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Zauberer des Zelluloids

Der kubanische Filmemacher Fernando Pérez vermittelt als Samuel-Fischer-Gastprofessor seine Liebe zum Kino

Von Julia Kimmerle

Der Seminarraum ist stickig, mit 60 Studierende voll besetzt. Alles starrt in eine Richtung. Vorne auf der Leinwand wabert die Luft über der Prärie, „Spiel mir das Lied vom Tod“ wird gezeigt. Es ist still im Raum, nur das Knirschen von Charles Bronsons Cowboy-Stiefeln ist zu hören. Und, irgendwann, auch die Stimme von Fernando Pérez: „Hören Sie das, diese Stille?“, fragt er, und sein Publikum lauscht. „Das sind zehn Minuten ohne Dialog, ohne Musik. Diese zehn Minuten, señoras y señores, haben Filmgeschichte geschrieben!“

Das Licht geht an, die Studierenden sind fasziniert. Fernando Pérez nickt zufrieden und fährt fort. Das Thema des Seminars, das der neue Samuel-FischerGastprofessor in diesem Wintersemester an der Freien Universität Berlin hält: „Mis experiencias como cineasta en Cuba después de la Revolución – Meine Erfahrungen als Filmemacher auf Kuba nach der Revolution“ . Mit seinen Erfahrungen könnte der Regisseur, Autor und Professor für Filmgeschichte mehr als nur ein Seminar veranstalten. Denn Fernando Pérez, der mittlerweile 16. Inhaber der Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur an der Freien Universität, ist der international bedeutendste Filmemacher Kubas.

1944 wurde Pérez in Havanna geboren. Schon als kleiner Junge faszinierte ihn das Medium Film. Sein Vater Alfonso, ein kultur- und kinobegeisterter Mann, nahm den Sohn mit zu seinem ersten Kinobesuch: ein amerikanischer Western mit vielen Indianern und einer blonden Schauspielerin in der Hauptrolle. „Ich saß in meinem Kinosessel und war begeistert!“, erzählt Pérez. Danach ließ ihn das Kino nicht mehr los. Noch als Kind wurde er zu seinem eigenen Produzenten: Er dachte sich selbst Filme aus und malte sie in einzelnen Szenen auf – kleine Storyboards auf einem Kinderblock. „Das waren in meiner Fantasie meistens großartige Western, oft mit ,20th Century Fox presents‘ im Vorspann. Und natürlich überlegte ich mir amerikanische Namen für meine Protagonisten.“ Pérez lacht. Der intellektuelle Filmemacher, der international als „Institution“ der kubanischen Kultur gilt, hat kein Problem damit, dass Hollywood seine Leidenschaft für den Film geweckt hat. Es war einfach Liebe auf den ersten Blick. Seinem Vater, der ihm diese Welt eröffnete, widmete Pérez später einen seiner schönsten Filme: „Hello Hemingway“.

Erste echte Erfahrungen mit Filmproduktionen machte Fernando Pérez während der Kuba-Krise 1962. „Das Land stand kurz vor einem Krieg. Merkwürdigerweise war es an diesen Tagen sehr kalt, das Meer war aufgewühlt. Jeder dachte, der Weltkrieg stünde kurz bevor, es herrschte Untergangsstimmung“, erinnert sich Filmemacher Fernando Pérez. „Und trotzdem ging das Leben weiter – es war verrückt.“

In dieser politisch brisanten Lage hatte er seinen ersten Job bei einer tschechisch-kubanischen Film-Produktion. „Ich war damals ,C-Assistent‘, was soviel wie Laufbursche bedeutete“, erzählt Pérez. Während die Sowjetunion und die USA die Welt an den Rand eines Atomkrieges führten, versuchte Pérez in Havanna Drehgenehmigungen zu organisieren. „Es war unglaublich, wie ruhig die Menschen trotz der Bedrohung waren“, erzählt Pérez. Später habe er sich immer privilegiert gefühlt, die aufregende und spannende Zeit der 1960er Jahre so bewusst miterlebt zu haben.

