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Mehr als Form und Farbe

Künstler der italienischen Renaissance kombinierten auf Altarbildern plastische und gemalte Teile - und schufen so einen neuen Illusionsraum

Von Iris Wenderholm

Seit der glanzvollen Wiedereröffnung des Bode-Museums ist auch für die Augen des Berliner Publikums die Skulptur der italienischen Renaissance wieder in ihrer ganzen Schönheit erfahrbar. Was lange hinter verschlossenen Türen verborgen war, tritt heute erneut umso stärker in das allgemeine Bewusstsein: Donatellos Tamburin schlagender Bronzeputto, die wunderbar lebensvolle Marmorbüste der Marietta Strozzi, Luca della Robbias Madonnen aus lasierter Terrakotta und viele andere Höhepunkte der Sammlung. Einzigartig ist die Aufstellungskonzeption des Bode-Museums, die verschiedene Bildmedien in den Räumen vereint. Ganz im Geiste des Gründungsdirektors Wilhelm von Bode, jedoch unter modernen Prämissen, ergänzen zeitgleich entstandene Gemälde die in den Kabinetten aufgestellten Skulpturen. Was im ehemaligen Kaiser-Friedrich-Museum in der Zeit des Historismus glücklich vereint war, wird in anderen großen Kunstmuseen der Welt meist streng getrennt voneinander präsentiert. Die reizvollen Ensembles im Bode-Museum vermitteln anschaulich, wie unterschiedlich, aber doch wiederum ähnlich, Skulptur und Malerei Frömmigkeitsvorstellungen und Schönheitsideale einer Zeit transportieren.

Das Sebastians-Tabernakel aus der Kirche Sant’Andrea in Empoli ist eines der schönsten Beispiele für die Verbindung von Plastik und Malerei in der italienischen Renaissance. Foto:Empoli, Museo della Collegiata die S. Andrea

Die gängige museale Aufstellungspraxis – selbst im Bode-Museum – täuscht jedoch über etwas ganz Wesentliches hinweg: die Tatsache nämlich, dass Werke der Plastik und der Malerei in der italienischen Renaissance auch auf einem einzigen Bildträger kombiniert werden konnten. Und dies war nicht nur bei nordalpinen Schnitzaltären der Fall: Im 15. und 16. Jahrhundert und damit in der Zeit, die man aufgrund der Wiederbelebung antiker Formen in Literatur und Kunst als Renaissance bezeichnet, existierte in Italien eine heute weitgehend vergessene Bildform, die wenig mit unserem Verständnis der Epoche gemein hat. Bühnenbildartig wurde eine einzige zentrale, meist farbig gefasste Heiligenskulptur von einem gemalten Hintergrund umfangen. Diese so genannten kompositen Altarbilder verschwanden jedoch aus dem Gedächtnis – weil sie bereits 100 Jahre nach ihrem Entstehen als unmodern empfunden und zudem Opfer eines langsamen Ikonoklasmus wurden, eines Ausverkaufs des kirchlichen Erbes. Eine veränderte Geschmackskultur beförderte die Zerstörung der künstlerisch eindrucksvollen Werke. Nach Skulptur und Malerei getrennt, wurden sie seit dem 18. Jahrhundert an die entstehenden Museen und an private Kunstliebhaber verkauft.

Die Kombination plastischer und gemalter Teile in einem Altarbild war bei Weitem kein randständiges Phänomen. Bezeichnenderweise betätigten sich erfolgreiche Künstler von dem Rang eines Filippino Lippi, Benedetto da Maiano, aber auch Pontormo und sogar Michelangelo mit der schwierigen Aufgabe. Weit mehr als 100 Werke konnten im Rahmen einer am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin entstandenen Dissertation nachgewiesen und teilweise rekonstruiert werden.

