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Ein alter Feind

IM BLICKPUNKT DER FORSCHUNG
Der Teufel – das Böse in Person

 

Lust und Ekel, Komik und Horror: In der Kulturgeschichte verkörpert der Satan viele Rollen – und ist dennoch nicht zu fassen

Von Peter-André Alt

Folgt man Goethe, so ist der Teufel ein ideales Objekt für Langzeitstudierende – mithin schon aus hochschulpolitischen Gründen ein problematischer Gegenstand. Im zweiten „Faust“ heißt es: „Bedenkt: der Teufel, der ist alt. So werdet alt, ihn zu verstehen!“ Für eine wissenschaftliche Annäherung an den Teufel birgt dieser Satz zwei Unzumutbarkeiten. Erstens bindet er die Erkenntnis des Teufels ans Alter und schließt damit die Jugend aus dem gelehrten Erkenntnisprozess aus. Zum zweiten wird der zitierte Satz von Mephisto formuliert, der zwar nicht der Teufel selbst, aber doch ein Untergebener aus seinem höllischen Gefolge ist.

Ob wir klug beraten sind, uns von einem Unterteufel Luzifers erklären zu lassen, was es mit dem Höllenfürsten auf sich hat, dürfte fraglich sein. Tatsache ist, dass die meisten Bestimmungen, die seit dem Altertum in den europäischen und außereuropäischen Kulturen in Umlauf über ihn sind, aus der Sicht des Guten – oder doch: behaupteten Guten – geboten werden und nicht aus der Perspektive des Bösen. Spricht der Teufel dagegen über sich selbst, so haben wir Gründe, skeptisch zu sein, ob seine eigenen Definitionen nicht nur ein Geflecht aus Paradoxien, Zynismen und Lügen bilden.

Typisch für den Zweifel an der Selbsterklärungskompetenz des Teufels ist das Christentum, das Luzifer als rebellierenden Engel beschreibt; vertrieben aus dem Himmel Gottes, gefallen aus dem Reich des Lichts in die ewige Finsternis, niedergefahren mit 660 Getreuen, bestraft für seine superbia, den Stolz des Ehrgeizigen, der Gott seinen Rang als Schöpfer streitig machte. So erscheint Luzifer, den die Gnosis den Lieblingssohn Gottes nennt, als Mangelwesen, als Ex-Engel, der in der Tiefe seines Inneren den Verlust betrauert, den dieser Sturz bedeutet. Seit Augustinus sieht das Christentum in ihm das Fehlen der Seinsmächtigkeit verkörpert: eine defizitäre Gestalt, die ihre himmlische Identität eingebüßt hat und nun unter unerfreulichsten Bedingungen im Schattenreich der Hölle vegetieren muss.

Für die christliche Lehre ist der Teufel aber auch ein klassischer Doppelspieler, der zwischen den Rollen des Akteurs und des Beobachters pendelt; der Soziologe Niklas Luhmann hat ihn daher als „Inkarnation“ der Paradoxie bezeichnet. Diese Paradoxie entsteht dadurch, dass der Teufel als mythologische Figur über die Abspaltung vom Guten geboren wird, mithin einzig im Verhältnis zu ihm existiert. Die Sünde, die der Teufel begangen hat, besteht, wie Luhmann bemerkt hat, in der „Beobachtung Gottes“. Als Veranschaulichung des verwerflichen Ehrgeizes, der zur Rebellion wider den Schöpfer treibt, verkörpert der Teufel den Inbegriff einer Gegenwelt, die sich nicht unter das Diktat einer zentralen Himmelsordnung zwingen lassen möchte.

Wie bedeutsam dieses Moment der Paradoxie ist, verrät uns die Definition eines Theologen, der zu den herausragenden Vertretern der katholischen Dogmatik gehört: „Wenn man fragt, ob der Teufel Person sei, so müsste man richtigerweise wohl antworten, er sei die Un-Person, die Zersetzung, der Zerfall des Personseins und darum ist es ihm eigentümlich, dass er ohne Gesicht auftritt, dass die Unkenntlichkeit seine eigentliche Stärke ist.“ Diese Bestimmung stammt von keinem Geringeren als Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., der sich als Ordinarius für Geschichte und Systematik kirchlicher Lehrmeinungen immer wieder mit der Figur des Antichristen befasst hat.

Als Repräsentant eines ,Zwischen‘ erscheint der Teufel dem Theologen wie eine ,Un-Person‘, die den Glauben unterwandert, indem er Zweifel und Zweideutigkeit sät. Die „exorzistische Aufgabe des Glaubenden“ bestehe daher auch darin, so Ratzinger, die „Abgründe moderner Existenz“ zu erkennen und den Teufel in seiner realen Macht – eben jener Macht der Zweideutigkeit und des ,Zwischen‘ – zu erfassen. Wer die Gefahr, die von dieser Macht ausgehe, nicht wahrnehme, könne nicht in Christus leben.

