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„Ein fast intimer Partner“

IM BLICKPUNKT DER FORSCHUNG
Der Teufel – das Böse in Person

 

Ein Gespräch mit dem Komparatisten Professor Gert Mattenklott über den Mythos Mephisto

Professor Gert Mattenklott arbeitet am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin. Im Rahmen der Vorlesungsreihe „Der Teufel – Stationen einer kulturgeschichtlichen Karriere“ beschäftigte er sich im vergangenen Sommersemester mit Mephisto und seinen literarischen Verwandlungen. Mit Gert Mattenklott sprach Ortrun Huber.

 

Seit wann ist die Figur des Teufels in der Literatur bekannt?

In unserem Kulturkreis begegnet er uns zuerst in der Bibel, etwa als Herausforderer Hiobs. In der deutschen Literatur des Mittelalters hat er eine folgenreiche Tradition begründet. Mephisto gilt als Inkarnation des Bösen; als jemand, mit dem man Verträge schließen kann, und der in verschiedensten Masken präsent ist. Besonders interessant ist hier die Tradition des so genannten Volksbuches, der „Historia von D. Johann Fausten“ aus dem 16. Jahrhundert. Wenn vom Teufel die Rede ist, wird übrigens nicht immer von Mephisto gesprochen. Wohl aber ist Mephisto immer ein Teufel. Es existiert eine ganze Ahnenreihe teuflischer Gestalten, angefangen von Luzifer über Satan und Beelzebub bis zu Asmodis.

Existiert die Figur des Mephisto in der Literatur auch ohne Faust?

So gut wie gar nicht. Mephisto und Faust sind meist ein Zwillingspaar. In Texten des 16. Jahrhunderts wird die Beziehung zwischen Mephisto und Faust sogar als Ehe oder Verheiratung bezeichnet, also als ein fast intimes Verhältnis in gegenseitiger Abhängigkeit. Denn Mephisto ist angewiesen auf die Verführbarkeit Fausts. Faust wiederum ist auf Mephisto angewiesen, weil er sich selbst und seiner Möglichkeiten – nicht nur zum Guten, sondern auch zum Bösen – durch ihn erst voll bewusst wird.

Mephisto reklamiert auch das Gute für sich, wenn er in Goethes „Faust“ sagt, er sei „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Heißt das: Ohne den Teufel kann das Göttliche gar nicht existieren?

Das ist richtig. Tatsächlich verkörpert der Teufel in der Mythologie stets die Abseite oder die verborgene, bedrohliche Innenseite des Guten. Der Teufel, das ist Luzifer, der gestürzte Engel, und in diesem Sinne ist er auch der Gegenspieler Gottes in der Welt. Das heißt aber auch, dass es den Teufel ohne das Gute gar nicht geben kann.

Während im Mittelalter noch die Vorstellung vom Teufel als einer eigenständigen Figur existierte, glaubt man seit der Aufklärung eher, dass der Teufel im Menschen selbst steckt. Sind die Gespräche zwischen Mephisto und Faust damit also nur Selbstgespräche des modernen Menschen?

Die Idee, dass der Dialog der beiden eigentlich ein Selbstgespräch ist, das in der Auseinandersetzung eines ungleichen Brüderpaares gestaltet wird, entstand im späten Mittelalter an der Schwelle zur Neuzeit. Indem der Teufel aber nicht mehr als wirkliche Gestalt in Erscheinung tritt, sondern als eine Projektion des Inneren, wird auch seine Darstellbarkeit immer schwieriger. Mephisto muss immer märchenhaftere Züge tragen, seine Verkörperungen werden immer willkürlicher. Denn sein allegorisches Maskenspiel entspricht einer Konfliktsituation, die sich im Inneren abspielt. In der Mythologie wird also ein wirkliches Vertragsverhältnis geschlossen, zu dem der Teufel beschworen wird und der in Pech und Schwefel auch wirklich auftritt. Später versucht der Mensch dann, mit dem Bösen in sich selbst in ein vertragliches Verhältnis zu kommen.

Kann man den Teufel auch in der modernen Literatur aufspüren?