Fernando Pérez studierte Sprach- und Literaturwissenschaften an der Universität von Havanna. Danach arbeitete er als Regieassistent und Russischlehrer. Zwischen 1975 und 1985 drehte Pérez ein Dutzend Dokumentarfilme, viele gewannen internationale Auszeichnungen. Auch als Autor war Pérez erfolgreich: Für sein Buch „Corresponsales de Guerra“, in dem er den Kampf junger, nicaraguanischer Filmemacher gegen das Somoza-Regime beschreibt, wurde er 1982 mit dem Premio Casa de las Américas ausgezeichnet, dem wichtigsten Literaturpreis Kubas. In vielen seiner Werke geht es um die Auseinandersetzung junger Leute – mitsamt ihren Idealen, Träumen und Hoffnungen – mit der harten Realität. „Clandestinos. Gefährliches Leben“, Pérez erster Spielfilm von 1987, erzählt von jungen Revolutionären und ihrem noch ungebrochenen Glauben an die kubanische Revolution. 1990 kam mit „Hello Hemingway“ auch international der Durchbruch. In den USA, Frankreich und Spanien wurde der Film ausgezeichnet. Allein seine letzten beiden Filme „La vida es silbar“ („Das Leben ein Pfeifen“) und „Suite Habanna“ haben 30 Preise und Auszeichnungen gewonnen, unter anderem beim renommierten Sundance Film Festival, den Goya Awards und auf der Berlinale. Pérez Filme sind erfolgreich, auch ohne jedes Kuba-Klischee.

„Filme wie ,Buena Vista Social Club‘ hatten einen sehr positiven Effekt, zum Beispiel für die traditionelle kubanische Musik“, glaubt Pérez. „Aber das Leben auf Kuba ist, wie überall auf der Welt, sehr komplex – deshalb ist es mir wichtig, diese Komplexität zu zeigen und zu differenzieren.“

In Kuba werden die Filme von Fernando Pérez gefeiert, monatelang lief „Suite Habana“ vor ausverkauftem Haus. Das kubanische Publikum liebt den Regisseur, weil es sich in seinen Filmen wiederfindet. Auch das internationale Publikum mag die ruhigen, fantasievollen und künstlerischen Werke von Fernando Pérez. „Im Zentrum meiner Filme stehen immer die Menschen, die großen Probleme und Widersprüche unseres Daseins - das wird überall verstanden.“

Auch Fernando Pérez’ Begeisterung für Filme wird überall verstanden, vor allem von seinen Studierenden. Pérez, der drei Jahre akademischer Direktor der Internationalen Hochschule für Film und Fernsehen in San Antonio de los Baños war und an der Universidad de la Habana Filmgeschichte lehrt, ist ein beliebter Dozent. „Die Leidenschaft, mit der er über Filme spricht, ist einfach ansteckend“, erzählt ein Student begeistert. „Um acht Uhr abends kommt man aus dem Seminar und ist hellwach.“ Das hat vielleicht auch mit Pérez Auffassung von Unterricht zu tun. Wenn er mit Studierenden zusammenarbeite, versuche er immer, einen kreativen Raum entstehen zu lassen, in dem Kommunikation möglich ist. „Ich würde mir wünschen, dass meine Studirenden nach diesem Seminar Filme noch mehr lieben, als sie es jetzt vielleicht tun“, sagt Pérez. „Denn Filme“, fügt er hinzu, „bereichern das Leben.“

Weitere Informationen unter: www.fdk-berlin.de

 

ZUM THEMA

Die Inhaber der Samuel-Fischer-Gastprofessur

Die Samuel-Fischer-Gastprofessur wurde 1998 ins Leben gerufen. Die Einrichtung soll dem wissenschaftlichen und literarischen Leben Berlins internationale Impulse geben. Vor dem derzeitigen Inhaber Fernando Pérez hatten so renommierte Autoren wie Dubravka Ugresic, Amit Chaudhuri, Michèle Métail, Nora Amin, Feridun Zaimoglu, Etgar Keret, Alberto Manguel, Yann Martel, Robert Hass, Marlene Streeruwitz, Sergio Ramírez, Scott Bradfield, Kenzaburo Oe, V.Y. Mudimbe und Vladimir Sorokin die Samuel-Fischer-Gastprofessur an der Freien Universität inne. FU