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Alles nur Reklame

Vor 50 Jahren flimmerte der erste Werbefilm in die deutschen Wohnstuben. Heute beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit den Fernseh-Spots

Von Ortrun Huber

Das erste Mal dauerte 57 Sekunden. Wenig Musik, starre Szenerie und dann noch in Schwarz-Weiß. Was da am 3. November 1956 in deutschen Wohnstuben flimmerte, schien wenig Erfolg versprechend. In einer biederen Wirtshausszene pries Schauspieler Beppo Brehm die Waschkraft von Persil: „Der gebildete Mensch sagt nur Persil. Persil – und nichts anderes.“ Kanal frei für den ersten Werbeslogan im deutschen Fernsehen.

50 Jahre später ernährt TV-Werbung nicht nur ein Heer von Media-Agenturen, Werbemachern und Fernsehsendern. Sie beschäftigt auch eine ganze Reihe von Forschungsdisziplinen: „In der Fernsehwerbung wird nichts dem Zufall überlassen“, sagt Dr. Klaus Goldhammer, Lehrbeauftragter an der Arbeitsstelle für Kommunikationspolitik und Medienökonomie der Freien Universität Berlin. „Wie ein Spot wirkt, wann er am günstigsten gesendet wird oder ob er seine Zielgruppe erreicht – das alles wird von Mediaplanern, Psychologen und Marketingexperten ausführlich getestet und geplant“.

Das war nicht immer so. Zwar entdeckte die werbungtreibende Industrie den Reklamefilm Ende der 1950er Jahre als effektives Kommunikationsmedium. Aber die Spots waren meist nicht viel mehr als eine unterhaltsame Spielerei. Gezeichnete Figuren wie der kleine Sarotti-Mohr und sich reimende Slogans („Erhalt das Glück in deiner Eh’ durch ein Gerät von AEG“) prägten die Reklame. Dazu kamen typische „heimatfilmartige“ Szenen: „In der harmoniebedürftigen Nachkriegszeit war meist das traute Heim die Bühne, auf der sich die Werbefilme abspielten“, erklärt Matthias Spaetgens. Der Creative Director der Werbeagentur Scholz & Friends, mit der die Freie Universität Berlin in PR-Fragen kooperiert, sagt: „Würde man einem Zuschauer der 1950er Jahre einen Spot von heute vorführen – ihm würde vom Tempo der Bilder wohl schwindelig.“

Erst der gesellschaftliche Aufbruch führte in den 1960er Jahren auch in der Fernsehwerbung zu mehr Freiheiten. Der deutsche Fotograf und Werbemacher Charles Wilp lancierte mit „Sexy-mini-super-flower-pop-cola. Alles ist in Afri-Cola.“ den treffenden TV-Werbeslogan für eine ganze Generation. „TV-Spots reflektieren immer die Wünsche und Ziele ihrer Epoche und erlauben damit stets Rückschlüsse auf die jeweilige Gesellschaft“, erklärt Klaus Goldhammer. TV-Werbung muss mit der Zeit gehen – und lässt deshalb selbst legendäre Reklamefiguren irgendwann zurück. Etwa das HB-Männchen: Bruno, so sein brancheninterner Spitzname, galt in den 1960er und 1970er Jahren als eine der bekanntesten Figuren des Werbefernsehens. Das tollpatschige und stets missgelaunte HB-Männchen schimpfte in den gezeichneten TV-Spots vor sich hin, um sich schließlich bei einer Zigarette zu entspannen. Der Slogan „Wer wird denn gleich in die Luft gehen…?“ verhalf der Zigarettenmarke HB zum Siegeszug. Trotzdem war 1984 für Bruno Schluss. „Abgesehen davon, dass Zigarettenwerbung seit 1972 nur noch im Kino gezeigt wurde, traf das HB-Männchen einfach nicht mehr den Geist der Zeit“, erklärt Professor Detlev Liepmann vom Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Freien Universität Berlin. „TV-Werbung muss überraschen und Neugierde wecken. Diese Emotionen wurden mit dem HB-Männchen zum Schluss nicht mehr assoziiert. Da war höchstens noch Nostalgie.“ Und Werbeprofi Spaetgens ergänzt: „Bruno hat zwar Humor und Witz in die TV-Werbung gebracht, und seine Sketche waren konsequent mit einem Markenversprechen verbunden. Doch gegen den Marlboro- oder den Camel-Mann hatte er später keine Chance. Denn er hatte weder Freunde noch das Potenzial, eine Frau kennenzulernen.“

