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Mächtige Kardinäle

Wer hatte Einfluss in der Kirche des Mittelalters?

„Kardinäle – Glieder des Papstleibes oder Nachfolger der Apostel?“ Diese Frage kennzeichnet eine Kontroverse innerhalb der Kirche des Mittelalters: Waren die Kardinäle – ranghöchste Würdenträger nach dem Papst – nach der mittelalterlichen Körpermetapher als bloße Glieder dem Haupt, also dem Papst, untergeordnet? Oder waren sie wie er selbst Nachfolger der Apostel und ihm, dem Nachfolger Petri, damit eher beigeordnet? Der Erforschung des Kardinalats widmet sich ein wissenschaftliches Netzwerk, das über drei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Federführend sind zwei junge Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und der LudwigMaximiliams-Universität München.

„Die Frühzeit dieser Institution im 11. und 12. Jahrhundert ist vergleichsweise gut erforscht – als aus den Kardinälen, einer Gruppe zumeist alter Männer, eine schlagkräftige Truppe mit großer Machtfülle wurde“, sagt Dr. Ralf Lützelschwab, Historiker am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, der zusammen mit Dr. Jürgen Dendorfer von der LMU München das Netzwerk organisiert. Das Mittelalter, das ungerechtfertigt vielen immer noch als „dunkel“ gilt, war geprägt von der Auseinandersetzung zwischen weltlicher und geistlicher Macht. „Die Kirche machte ihre Ansprüche erfolgreich geltend“, so der 37-jährige Historiker, „und diese gesteigerte Macht musste in Strukturen überführt werden – und da spielten die Kardinäle eine große Rolle.“ Den Päpsten gelang es, in einer Reihe von Reformen den weltlichen Einfluss fast ganz auszuschalten und die Kirche aus eigenen Kräften zu erneuern und zu stärken. Im Zuge dieser Umwälzungen erlangten Teile des römischen Klerus an der Seite des Papsttums seit der Mitte des 11. Jahrhunderts Macht und Bedeutung weit über Rom hinaus. Seither standen sie als Kardinäle dem Papst beratend zur Seite und unterstützten ihn bei der Leitung der Kirche. Außerhalb Roms wirkten sie als Repräsentanten, oftmals als Abgesandte mit außerordentlichen Vollmachten. Die Kardinäle, die sich zunehmend als ein Kollegium verstanden, wollten nun stärker an der päpstlichen Herrschaft teilhaben. Die Ansprüche leiteten sie von ihrem Recht der Papstwahl ab. In der Kurie handelten sie an der Spitze wichtiger Ämter durchaus eigenständig neben dem Papst. Als Würdenträger prägten sie entscheidend das Erscheinungsbild der Papstkirche: Sie hatten eine bedeutsame Stellung im päpstlichen Zeremoniell, hielten Hof und wirkten als Mäzene.

Trotz der zentralen Stellung des Kardinalats lässt sich beim derzeitigen Forschungsstand nicht klar erkennen, welche Bedeutung dieser Institution in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens zukam. Es fehlen zeitübergreifende und vergleichende Studien. „Länder, in denen viel zum Thema geforscht wird, sind derzeit Deutschland, Italien und Frankreich. Ziel des Netzwerks ist es, die nationalen Sichtweisen zusammenzuführen zu einer europäischen Perspektive“, sagt Lützelschwab. Das internationale Netzwerk soll deshalb jungen und etablierten Forschern ermöglichen, Erkenntnisse auszutauschen, neue Fragen zu entwickeln und auch auf das Wissen auswärtiger Experten zurückzugreifen. Die Wissenschaftler werden regelmäßig in Berlin und in München tagen. Als erstes Ergebnis steht ein Sammelband an, der die bisherige Forschung bilanzieren und künftige Wege aufzeigen soll. Kerrin Zielke