Als Figur der Verbannung, der Revolte und Störung bündelt die mythologische Gestalt des Teufels jedoch nicht nur die Energien des Unglaubens, die ihm das Christentum zuschreibt. Seit der Antike hat ihm die Kulturgeschichte eine Vielzahl von subversiven Kräften zugedacht, an denen Schrecken und Faszination des Ungehorsams gegenüber Gott oder einem allgemeingültigen moralischen Gebot gleichermaßen sichtbar werden. In der Rolle des Abtrünnigen ist der Teufel unersetzbar, weil er das Böse, das ohne Bild abstrakt bleibt, im Körper zur Anschauung bringt. Es spricht für seine besondere Hartnäckigkeit, dass er seine schwerste Krise – die von der europäischen Aufklärung formulierte Kritik des Aberglaubens – relativ unbeschadet überlebt hat.

In der Literatur und Malerei der Moderne taucht er immer wieder auf, obgleich das Böse seit der europäischen Romantik in wachsendem Maße als Form dargestellt wird, die sich im Inneren des Menschen entfaltet – als Modus ohne greifbare Gestalt. Wer das Böse in den Zeichenwelten der Kunst zur plastischen Darstellung bringen möchte, kommt, so scheint es, ohne die Satansfigur nicht aus. Das zeigt die Literatur mit ihren üppigen Teufelsbildern und -geschichten: den Schauernovellen der schwarzen Romantik, den dekadenten Texten des Fin de siècle, den grotesken Mysterienspielen des Expressionismus; und das zeigt die bildende Kunst, die den Teufel zwar seit der Renaissance vermenschlicht, aber doch in ihrem Repertoire bis in die Moderne präsent hält (man denke nur an Barlach und Dalí).

Selbst ein Medium wie der Film demonstriert die ästhetische Leitfunktion des Teufels, den die Künste benötigen, weil er dem Bösen Gestalt und damit zugleich physische Gegenwart verleiht. Nicht zuletzt sind es die Theorieerzählungen der Moderne und Postmoderne, die sich mit der Teufelsfigur und ihrem traditionellen Verstörungspotential befassen – sei es in Gesten einer kritischen Rationalität (Freud), im Zuge einer Philosophie der Überschreitung (Georges Bataille) oder im Geltungsrahmen subversiver Denkmodelle, in denen Satan als Beobachter des Weltgeschehens, als Intrigant oder Parasit (Michel Serres), als Trickser und Magier, universeller Störer und Meister der Dekonstruktion in Erscheinung tritt. So zeigt sich, dass die oben genannte Funktion des Paradoxen eine ästhetische und zugleich erkenntnistheoretische Qualität besitzt, die sich in der Vergegenwärtigung des Teufels manifestiert. Gegenwart des Teufels – das bedeutet, dass ein Prinzip durch Bilder beglaubigt wird; es besagt zugleich, dass sich einmal mehr die Einsicht bestätigt, wie wenig die Kunst ohne das Dunkle glänzen kann.

Betrachtet man die Vielfalt der Rollen, die der Teufel in den Künsten einnimmt, so wird man allerdings vermuten dürfen, dass er neben dem Bösen noch etwas anderes zum Ausdruck bringt: das Bedürfnis nach einer unheimlichen Gegenwelt, die sich der Vernunft wie dem wahren Glauben entzieht; die Sympathie für ungelöste Widersprüche, die sich selbst unendlich fortzeugen; die subversive Lust an der Obstruktion, am Zynismus und am Trieb; das Vergnügen an der Blasphemie; das Gefallen an der Bloßstellung, der Verletzung von Spielregeln des Geschmacks und der Konvention.

Mit einem solchen Katalog geheimer, nach Schwefel riechender Lüste verbindet sich die Frage, ob der Teufel eine objektive Ordnung des Bösen verkörpert oder lediglich menschliche Bewusstseinseinstellungen, Ängste und Wünsche reflektiert, die sich einem eindeutigen Begriff entziehen. Wer die Vielfalt der kulturellen Konzepte erkennt, die sich hier zeigt, muss erkennen, dass der Teufel nicht nur ,das Böse‘ repräsentiert, sondern auch das Bedürfnis des Menschen, durch seinen Anblick eine verbotene Mixtur aus Lust und Angst zu erfahren.

Die Figur des Teufels wäre damit in eine Geschichte der Ästhetik als Geschichte gemischter Gefühle eingebunden. Unaufhörlich beweist sie den Reiz des Ambivalenten in den Mischungen von Sinnlichem und Ekelhaftem, Rührung und Schrecken, Komik und Horror, Pathos und Ironie. Vor diesem Hintergrund ist der Teufel ein Element der nicht mehr schönen Künste – eine Gestalt, die sich in ihrer Zweideutigkeit dem Zugriff der aufgeklärten Kritik ebenso entzieht wie einem dauerhaften Exorzismus.

ZUR PERSON

Der Literaturwissenschaftler Peter-André Alt

Peter-André Alt ist seit 2005 Professor für Neuere Deutsche Literatur am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin. Sein Studium der Germanistik, Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der FU schloss er 1984 mit der Promotion ab.

Bis 1992 blieb Alt als Lehrbeauftragter und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin. Nach seiner Habilitatin (1993) folgte eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Rostock. 1994/1995 war Peter-André Alt Heisenberg-Stipendiat der DFG und erhielt im Anschluss einen Ruf an die Universität Bochum. 2002 wechselte er an die Universität Würzburg.

Seit Februar 2006 ist er Studiendekan des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität. Der Träger des Marbacher Schiller-Preises (2005) forscht derzeit unter anderem über die „Literarische Ästhetik des Bösen“ und „Das politische Drama um 1800“. oh