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Student der frühen Stunde

Vor 50 Jahren erhielt Walter Greiner sein Diplomzeugnis

Zeit war ein kostbares Gut – damals in den Nachkriegsjahren. „So viel Zeit war durch den Krieg verloren, wir wollten nur schnell fertig werden“, erinnert sich Dr. Walter Greiner, einer der frühen Absolventen der Freien Universität Berlin. 50 Jahre ist es her, dass der gebürtige Berliner sein Abschlusszeugnis überreicht bekam. Am 21. Juli 1956 verließ Walter Greiner nach nur sieben Semestern die Hochschule als Diplom-Kaufmann.

Das Studium gestaltete sich für Walter Greiner – wie für viele seiner Kommilitonen – als entbehrungsreiche Zeit. „Gebüffelt wurde nachts, für Repetitorien zwischen 22 Uhr und Mitternacht mussten wir die doppelte Gebühr bezahlen“, erzählt der Jubilar. Doch die Nachtschichten waren Pflicht, ebenso der Austausch mit Kommilitonen über verpasste Vorlesungen. Denn tagsüber arbeitete Walter Greiner als Labour Advisor und Dolmetscher für die Britische Militärregierung. „51 Stunden die Woche, da war kein Platz für Schlendrian.“ Häufig übersetzte er in der Alliierten Kommandantur in der Kaiserswerther Straße 16–18 in Berlin-Dahlem, dem heutigen Sitz des Präsidenten der Freien Universität. Das lag in direkter Nachbarschaft zu der Villa am Corrensplatz, in der Walter Greiner nach der Arbeit für eine Karriere in der freien Wirtschaft studierte.

Dass Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Industriebetriebslehre die richtige Entscheidung sei, stand für den Kriegsheimkehrer schnell fest. „Ich interessierte mich sehr für Wirtschaft, wir erlebten damals ja gerade das Wirtschaftswunder.“ Für seine akademische Ausbildung fand der Student einen der besten Lehrer: den renommierten Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Erich Kosiol. „Kosiol hat viel gefordert, aber auch gefördert.“ Fordern, aber das Fördern darüber nicht vergessen, hat sich Walter Greiner später als Personalchef selbst zum Leitspruch seiner Arbeit gemacht. Am 15. Februar 1956 gab der Student bei Professor Kosiol seine Diplom-Arbeit zum Thema „Erfassung und Gliederung der betrieblichen Sozialleistungen in der Industrie“ ab.

Kurz hielt es ihn nach Abschluss des Studiums noch bei der Britischen Militärregierung. Doch schon im Mai 1957 wechselte Walter Greiner als Personalleiter in die Weltzentrale der Telefunken AG mit Sitz in Berlin. 14 000 Mitarbeiter beschäftigte das Elektrounternehmen damals in der Stadt, 36 000 weltweit. „Ich war mit der Koordinierung des Personals in rund zehn Fabriken beauftragt“, so der Diplom-Kaufmann. Zehn Jahre blieb er Telefunken treu. Dann erfolgte die Eingliederung des Unternehmens in die AEG und die Verlagerung des Hauptsitzes. „Ich sollte nach Frankfurt ziehen, doch das konnten sie mit mir Urberliner nicht machen.“

Der Betriebswirt wechselte als Chef für Personal-, Sozial- und Bildungswesen zum Maschinenbau- und Apparatehersteller Borsig AG. Dort etablierte er eine komplett neue Führungsmannschaft, „machte die Braut schön“, wie er sagt, auf dem Weg vom Staatsbetrieb in die Privatisierung.

Bei Borsig erreichte Greiner auch der Anruf von Bernhard Plettner. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Siemens AG engagierte Walter Greiner 1971 als Personaldirektor für die zum Konzern gehörende Osram GmbH und berief ihn gleichzeitig zum „Berlin-Beauftragten“ des Konzerns. Dass Osram mit wesentlichen Teilen der Fertigung in Berlin blieb, gehört zu den Verdiensten Walter Greiners. In einer Zeit „als viele wegwanderten“, führte er die Osram-Werke in die Zukunft und legte mit den Grundstein für das moderne Werk am Nonnendamm. Immer wieder war es für Walter Greiner eine Herausforderung, Spitzenkräfte davon zu überzeugen, dass in der geteilten Stadt ganz besondere Aufgaben warteten. So war es nur konsequent, dass der Diplom-Kaufmann sich zu einem weiteren Karriereschritt entschloss. Zu einer Zeit, als die Entscheidung anstand, mit 60 Jahren in Rente zu gehen oder noch einmal Verantwortung zu übernehmen, wechselte er als Geschäftsführender Gesellschafter zu Kienbaum, dem Marktführer in Sachen Personalberatung. Von 1980 bis 1996 vermittelte er in der Berliner Dependance Posten und Personen, beriet Unternehmen und entschärfte mit seinem Team Führungs- und Firmenkrisen.

Nebenbei promovierte der Diplom-Kaufmann im Alter von 58 Jahren an der Universität Dortmund zum Doktor der Politischen Wissenschaft. Nach seinem Rücktritt als Geschäftsführender Gesellschafter bei Kienbaum blieb er noch bis zum Jahr 2002 dem Unternehmen als Beiratsvorsitzender verbunden.

Und heute? Vom Ruhestand will der aktive Rentner nichts wissen. Wie früher im Berufsleben hat er auch jetzt noch hier und dort seine Finger im Spiel. Greiner engagierte sich unter anderem als Richter am Sozialgericht Berlin und am Landesarbeitsgericht Berlin, Mitglied der Tarifkommission des Arbeitgeberverbandes der Berliner Metallindustrie, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen und als Ordentliches Mitglied der Vertreterversammlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Heute stützen sich Unternehmen wie die Conti-Reederei in München und die Bernsteintherme in Zinnowitz auf seinen Rat. Der Freien Universität ist Walter Greiner, wenn auch nur räumlich, treu geblieben. Seit vielen Jahren lebt der Student der ersten Stunde in Dahlem – nur einen Steinwurf entfernt von der von Norman Foster entworfenen Neuen Philologischen Bibliothek.

 

ZUR PERSON

Flugzeugführer mit Dolmetscherexamen

Dr. Walter Greiner wurde am 16. November 1925 im Berliner Osten – in Friedrichshain – geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Prenzlauer Berg.

Nach dem Abitur 1943 ging er als Kriegsfreiwilliger zur Luftwaffe, wo er zum Flugzeugführer ausgebildet wurde und eine Messerschmidt 109 im Jagdgeschwader flog. Schwer verwundet, geriet Greiner von 1945 bis 1946 in amerikanische Gefangenschaft. 1947 kam er in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach einigen Monaten entlassen wurde. Während seiner Gefangenschaft in den USA und in England legte der Berliner Dolmetscherexamina ab, die es ihm ermöglichten, in der Nachkriegszeit bei der britischen Militärregierung als Labour Advisor und Simultanübersetzer zu arbeiten.

1986 erhielt Walter Greiner aus der Hand des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz am Bande. Seit 1949 ist er mit seiner Frau Anita verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. use

Von Ulrike Seiler-Kapferer