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Auf der Suche nach der Chance

Volker Perthes leitet den einflussreichsten Think Tank Deutschlands – und kommt als Honorarprofessor an die Freie Universität

Von Oliver Trenkamp

Politiker aller Bundestagsfraktionen lassen sich von ihm beraten – wegen seines Sachverstandes und seiner Expertise. Journalisten aller bedeutenden Blätter führen gern Interviews mit ihm – wegen seiner klaren Sprache und der Fähigkeit, Kompliziertes einfach zu erklären. Und Studierende schätzen seine Lehrveranstaltungen – weil er sich an der Praxis orientiert und Wissenschaft betreibt, um Dinge zu verändern. Es gibt wenige Akademiker, denen so viel Aufmerksamkeit zuteil wird wie Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Er selbst würde bestreiten, dass dieser Erfolg vor allem mit seiner Person zu tun hat – sondern auf die Institution verweisen, die er jetzt seit einem Jahr leitet und für die er seit über 14 Jahren arbeitet. Ganz Unrecht hat Perthes nicht. Die Stiftung Wissenschaft und Politik gilt als einflussreich – die Tageszeitung „Die Welt“ beschrieb sie als den „größten außenpolitischen Think Tank Europas“. Anfang der sechziger Jahre wurde die Stiftung auf private Initiative hin gegründet als „unabhängige, gemeinnützige, wissenschaftliche Einrichtung“. Ihr Zweck: den Bundestag und die Regierung zu beraten. Früher residierte die Stiftung in Ebenhausen im Isartal, seit 2001 firmiert sie in Berlin und erhofft sich mehr Nähe zur Politik.

Gefördert wird sie aus Bundesmitteln. In ihrer Art ist sie einzigartig in Deutschland – eben weil diese Stiftung nicht nur berät, sondern auch forscht. „Mindestens 50 Prozent unserer Arbeit ist die wissenschaftliche Forschung“, sagt Direktor Perthes. Denn ohne diese Basis könne es keine langfristig gute politische Beratung geben, jene Analysen für Politik, Medien und Gesellschaft, die die andere Hälfte von Perthes Arbeit ausmachen. Die Ratschläge der Stiftung richten sich immer in die Zukunft: So kam im August 2006 eine Schrift zur den „Aufgaben und Chancen der deutschen Ratspräsidentschaft“ heraus – Monate, bevor die Bundesrepublik Anfang 2007 den Vorsitz in der EU übernimmt.

Es hat aber auch mit Perthes selbst zu tun, dass er ein so viel gesuchter Ansprechpartner ist. Sein jüngstes Buch „Orientalische Promenaden“ steht beispielhaft für die Art des promovierten und habilitierten Politologen, Komplexes anschaulich zu machen. Fünf Reisen in den Nahen und Mittleren Osten beschreibt der 48-Jährige mit den klassischen Mitteln der Reportage. Da schreibt er von frisch gepressten Obstsäften auf dem Basar oder Tee-Besuchen bei Buchhändlern. Die Besuche führen ihn nach Ägypten, Israel und Palästina, Saudi-Arabien, in den Irak und den Iran. Das Buch ist aber viel mehr als ein Erlebnisbericht: Hier reist kein Fremder, der sich durch die exotische Welt beeindrucken lässt. Mit dem geschulten Blick des Politikwissenschaftlers analysiert er die großen Zusammenhänge in der Region. Wenige Europäer kennen sich so gut in der arabischen Welt aus wie Perthes. Auch das macht ihn zu einem viel gefragten Mann. Aufenthalte seines Vaters führten ihn früh nach Saudi-Arabien und Ägypten und weckten sein Interesse. Mit einer Arbeit über Syrien promovierte er, im Libanon lehrte er als Assistenzprofessor an der American University in Beirut, Arabisch spricht er fließend. „Weil ich dort lange gelebt habe, habe ich noch immer viele Freunde in der Region“, sagt er.

Doch wie gelingt es ihm, die gegenwärtige Krise im Nahen Osten professionell zu betrachten? „Eine wissenschaftliche Ausbildung hilft“, sagt Perthes. Man dürfe sich nicht entmutigen lassen, wenn nicht beim ersten oder zweiten Versuch der Konflikt gelöst werde. Der wissenschaftliche Vergleich mit anderen Konflikten zeigte ihm: Es gibt immer eine neue Chance. „Das macht es einfacher mit Rückschlägen umzugehen.“ Aber natürlich fühlt er sich auch persönlich betroffen. Er spricht von einer „Kombination aus Trauer und Zorn und Sorge: Sorge um die Menschen, Trauer um die Chancen, die vertan werden, und Zorn über jene, die diesen Krieg losgetreten haben.“ Aber als Politikberater weiß er: „Politik ist die Kunst des Möglichen.“ Es sei falsch, sich frustrieren zu lassen, auch nicht durch die „vielen Rückschläge, die es im Nahen Osten gegeben hat.“

In Zukunft wird Perthes auch als Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin lehren. Im kommenden Sommersemester soll es ein Seminar zum Thema Terrorismus geben. „Ich will mit den Studierenden zusammen Folgendes herausfinden: Wie wird das Handeln von Regierungen dadurch beeinflusst, dass sie Terrorismus unterschiedlich wahrnehmen, dass es dazu unterschiedliche Diskurse gibt?“, sagt Perthes. Praxis steht dabei im Vordergrund: „Die Texte, die wir lesen, werden von beteiligten Akteuren kommen“ – von Regierungen, Militärs und Wirtschaftsunternehmen.

Seine Disziplin begreift er dabei als „politische Wissenschaft“, als eine Wissenschaft, die den handelnden Akteuren dabei helfen will, rationale Entscheidungen zu treffen. „Die Berührungsängste zwischen Wissenschaft und Politik, die es früher einmal gegeben hat, sind glücklicherweise verschwunden“, sagt er. Gleichzeitig müsse sich auch der akademische Nachwuchs bewusst machen, dass er klar genug arbeiten und deutlich formulieren müsse, um von politischen Entscheidungsträgern gehört zu werden. „Wir dürfen uns nicht zieren“, sagt er, „sonst überlassen wir die Deutungshoheit anderen, die keine Expertise haben.“ Perthes selbst wird weiter deuten. Und er wird gehört werden, von der Politik, von den Medien – und nun auch von Studierenden der Freien Universität Berlin.