendung wie auf den Zuschauer wirkt: Ob der Blick gefesselt wird oder das Auge gelangweilt über das Bild wandert. „Das Ergebnis bei ,Pimp my Fahrrad‘ hat gezeigt, dass die Sendung zu lang war und die beiden Protagonisten nicht zusammenpassten. Am Ende wurde der Rapper ausgetauscht“, fasst Kerkau seine Analyse zusammen.

Das Verfahren, für das die Freie Universität Berlin ein Patent erhalten hat, eignet sich nicht nur für die Markt- und Medienforschung. „Es könnte theoretisch auch irgendwann einmal bei der Entwicklung von Lernsoftware eine Rolle spielen“, sagt Florian Kerkau. Dafür allerdings müsse es technisch noch weiterentwickelt werden. Sein Ziel ist es, dass Computer eine Rückmeldung über die jeweiligen Pupillenwerte erhalten und entsprechend darauf reagieren. „Je nach Pupillenwert könnte der Computer dann selbstständig andere Versionen einer Lernsoftware vorschlagen“, sagt Kerkau. „Denn oft überfordert man sich selbst unbemerkt und verliert dadurch die Lust. Da wäre es doch klasse, wenn ein Computer, oder vielmehr die Software, das Kursniveau automatisch an das Lernniveau des Nutzers anpassen würde.“

Kontakt: Dr. Florian Kerkau, Center for Media Research der Freien Universität Berlin, Telefon: 030/838-70532, E-Mail: info@eye-on-media.de, im Internet unter www.eye-on-media.de

Von Ilka Seer