Springe direkt zu Inhalt

Starke Forschung über schwache Anziehungskräfte

Für die Entwicklung großer Anionen erhält Ingo Krossing den Otto-Klung-Weberbank-Preis

Von Matthias Manych

Die Arbeit mit negativ geladenen Atomen scheint bei Ingo Krossing viel positive Energie freizusetzen. Als kurz vor Ende des Vortrags über seine Arbeit im voll besetzten Saal des Harnack-Hauses in Berlin-Dahlem der Akku seines Laptops streikt, nimmt es der Chemiker mit Humor. Dass ausgerechnet ihm das passiert, ist in gewisser Weise Ironie des Schicksals. Denn nur wenige Augenblicke zuvor hat Krossing den Otto-KlungWeberbank-Preis für seine Forschungsarbeiten erhalten, die dazu beitragen können, dass unter anderem Akkus in Laptops und Mobiltelefonen in Zukunft länger durchhalten. Dafür entwickelte der 38-jährige Professor für Anorganische und Analytische Chemie an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg neuartige, große Anionen, die er mit einem Teflonmantel umhüllte. Die Otto-Klung-Stiftung an der Freien Universität und die Weberbank vergeben den mit 50 000 Euro dotierten Preis jährlich wechselnd an junge deutsche Physiker und Chemiker.

Ingo Krossing Foto: Elke Jung-Wolff

Anionen sind negativ geladene Atome und unter anderem als Chlorid-Ion in Kochsalzkristallen enthalten. Schon unter einem einfachen Lichtmikroskop ist die würfelförmige Struktur der Salzkristalle zu erkennen. Was man nicht sieht: Einem Chlorid-Ion folgt stets ein positiv geladenes Natrium-Ion, immer im Wechsel. Entscheidend dafür sind die Anziehungskräfte zwischen Anionen und ihren positiv geladenen Gegenspielern, den Kationen – je kleiner die Ionen, desto stärker ziehen sie sich an. Salze geben nicht nur Würze, sie leiten auch Strom und sind notwendiger Bestandteil von Batterien, Katalysatoren oder Kondensatoren. Ihre Bedeutung macht Krossing an einem Beispiel deutlich: Eine normale, elektrisch angetriebene Lokomotive brauche in ihren Kondensatoren acht Tonnen elektrolytische Salze, um in Schwung zu kommen.

Batterien benötigen hohe Leitfähigkeiten, damit sie schnell und ausreichend Strom liefern. Auf ihrem Weg zwischen Plus- und Minuspol (Anode und Kathode) begegnen sich Kationen und Anionen. „Je größer ihre gegenseitige Attraktion ist, desto schwieriger kommen sie aneinander vorbei und desto geringer ist die Leitfähigkeit. Bei größeren Teilchen hat man geringere Anziehungen und höhere Leitfähigkeit“, erklärt der Chemiker. Ein etwas größeres Chlorid-Anion mit sieben Atomen dient in Lithium-Ionen-Batterien, die unter anderem Laptops mit Strom versorgen, als Elektrolyt. Doch das Problem mit den herkömmlichen Batterien hat Krossing gerade selbst erlebt: Sie entladen sich relativ schnell und gehen kaputt, wenn sie überladen oder zu heiß werden. Größe und Stabilität des Anions reichen also noch nicht aus.

Durch „Teflonat“, einem riesigen Aluminium-Anion mit robuster Teflonhülle, werden Akkus und Batterien zukünftig noch ausdauernder. Grafik:Ingo Krossing

Dem wollte der Freiburger Wissenschaftler Abhilfe schaffen und in der nächsten Vergrößerungsstufe ein stabiles, immer wieder verwendbares Anion entwickeln. „Hier kommt das Teflon ins Spiel. Um das Anion besonders robust zu machen, wäre es ideal, ihm einen Teflonüberzug zu geben“, erklärt Krossing. Tatsächlich gelang es dem Wissenschaftler und seinem Team, um ein Aluminium-Anion einen Mantel zu legen, der chemisch mit Teflon identisch ist. Dieses von den Forschern kurz „Teflonat“ genannte Anion ist im Vergleich zum Chlorid-Ion geradezu riesig, immerhin ist es 21-mal größer. Mit dieser Größe lassen sich jetzt sehr schwache Anziehungskräfte zu Kationen herstellen und interessante Grenzbereiche der Chemie ausloten, so der Preisträger. Dass das neuartige Anion dank Teflonhülle auch sehr robust ist, haben Tests in Kooperation mit einem Produzenten von Lithium-Ionen-Batterien bewiesen. Nach einer Woche bei 80 Grad Celsius im Backofen funktionierte die Batterie immer noch. Ein herkömmlicher Akku hätte da schon längst versagt.

Krossings wissenschaftliches Schlüsselerlebnis ereignete sich in der Zeit nach seiner Doktorarbeit. „Ich konnte Anionen nur in geringen Mengen herstellen und brauchte dafür zwei Wochen. Die Anionen-Synthese durfte aber nicht der limitierende Faktor sein“, erläutert der begeisterte Grundlagenforscher. Also beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema, auch weil der Chemiker wenig Lust verspürte, stets zwei Wochen auf seine Anionen zu warten. „In gewissem Sinne also aus Faulheit“, sagt der Wissenschaftler augenzwinkernd. Jetzt können im Freiburger Institut in einem einfachen Arbeitsschritt 250 Gramm hergestellt werden, und das, so Krossing, lasse sich auch relativ problemlos im großtechnischen Maßstab erweitern.

