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Dem Imperator in die Augen schauen

Studierende organisieren imposante Ausstellung mit 650 antiken Plastiken

Von Carsten Wette

Welcher Bürger Roms hätte es wohl gewagt, Julius Cäsar auf Augenhöhe zu begegnen, seinem Blick gar standzuhalten? Berliner und Besucher der Hauptstadt können sich diesem Nervenkitzel noch bis Februar 2007 ohne Gefahr für Leib und Leben hingeben – in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universität in Berlin-Charlottenburg. Dort sind in der Ausstellung „Schau mir in die Augen“ rund 650 antike Porträts aus der Zeit von 600 v. Chr. bis 600 n. Chr. versammelt. Zeitlich eingerahmt werden sie von Exponaten aus Ägypten und dem Vorderen Orient sowie aus dem Mittelalter und der Neuzeit. Die Herkunft der Gipsabgüsse liest sich wie das „Wer ist wer?“ berühmter Museen der Welt: Die Originale der Statuen, Büsten, Köpfe und Reliefs von einst Mächtigen und Geistesgrößen wie Nofretete, Homer oder Kaiser Augustus stehen in Sammlungen wie dem Louvre oder dem British Museum.

Mit viel Engagement haben Studierende für die Sonderschau gearbeitet. Foto: FU Berlin

Ebenso bemerkenswert wie das Spektrum der Exponate ist die Vorgeschichte der Ausstellung: Die Schau ist aus Lehrveranstaltungen am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin hervorgegangen. Beteiligt waren Praktikanten des neuen Bachelor-Studiengangs Altertumswissenschaften sowie Studierende des Ausbildungsweges „Restaurierung archäologischer Objekte“ an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. „Manche der Mitwirkenden haben sich für die Ausstellung einige Nächte um die Ohren geschlagen“, sagt der Kustos der Abguss-Sammlung und Akademische Rat am Institut für Klassische Archäologie, Dr. Klaus Stemmer. Falls die Beteiligten in ihrem späteren Berufsleben je wieder eine Ausstellung organisierten, so wüssten sie jetzt: „Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“

Die 50 Studierenden hatten eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen: Ausstellungspläne wurden entworfen und verändert, Podeste gestrichen und aufgestellt, schwere Skulpturen gereinigt und geschleppt – alles unter Zeitdruck. Irene Pfeffer, die im dritten Semester Kunstgeschichte studiert, kümmerte sich beispielsweise in akribischer Kleinarbeit um die Beschriftung der Exponate und gestaltete den Ausstellungskatalog, der stolze 906 Gramm auf die Waage bringt. „Es war ein einmaliges Erlebnis, dass wir eine komplette Ausstellung selbst organisieren durften“, meint die 21-Jährige. „Wer kann während eines Praktikums schon solch wertvolle Berufserfahrungen sammeln?“

Bei der Auswahl der Exponate setzten sich die Studierenden mit einer Fülle von Fragen auseinander – und ihre Antworten mussten dem Urteil der Wissenschaftler standhalten: Welche Plastiken stellen wir auf? Nach welchen Kriterien ordnen wir die Stücke? Gezeigt werden fast ausschließlich Stücke der erst 1988 wiederbegründeten Abguss-Sammlung der Freien Universität Berlin. „Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Berlin die größte Abguss-Sammlung der Welt“, sagt Klaus Stemmer. Doch viele Exponate wurden zerstört, geraubt oder waren während des Wiederaufbaus der Stadt nach 1945 dem Verfall preisgegeben. Inzwischen besteht die Sammlung aus rund 1900 Gips-Replikaten. „Ich lege Wert auf getreue Abgüsse“, sagt Kustos Stemmer. Weder wurde die Körnigkeit des Marmorabdrucks geglättet, noch wurden Schäden des antiken Originals ausgebessert. Wer genau hinsieht, erkennt sogar die Meißelspuren der Künstler.

Dem Besucher der Ausstellung wird wegen der begrenzten Fläche von 800 Quadratmetern suggeriert, er befinde sich in einem Wald von Statuen. Die Planer wollen auf diese Weise veranschaulichen, wie intensiv die Zeitgenossen der Antike dem Eindruck von Plastiken auf öffentlichen Plätzen und in Gebäuden ausgesetzt waren. „Alle Stücke sind didaktisch hoch interessant“, betont Stemmer. So kann man Cäsar in einem der zu Lebzeiten entstandenen Porträts vergleichen mit einem Cäsar-Auftragswerk des späteren Kaisers Augustus. Augustus ließ Cäsars Darstellung seinem eigenen Aussehen nachempfinden, um ihm als Adoptivsohn möglichst ähnlich zu sein.

Besucher, die in der Ausstellung realistische Porträts der Dargestellten erwarten, sehen sich also getäuscht: „In der Antike orientierte man sich selten am wirklichen Aussehen“, betont Archäologe Stemmer, der seit 1979 an der Freien Universität Berlin lehrt. „Die Auftragskünstler folgten den Normen ihrer Gesellschaftsschicht oder der Zeit. Gezeigt wird also nicht, wie jemand aussah, sondern, wie er oder sie aussehen wollte. Alle antiken Plastiken zielten auf eine bestimmte Publikumswirkung.“ Als Beispiel verweist Stemmer auf das Porträt des römischen Kaisers Nero, der von 54 bis 68 n. Chr. regierte. Nero ließ sich mit zusammengezogenen Augenbrauen abbilden, um als entschlossener Staatsmann zu wirken. Ganz anders bei dem gut viereinhalb Jahrhunderte vor Nero geborenen Platon, der ebenfalls Teil der Ausstellung ist: Die Porträts des griechischen Philosophen zeichnen sich durch einen nahezu völligen Verzicht auf individuelle Züge aus – Platon ließ sich als Mitglied einer Gemeinschaft präsentieren, in der sich alle Bürger den gleichen Normen verpflichtet fühlen: denen der athenischen Demokratie.

Besucher können den Spielarten der Darstellungsformen nachspüren, die Exponate aber auch einfach nur auf sich wirken lassen und dabei über Eitelkeiten der einst Mächtigen und ihrer Zeitgenossen lächeln. Eines der wenigen nach historischen Erkenntnissen bemalten Exponate zeigt den römischen Kaiser Marc Aurel mit goldenem Haar: nicht von Ungefähr, denn das Vorbild aus Fleisch und Blut puderte sich den Kopf mit Goldstaub, um die Untertanen im Sonnenlicht mit seiner Strahlkraft zu beeindrucken.

„Schau mir in die Augen ... Das Antike Porträt“, bis 18. Februar 2007, AbgussSammlung Antiker Plastik der Freien Universität Berlin, Schloss-Straße 69 b, 14059 Berlin-Charlottenburg. Öffnungszeiten: Do. bis So. 14 bis 17 Uhr, Eintritt frei. Internet: www.abguss-sammlung-berlin.de