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Zum Tod von Robert Gernhardt,

„Schließlich war ich Germanist“

Im April 2000 war er eingeladen, bei der Immatrikulationsfeier der Freien Universität Berlin die Begrüßungsrede zu halten. Gernhardt weilte als Stipendiat am Wissenschaftskolleg, und er wählte als Thema „Wer schreibt, bleibt. Doch was wird aus dem Leser?“ In der Rede dachte er öffentlich nach, wie aus Lektüre geistiger Besitz wird – und manchmal auch (wie beim Schriftsteller) materieller. Gernhardt, der Zeichner und Karikaturist, war ein passionierter Leser. Seine Parodien „In Zungen reden. Stimmenimitationen von Gott bis Jandl“ gehören zu den Perlen seines schriftstellerischen Werkes.

Als „Pardon“-Autor und Mitbegründer der Satire-Zeitschrift „Titanic“ galt Gernhardt lange Zeit als Nonsense-Lyriker in der Tradition von Ringelnatz und Morgenstern, aber auch in der Nachfolge von Wilhelm Busch (als Zeichner und Verseschmied). Das brachte ihm eine breite, vor allem auch junge Leserschaft. Wer sein Schaffen aufmerksam verfolgte, konnte merken, wie sich seit Anfang der Achtzigerjahre ernsthaftere Töne in sein breites Repertoire von Komik einnisteten. Die Gedichtbände „Körper in Cafés“ (1987) und „Weiche Ziele“ (1994) markieren diesen Weg. „Lichte Gedichte“ (1997) wurde dann vom überregionalen Feuilleton fast übereinstimmend hoch gelobt. Er war (im ironischen Ton Gernhardts) nun „anerkannter Gegenwartsliterat“. Die Autoren, mit denen er jetzt verglichen wurde, spiegeln sich in den späteren Literaturpreisen: der Bertolt-BrechtPreis (1998), der Erich-Kästner-Preis (1999) und der Heinrich-Heine-Preis (2004).

In diesem Berliner Sommer 2000 suchte Robert Gernhardt auch das Gespräch mit den Germanisten der Freien Universität Berlin, hatte er doch von 1962 bis 1964 in Berlin im Hauptfach Kunsterziehung an der damaligen Hochschule der Künste und im Nebenfach Germanistik an der Freien Universität Berlin studiert. Bevor er mit seinem Freund F. W. Bernstein (damals hieß er noch Fritz Weigle) nach Frankfurt zu „Pardon“ ging, hatte er noch sein Examen bei dem Literaturwissenschaftler und späteren Präsidenten der Freien Universität Eberhard Lämmert gemacht.

Gemäß Gernhardts Wunsch hatte ich ein Gespräch im privaten Kreis arrangiert. Es wurde nicht ein Gespräch nach dem Muster Autor–Forscher, sondern wir unterhielten uns wie Kollegen über die Geschichte der Literatur und wie man sie lehren könne, denn er war ja ein großer Kenner der Literatur und wollte sie lehren; ursprünglich als Lehrer („schließlich war ich staatlich geprüfter Kunsterzieher und, nach vier Semestern Freie Universität, sogar Germanist“), später durch viele seiner Texte – vermutlich dauerhafter.

Literaturwissenschaftler tun sich nach meiner Erfahrung häufig schwer in der Begegnung mit lebenden Autoren, insbesondere wenn es um Humor, Satire, Ironie mit und ohne tiefere Bedeutung geht, in denen Gernhardt Meister war. Der Kontakt zu ihm blieb locker; es gab Vorgespräche eines Kollegen der Germanistik zu einer Einladung im kommenden Jahr – er wäre dann 70 geworden. Dazu wird es jetzt nicht mehr kommen. Robert Gernhardt starb am 30. Juni an Krebs. Aber: „Wer schreibt, bleibt.“

Von Hartmut Eggert, Professor a. D. für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin und studierte dort im gleichen Zeitraum wie Robert Gernhardt.

ACH

Ach, noch in der letzten Stunde
werde ich verbindlich sein.
Klopft der Tod an meine Türe,
rufe ich geschwind: Herein!

Woran soll es gehen? Ans Sterben?
Hab ich zwar noch nie gemacht,
doch wir werd'n das Kind schon
schaukeln –
na, das wäre ja gelacht!

Interessant so eine Sanduhr!
Ja, die halt ich gern mal fest.
Ach – und das ist Ihre Sense?
Und die gibt mir dann den Rest?

Wohin soll ich mich jetzt wenden?
Links? Von Ihnen aus gesehn?
Ach, von mir aus! Bis zur Grube?
Und wie soll es weitergehn?

Ja, die Uhr ist abgelaufen.
Wollen Sie die jetzt zurück?
Gibt's die irgendwo zu kaufen?
Ein so ausgefall'nes Stück

Findet man nicht alle Tage,
womit ich nur sagen will
– ach! Ich soll hier nichts mehr sagen?
Geht in Ordnung! Bin schon

Aus: Robert Gernhardt, „Lichte Gedichte“, Zürich: Haffmans Verlag, 1997, Seite 206