Zum Teil taucht der Teufel auch später noch auf, im Opernrepertoire und im Theaterrepertoire des 19. Jahrhunderts etwa, aber auch wieder im 20. Jahrhundert, wenn man an Thomas Manns „Doktor Faustus“ denkt, an den Mephisto-Roman seines Sohnes Klaus, an Bulgakows „Der Meister und Margarita“ oder an Hanns Eisler mit seinem Projekt einer deutschen Nationaloper „Johann Faustus“. Im Rückblick auf die große Tradition der Teufels-Mythologie wird das Motiv aber häufig eher spielerisch verwendet. Die Attraktivität des Stoffes nimmt in unserer Zeit ab. Es gibt zwar nach wie vor literarische Werke, die sich dieser mythologischen Gestalt bedienen, aber das Böse hat heute andere Figurationen als den Teufel oder Mephisto. Hannah Arendt hat von der Banalität des Bösen gesprochen und damit Gestalten wie den SS-Führer Adolf Eichmann gemeint: Es sind Männer des Grauens, die als Bürokraten vermeintlich nichts als ihre Pflicht erfüllten und ein Potenzial haben, das frühere Zeiten satanisch oder teuflisch nannten.

Ist der Teufel denn ein deutsches Thema?

In gewisser Weise schon, weil in Deutschland der einsame „Selbsthelfer“, wie Faust ihn verkörpert, immer eine große Rolle gespielt hat. Sein dämonisches Potenzial tritt im Teufel nach außen. Als Vorbild Fausts diente ja der Intellektuelle, der in Deutschland in früheren Jahrhunderten nicht besonders breit vertreten war. Daher hat das einzelne Individuum als Genie, das sich auf alle möglichen Weisen selbst hilft, zum Beispiel als Teufelsbündler, hier immer eine größere Rolle gespielt als anderswo. Dennoch ist das Auftauchen des Teufels nicht etwa nur ein „deutsches Ereignis“. Wir sind ja heute Zeugen, wie das Erbe der gnostischen Tradition – also das Aufteilen der Welt in Gut und Böse, in Licht und Finsternis – auf dem amerikanischen Kontinent, speziell in Nordamerika, ein geradezu bestürzendes Ausmaß erreicht: Wenn Saddam Hussein als Teufel in Menschengestalt oder Bin Laden als Satan erscheint, ist dies nicht nur metaphorisch, sondern durchaus ernst gemeint. Der Kampf von Licht und Finsternis ist in der politischen Rhetorik der US-Präsidenten von Ronald Reagen bis George W. Bush ein stabiler Topos.

Der Teufel steht ja nicht nur für das Böse und als Gegenspieler des Guten. Es sind auch andere Paarungen denkbar: etwa der Teufel als Verfechter des Zweifels gegenüber der Erkenntnis. Ist das ein Muster, in dem sich die Wissenschaft wiederfindet?

In früheren Jahrhunderten wurde das Böse durchaus als das zerstörerische, das verneinende Prinzip begriffen. Heute sind wir darauf aufmerksam geworden, dass Verneinung nicht nur das Prinzip des Bösen und Zerstörung mitnichten nur teuflisch und satanisch ist. Vielmehr kann in der Destruktion auch produktives Potenzial liegen. Die Französische Revolution, der wir letztlich unsere Demokratie verdanken, wäre wohl ohne die Entfesselung ihrer schrecklichen destruktiven Energien erfolglos geblieben. Diese Einsicht zwingt zu einem abwägenden und eher ambivalenten Verhältnis zu jenen Energien, die man ansonsten dem Reich der Finsternis zuschlagen würde.

Über welche Themen würden sich Mephisto und Faust heute unterhalten?

Die Themen, die uns heute ständig beschäftigen, liegen gar nicht so weit weg von denen, über die Mephisto und Faust nachgedacht haben. Da ist zum Beispiel die Zeugung künstlichen Lebens aus menschlichem Omnipotenzwahn – immer schon ein Thema der Faust-Mythologie. Ein anderes, auch heute noch aktuelles Motiv taucht in einigen Bearbeitungen des Faust-Stoffes im späten Mittelalter auf. Da tritt Faust als „Schwarzkünstler“, das heißt auch als Erfinder der Buchdruckerkunst, in ein Bündnis mit dem Teufel. Erblickt ein neues Medium das Licht der Welt, so scheint immer der Teufel die Hände im Spiel zu haben. Hier wird scheinbar gezaubert und betrogen, indem nicht mehr das Authentische und Einmalige gilt, sondern das Reproduzierte, das sich – in Bleisatz gegossen – verselbstständigt. Auch das ist ja ein Thema geblieben: die unheilvolle Macht der Medien, die eine Unterscheidung von Realität und Fälschung nicht mehr zulassen. Ein weiteres aktualisierbares Thema ist die Zerstörungsgewalt, die die Menschen durch Technologien aller Art bei der Naturbeherrschung erlangt haben. Anstelle der Meeresküstenkolonisation, für die Faust den Teufel bemüht hat, scheint für viele Menschen heute Kernspaltung und Gentechnik zu stehen.