Eines der schönsten Beispiele, das noch dazu unbeschadet in der toskanischen Provinz überdauert hat, ist das Sebastians-Tabernakel in der Kirche Sant'Andrea in Empoli, für das Antonio Rossellino die Figur des marmornen Sebastian schuf. Francesco Botticini fertigte die seitlichen Tafeln mit der Darstellung der Engel und der beiden Stifter. Sebastian, der von den Gläubigen als Pestpatron gegen die alles vernichtende Seuche angerufen und um Hilfe gebeten wurde, wird hier über den trennenden Rahmen hinweg von Engeln verehrt und von zwei in kleinerem Maßstab dargestellten Stiftern angebetet. Als ein Glücksfall der Überlieferung ist es zu bezeichnen, dass die Umstände der Stiftung des Altarbildes bekannt sind. Kurz nach 1476 wurde es von Giovanfilippo Capacci für die Cappella di Santa Maria degli Angeli in Sant'Andrea in Auftrag gegeben. Der Anlass ist sprechend: Kurz zuvor waren Vater und Bruder des Giovanfilippo an der Pest gestorben, die Stiftung mit der Darstellung Giovanfilippos und seiner Mutter in ewiger Anbetung des Hl. Sebastian war mithin Ausdruck der Sorge um das Seelenheil der Verstorbenen und Zeichen der Hoffnung, selbst vor der Seuche verschont zu bleiben.

Der „schwarze Tod“ wurde in der frühen Neuzeit als die größte Bedrohung für Leib und Leben empfunden. So verwundert es wenig, dass die überwiegende Zahl der kompositen Altarbilder Pestheiligen geweiht ist. Denn gerade durch die Verwendung einer lebensgroßen und damit stark präsenten, von ihrer Wirkung her in den Betrachterraum eindringenden Skulptur konnte bei den Gläubigen des 15. Jahrhunderts das Gefühl hervorgerufen werden, der Heilige sei leiblich anwesend und erhöre ihre flehentlichen Bitten. Ästhetische Wirkung und Anforderungen der Volksfrömmigkeit erscheinen hier eng verzahnt miteinander in einem Bild. Während die Skulptur von den Zeitgenossen bereits als unvergleichlich schön bezeichnet und damit als Kunstwerk wahrgenommen wurde, bezeugen die Berührungsspuren am Fuß des Pestheiligen seine körperliche Verehrung. Die Darstellung des Schmerzes und dessen Überwindung durch einen „in Stein gemeißelten“ Glauben ließ Sebastian zu einem Vorbild christlichen Denkens und Handelns werden. Erst die Kombination von Skulptur und Malerei ermöglicht diese besonders starke Form der Verehrung, da die gemalten Partien die gewünschte Haltung und Verehrung der Betrachter abbilden, ohne von der Wirkung her mit der Skulptur in Konkurrenz treten zu können. Die Malerei bleibt der flachen Zweidimensionalität verhaftet und ist nicht in der gleichen Intensität wie die Skulptur ertast- und damit erfahrbar. Viel deutlicher als die weithin bekannten Beispiele italienischer Renaissancekunst zeigen die kompositen Altarbilder den engen Zusammenhang von Kunst und – teilweise abergläubischem – Kult in der frühen Neuzeit. Gleichberechtigt, so könnte man zugespitzt formulieren, standen in der Renaissance Anforderungen der ästhetischen und frommen Wirkung bei der Entstehung von Kunstwerken nebeneinander.

Die Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts verdient es, aus diesem Blickwinkel betrachtet zu werden. Selbst das wohl berühmteste Werk dieser Epoche, Michelangelos Pietà in St. Peter in Rom, so hat die Rekonstruktion ergeben, verfügte ursprünglich über einen gemalten Hintergrund, der die Skulpturengruppe mit der Darstellung des Kreuzes und des Kalvarienberges szenisch-räumlich und historisch einbettete. Wie die zahlreichen Schriften um 1500, in denen vom Besuch der verehrten Stätten im Heiligen Land berichtet wird, vermochte es Michelangelos in einen stimmungsvollen Hintergrund eingepasste Pietà, das Sterben Christi und die Trauer Mariens vor Augen zu stellen. Der Betrachter konnte so das seinen Glauben stärkende Erlebnis der Passion Christi am eigenen Leib erfahren. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist also die Erkenntnis, dass selbst künstlerische Höchstleistungen der italienischen Renaissance doch weit mehr als bisher angenommen der traditionellen Bildpraxis des Mittelalters verpflichtet waren.

Die Autorin promovierte 2004 an der Freien Universität Berlin und war von 2004 bis 2006 wissenschaftliche Assistentin an den Staatlichen Museen zu Berlin.