Bereits in den 1950er Jahren hatten die TV-Sender gezeichnete Maskottchen für ihre Werbeblocks entworfen. Unter den ersten war Leo, der unternehmungslustige Löwe des Bayerischen Rundfunks, und der „Fern-Sehhund“ Onkel Otto des Hessischen Rundfunks. Es folgten unter anderem „Äffle und Pferdle“ (SDR), das „Bärchen“ (SFB) und seit 1963 im ZDF natürlich die Mainzelmännchen mit ihrem berühmten „Guten Aaaaaaaaabend.“ Die lustigen Gesellen dienten dabei nicht nur dem Amüsement der Zuschauer. „Als trennendes Element zwischen den Spots sollten die Zeichentrickfiguren die einzelnen Werbebotschaften besser erinnerbar machen“, sagt Detlev Liepmann. „Und natürlich füllten sie auch die Pausen, wenn ein Werbeblock mal nicht ausgebucht war.“ In der ARD unterstützen die jeweiligen Maskottchen auch den regionalen Charakter des Vorabendprogramms. Seit Anfang 2005 sind Onkel Otto, Leo und Kollegen allerdings im Ruhestand, denn das ARD-Programm vor 20 Uhr wird nun zentral aus Frankfurt am Main ausgestrahlt.

Mit dem Start des Dualen Rundfunksystems in Deutschland 1984 und der damit verbundenen Zulassung rein werbefinanzierter, privater TV-Sender wandelte sich der Markt für Werbefernsehen fundamental. Waren es bis dahin die werbungtreibenden Unternehmen, die um die knappen Spotzeiten zu kämpfen hatten, so mussten sich nun die Sendeanstalten um die Werbungtreibenden bemühen. „Heutzutage informieren die Sender bereits vorab über ihr zukünftiges Programm und die damit anvisierten Zielgruppen und ,umwerben‘ damit die Unternehmen und Agenturen, die möglichst viel dieser Werbezeiten buchen sollen“, erklärt Professor Martin Eisend, Juniorprofessor am Marketing-Department der Freien Universität Berlin. Durch die private Konkurrenz sahen sich die öffentlich-rechtlichen TV-Sender ARD und ZDF plötzlich einem erheblichem Wettbewerb ausgesetzt. Die Zuschauer hingegen gewannen die Macht zu entscheiden, welches Programm und welchen Werbeblock sie sehen wollten. „Zappen“ wurde zur Kulturtechnik und die Fernbedienung in der Hand zum wichtigsten Hilfsmittel, um in der Werbeflut nicht unterzugehen. Nach Angaben des ARD-Werbevermarkters Sales & Services GmbH dürfen ARD und ZDF derzeit montags bis samstags vor 20 Uhr 20 Minuten Werbung senden. Die Privaten strahlen hingegen zu jeder Tageszeit und auch am Sonntag Werbespots aus – allerdings erlaubt das Gesetz hier nicht mehr als zwölf Minuten pro Stunde.

Die Art und Weise, wie Werbebotschaften heute vermittelt werden, variiert stark von Produkt zu Produkt. „Spannung, Tempo, Überraschung – das alles darf sein, so lange nur die Gefühlswelt der Zuschauer angesprochen wird“, sagt Wirtschaftspsychologe Detlev Liepmann. Und auch der Humor in den Spots sollte nicht zu kurz kommen, wie Marketingexperte Martin Eisend kürzlich im Rahmen einer Meta-Studie herausfand: „Humor wirkt in der Werbung nicht nur rein emotional, sondern fördert auch die Erinnerung und das Verständnis von Werbebotschaften. Je lustiger der Spot, desto mehr mögen die Konsumenten die Marke, und desto besser ist die Erinnerung daran“.

Ob lustig oder traurig, spannend oder einfach nur platt – TV-Spots sind auch im Zeitalter des Internets ein imposanter Wirtschaftsfaktor: Rund sieben Milliarden Euro setzt der deutsche TV-Werbemarkt jährlich um. So gilt Fernsehen unter Experten nach wie vor als das zentrale Werbemedium für Konsumartikel. Weder Zeitung noch Zeitschrift, Hörfunk oder Internet erreichen derartige Reichweiten. Die „best minute“ vor der Tagesschau sehen täglich mehr als fünf Millionen Bundesbürger. Martin Eisend: „Wenn man möglichst viele Konsumenten schnell erreichen will, um etwa eine neue Kaffeemarke zu etablieren, führt am Fernsehen kein Weg vorbei“.

Neben der Gestaltung ist für die werbungtreibenden Unternehmen aber vor allem die inhaltliche Idee eines TV-Spots wichtig, um ihre Botschaft erfolgreich an den Zuschauer zu bringen. „Was nutzen schönste Effekte, wenn die Pointe des Spots eine Enttäuschung ist?“, gibt Matthias Spaetgens von Scholz & Friends zu bedenken. Nur wer die Zuschauer ernst nehme, könne Sympathie für eine Marke erzeugen. Eine Ausnahme bestätigt jedoch die Regel: „In den Werbefilmen für Reinigungsmittel besteht das Hausfrauen-Klischee der 1950er Jahre bis heute fort“, so der Werbeprofi. Egal, ob Ariel, Spee oder Meister Proper – hier gilt immer noch die Devise: „Nicht nur sauber, sondern rein.“