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Die Geburt der Artikel

Elisabeth Stark mit Max-Weber-Preis geehrt

Von Jan Bosschaart

Es ist eine Bilderbuchkarriere, die Elisabeth Stark gemacht hat: Studienabschluss mit 24 Jahren, Promotion mit 27, Habilitation mit 33 – und direkt danach ein Ruf als Professorin an die Freie Universität Berlin, das Angebot einer anderen Universität lehnte sie ab. Die 37-Jährige ist aber nicht nur in der Forschung aktiv, sondern auch beliebt bei den Studierenden.

Elisabeth Stark

E. Stark; Foto: Privat

„Naja“, sagt sie und hebt die Hände, „meinen Studenten bin ich meist zu theoretisch.“ Die Aufzählung ihrer rasanten akademischen Karriere ist ihr unbehaglich. Dann sagt sie Sätze wie: „Ich hoffe, für Blödsinn hält meine Arbeit niemand.“ Das darf man annehmen: Am 2. Dezember erhielt Elisabeth Stark im Herkulessaal der Münchner Residenz den renommierten Max-Weber-Preis für ihre Habilitationsschrift, die seit kurzem in Buchform vorliegt.

Darin findet sie eine neue Lösung der alten romanistischen Frage: Wie kommen die Artikel in die romanischen Sprachen, wo doch die „Muttersprache“, das Lateinische, artikellos ist? Dazu wertete Elisabeth Stark Schlüsselwerke der italienischen Literatur, etwa Boccaccios „Decameron“ und Dantes „Convivio“ aus. Die Geburt der Artikel lässt sich hier gut beobachten, denn die Meisterdichter hatten ein Problem: Sie verfassten Kunstwerke, aber nicht mehr im artikellosen Latein, sondern auf alttoskanisch, ihrem Dialekt, der bereits Artikel besaß. „Im Gegensatz zum Latein war diese Urform des Italienischen aber noch nicht normiert – es gab keine Texttraditionen dafür“, sagt Elisabeth Stark.

„Allgemein gesagt dienen Artikel in den modernen Sprachen dazu, Indefinitheit auszudrücken: also zu sagen, dass das Gemeinte für den Hörer nicht identifizierbar ist. Wenn ich etwa sage: ,Es kommt ein Mann herein‘, weiß der Hörer nicht, um welchen Mann es sich handelt – das ist eine Form von Indefinitheit“, erklärt die Professorin. Definit wäre hingegen das Subjekt in „Mein Bruder kommt herein“. Im Lateinischen konnte Indefinitheit über die Wortstellung und über Endungen ausgedrückt werden. Im Italienischen und allen anderen romanischen Sprachen hingegen gibt es dafür bestimmte und unbestimmte Artikel. Unter den Sprachen der Welt sind sie damit Exoten: Nur etwa acht Prozent aller Sprachen verfügen über bestimmte und unbestimmte Artikel, (fast) alle slawischen beispielsweise nicht – hier muss nach wie vor die Wortstellung die Indefinitheit anzeigen. Auch das Altdeutsche kam ohne Artikel aus.

Derzeit analysiert Elisabeth Stark Französisch und Spanisch auf eine ähnliche Entwicklung hin. Und Rumänisch: „Das ist besonders interessant, denn von den romanischen Sprachen braucht das Rumänische am wenigsten Artikel. Außerdem ist es stark von slawischen Einflüssen geprägt.“ Mit etwas Pech kommt sie hier zu spät: Die frühesten überlieferten rumänischen Schriften stammen aus dem 16. Jahrhundert – möglicherweise ist die Entwicklung der Artikel da schon vollständig vollzogen. „Das wäre schlimm für mich, denn ich bin unglaublich neugierig“, sagt sie.

Diese Neugier auf Sprache ist einer der Faktoren, die Elisabeth Starks rasante Karriere in der Romanistik erklären. „Aus Familientradition“ studierte sie zunächst in München Deutsch und Französisch auf Lehramt, wurde damit aber nicht glücklich. „Die Schulpraktika haben mir gezeigt, dass ich nicht zur Lehrerin tauge“, sagt sie. Dafür war die Sprachwissenschaft im ersten Semester für sie „wie ein Paukenschlag“. Fortan hatte Elisabeth Stark ihre Berufung gefunden. „Ich hatte viel Glück mit Förderern“, nennt sie einen weiteren Grund. Dass die Freie Universität das Ausnahmetalent in Bayern im Blick hatte und sie zur Bewerbung aufforderte, bevor ihre Habilitation abgeschlossen war, erstaunt sie noch heute.

Dafür hat sie sich vorgenommen, etwas zurückzugeben: Die Förderung ihrer Studierenden, das Anregen zu eigener Forschung betrachtet die Professorin als eine ihrer Hauptaufgaben. „Die Forderung nach einer Verbindung von Forschung und Lehre ist nicht nur ein Ideal“, sagt sie. Kommentare aus ihren Seminaren haben Elisabeth Stark schon häufiger bei ihren Untersuchungen weitergeholfen, und wenn sie den Studierenden eine Idee nicht vermitteln kann, „ist sie vielleicht noch nicht ausgereift“. Reine Forschungsinstitute hält sie daher für gefährlich: „Da neigt man dazu, nur in der eigenen Theorie zu kreisen. Außerdem sollten gute Leute an der Ausbildung teilhaben.“