Die entwickelten Reaktionsschritte und Erkenntnisse stehen bereits in den Neuauflagen der Lehrbücher und finden jetzt ihren Weg in technische Verfahren. Ingo Krossing betont, dass er und sein Team diese Anionen zunächst aus reiner Neugier an der Stabilisierung von ungewöhnlichen Teilchen entwickelten: „Nun zeigt sich, dass sie für viele Anwendungen sehr gut geeignet sind.“ Neben neuen Batterie- und Akku-Generationen sind auch effizientere Katalysatoren möglich. Denn viele technisch eingesetzte Katalysatoren sind chemisch so reaktiv, dass der Prozess bei minus 60 bis minus 80 Grad ablaufen muss, während dies mit einem stabileren Anion bei Raumtemperatur möglich wäre. Hier könnte also viel Energie und Geld gespart werden. Auf der Liste der Möglichkeiten stehen außerdem leistungsfähigere Hybridautos, umweltschonendere Kunststoffproduktion sowie verfeinerte Medikamentsynthese. Entsprechend groß ist das Interesse der Industrie.

Ausschlaggebend für die Verleihung des diesjährigen Otto-Klung-Weberbank-Preises an Ingo Krossing war die Kombination von hervorragender Grundlagenforschung und ihren vielen Bezügen zur praktischen Anwendung. „Wir haben uns diesmal ganz bewusst für jemanden entschieden, der handfeste Chemie macht, der Substanzen herstellt, weil diese Fähigkeit ein bisschen in Vergessenheit gerät“, erklärt Hans-Ulrich Reißig, Vorsitzender der ständigen Auswahlkommission für die Preisvergabe im Bereich Chemie der Freien Universität Berlin. „Dann haben wir zusätzlich festgestellt, dass diese Arbeit in erheblichem Maße in andere Gebiete ausstrahlt. Mit den neuartigen Anionen hat Krossing ein Werkzeug entwickelt, mit dem man hervorragend neue interessante Atome untersuchen kann, was auch für die Organische und Theoretische Chemie wichtig ist.“ Der Otto-Klung-Weberbank-Preis wird in Fachzeitschriften ausgeschrieben. Zusätzlich werden ausgewiesene nationale und internationale Forscher um Vorschläge gebeten, zum Beispiel die Gutachter im Bereich Chemie der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Zusammenarbeit der Otto-KlungStiftung an der Freien Universität Berlin und der Fördergesellschaft der Weberbank gGmbH hat das Ziel, hervorragende junge Wissenschaftler in Deutschland auszuzeichnen. Das Engagement der Weberbank erklärte Vorstandsvorsitzender Guido Mundt: „Deutschland hat keine Rohstoffe – uns bleibt nichts anderes übrig, als in Bildung zu investieren.“

Der Preis ist in Deutschland mittlerweile die höchstdotierte wissenschaftliche Auszeichnung in Physik und Chemie aus rein privatwirtschaftlicher Finanzierung. „Die Weberbank geht hier mit gutem Beispiel voran und zeigt, wie erfolgreich eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sein kann“, sagt Professor Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin. Auch Guido Mundt freut sich: „Wir sind stolz, Partner des Otto-Klung-Weberbank-Preises zu sein, zumal mittlerweile fünf unserer Preisträger später den Nobelpreis bekommen haben.“ Er sei Ingo Krossing aber auch sehr dankbar, so der Weberbank-Chef, „weil mein Laptop künftig am Flughafen nicht mehr so schnell schlappmachen wird.“

DER PREIS

Der Otto-Klung-Weberbank-Preis wird im jährlichen Wechsel für Physik und Chemie an herausragende deutsche Wissenschaftler verliehen, die jünger als 40 Jahre alt sind. Seit 2001 geschieht das in Kooperation zwischen der Otto-Klung-Stiftung an der Freien Universität Berlin und der Fördergesellschaft der Weberbank. Der Preis ist – dank eines privaten Stifters, der das bisherige Preisgeld verdoppelt hat – seit 2005 mit 50 000 Euro dotiert und soll die Wissenschaftler in ihrer Arbeit bestärken. Er zählt zu den renommiertesten Wissenschaftspreisen für Physik und Chemie in Deutschland und ist zudem die höchstdotierte Auszeichnung aus privaten Mitteln. „Damit geben die Kooperationspartner des Otto-Klung-Weberbank-Preises ein Beispiel, das Mut macht und hoffentlich Nachahmer findet“, sagt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der die Schirmherrschaft für den Preis übernommen hat. Alle bisherigen Träger des Otto-Klung-Weberbank-Preises sind heute in wichtigen wissenschaftlichen Positionen anzutreffen. Viele haben weitere renommierte Wissenschaftspreise erhalten, fünf von ihnen den Nobelpreis. is

Weitere Informationen unter: www.otto-klung-weberbank-preis.de