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Magister auf Umwegen

EINE LOBBY FÜR DIE HOCHSCHULE
Alumni-Aktivitäten an der Freien Universität Berlin

Weil er in der DDR nicht studieren durfte, ging Jürgen Engert in den Westen

Von Ortrun Huber

In einer Porträtserie berichten wir über die Studienzeit prominenter Alumni der Freien Universität Berlin. Teil 1: der TV-Journalist Jürgen Engert.

Jürgen Engert Foto: MDR Ferfnsehen

Studieren dürfen. Für Jürgen Engert war das nach dem Abitur 1954 keine Selbstverständlichkeit. Nicht etwa, weil seine Eltern eine akademische Ausbildung abgelehnt oder die Schulnoten für ein Studium nicht ausgereicht hätten. Für den gebürtigen Dresdner und späteren Journalisten war der Weg zur Immatrikulation aus politischen Gründen weit – und damit auch in geografischer Hinsicht. „Mein Vater war Apotheker und als Bürgerkind war es in der DDR schwer, einen Studienplatz zu bekommen“, erzählt der Mann mit der markanten Stimme, der den Fernsehzuschauern als Macher des Politmagazins „Kontraste“ und durch seine „Tagesthemen“-Kommentare in Erinnerung geblieben ist. Sein Gesuch, in Halle Medizin zu studieren, wurde abgelehnt. „Ich hatte extra ein möglichst unpolitisches Fach gewählt – aber umsonst.“

Also ging der damals 19-Jährige in den Westen und immatrikulierte sich an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo Verwandte der Familie lebten. Nach zwei Semestern zog es den Studiosus jedoch wieder gen Osten – in die Zeitungsstadt Berlin. „Ich wollte schon damals Journalist werden. Für mich gab es einfach keinen spannenderen Ort.“ Engert studierte an der Freien Universität. Seine Fächer konnte er nun nach Neigung wählen: Geschichte, Germanistik, Philosophie. Viele seiner Kommilitonen stammten wie er aus der DDR, doch ein enger Kontakt entstand nicht. Noch größer waren die Berührungsängste zu den Studierenden aus dem Westen. „Man saß zwar gemeinsam in den Seminaren, aber man siezte sich“, erinnert sich Jürgen Engert. „Und auch ansonsten blieben die Leute aus Ost und West jeweils unter sich.“ An Wohngemeinschaften oder Lerngruppen war nicht zu denken.

Dieser Distanz ist es wohl geschuldet, dass Engert heute kaum weiß, was aus seinen früheren Kommilitonen geworden ist. „Ich halte sehr lockeren Kontakt zu zwei Studienkollegen, der eine ist Mediziner, die andere Lehrerin geworden.“ Einen Universitätsdozenten hat der Journalist allerdings in guter Erinnerung behalten. „Ich hörte Geschichte bei Professor Carl Hinrichs“, erzählt Engert. Eines Tages, kurz vor Weihnachten, erklärte der bekannte Historiker und damalige Direktor des Friedrich-Meinecke-Instituts vor Beginn der Vorlesung: „Ich weiß, dass viele von Ihnen dieses Jahr nicht nach Hause kommen werden. Wenn Sie mögen, kommen Sie zu uns.“ In jenem Jahr verbrachte der spätere SFB-Chefredakteur den Heiligen Abend zusammen mit einem Dutzend Kommilitonen bei seinem Professor. Angesichts des sonst so förmlichen Umgangs ein wirklich besonderer Abend.

Wie alle Studierenden aus der DDR bekam Engert zur Unterstützung ein Stipendium: 80 West-Mark Währungsbeihilfe. Zum Leben reichte das nicht. Miete, Essen, Busfahrschein und natürlich Studiengebühren mussten bezahlt werden. Also hieß es: zügig studieren und in den Semesterferien nach Gelsenkirchen fahren. „Dort gab es im Bergbau besonders viel zu verdienen“, sagt Engert. Während des Semesters hospitierte der Nachwuchsjournalist bei „Der Abend“, einer West-Berliner Boulevardzeitung, die leichte Lektüre mit inhaltlichem Anspruch verband. Jahre später sollte Engert Chefredakteur des Blatts werden.

Auch heute ist Engert seiner Alma Mater verbunden. Er engagiert sich als Vorstandsmitglied in der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin. An eine aktive Lehrtätigkeit, etwa im Bereich „Praktischer Journalismus“, denkt der langjährige Chefredakteur und Medienprofi aber nicht: „Manche Erfahrungen muss man selbst machen. Die kann man einfach nicht vermitteln.“

ZUR PERSON

Der TV-Journalist

Jürgen Engert wurde am 17. Januar 1936 in Dresden geboren. Nach dem Studium an der Freien Universität Berlin (1956 bis 1960) ging er als politischer Redakteur zum West-Berliner Boulevardblatt „Der Abend“. 1974 wurde er dort Chefredakteur. Ab 1980 arbeitet Engert als freier Autor, 1983 wurde er Hauptabteilungsleiter Politik beim Sender Freies Berlin (SFB), 1987 SFB-Chefredakteur Fernsehen. Ab 1998 baute Jürgen Engert als Gründungsdirektor das ARD-Hauptstadtstudio auf, das er bis zu seiner Pensionierung 2001 leitete. oh