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Die Welt zu Gast in Dahlem

Ausländische Autoren erzählen von Berlin

Die „Hauptstädte“ des weltweiten Literaturbetriebs sind New York und London, Paris und Barcelona, Frankfurt am Main – und ein wenig auch Berlin. Schriftsteller aus aller Welt werden von den zahlreichen Kulturstätten und Wissenschaftseinrichtungen Berlins angezogen oder von ihnen eingeladen. So auch die Schriftsteller, die von 1998 bis 2005 als Samuel-Fischer-Gastprofessoren an der Freien Universität lehrten. Der Lehrstuhl wird jedes Semester neu besetzt, gemeinsam vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, dem S. Fischer Verlag, dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck und dem Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin. Jeder der Gastprofessoren hat in Berlin einen Text hinterlassen; die Beiträge finden sich im kürzlich erschienenen Buch „Berlin Hüttenweg – Stadt erzählen“. Sehr unterschiedlich sind die fremden Blicke auf die Stadt, so unterschiedlich wie die Genres: Die Palette reicht vom Gedicht über den Bericht und das Tagebuch bis zu Erzählung und Kurzgeschichte.

Schriftsteller aus aller Welt lassen sich von Berlin inspirieren

Berlin Hüttenweg – der Sitz des gastgebenden Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Dahlem – ist Großstadt und Beschaulichkeit zugleich. „Und wo ist Berlin?“, fragte sich der kanadische Schriftsteller Yann Martel angesichts der Bäume, Seen und Villen. Doch auch das ist Berlin. Der gebürtige Chilene Antonio Skármeta, der als junger Mann schon einmal in Berlin gelebt hat, erzählt vom „alten West-Berlin“, vom Charlottenburger Savignyplatz und der aufgeheizten Stimmung der 1970er Jahre. Hier fällt der Student durch die „Aufnahmeprüfung“ einer Wohngemeinschaft. Feridun Zaimoglu beschreibt den Kurfürstendamm als „eine Nobelflaniermeile“, auf der sich Weihnachtsmänner, Konsumgegner und Änderungsschneider begegnen. Der japanische Autor Kenzaburô Ôe, der Ehrendoktor der Freien Universität ist, lässt sein alter ego vor Anfeindungen aus Tokio ins Wissenschaftskolleg im Grunewald fliehen. Die skurrile Geschichte des Mischlingsrüden Dazzle, der als Gastprofessor an die Freie Universität berufen wird, erzählt der Amerikaner Scott Bradfield. In einigen Texten sind die Berlin-Bezüge eher mittelbar: Alberto Manguel nimmt den Leser mit auf eine imaginäre Reise durch seine Bibliothek und zeigt die Räume des Gedächtnisses. So weben die Berlin-Texte Gebilde aus Gesehenem und Erinnertem, Erlebnissen und Reflexionen. Aus den Blicken, Szenen und Erinnerungen der Schriftsteller entsteht eine fragmentarische Topografie der Stadt.

Die Autoren des weltweiten Literaturbetriebs bewegen sich zwischen den Kulturen und Sprachen, das zeigen die angehängten Kurzbiografien des Buchs. So wurde V. Y. Mudimbe an einer Missionsschule in Zaire ausgebildet und lehrte an den amerikanischen Universitäten Stanford und Duke. Seine literarischen Texte schreibt er auf Französisch, einer der Sprachen seiner alten Heimat, der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Seine theoretischen Arbeiten verfasst er auf Englisch. Der deutsche Autor Feridun Zaimoglu hat die türkische Sprache seiner Eltern nicht vergessen, der Russe Wladimir Kaminer – Samuel-Fischer-

„Gaststudent“ – schreibt auf Deutsch. Auch Alberto Manguel ist in mehreren Sprachen beheimatet: Er wuchs in Argentinien und Israel auf. Seine Eltern schickten ihn nach Deutschland, um die Sprache zu lernen, und er lebt heute in Frankreich.

Berlin Hüttenweg: Die Autoren des Buchs beschließen ein Kapitel. Mit dem Umzug des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft Ende vergangenen Jahres wurde ein neues Kapitel geöffnet: Berlin Habelschwerdter Allee. Kerrin Zielke

Berlin Hüttenweg – Stadt erzählen, herausgegeben von Oliver Lubrich, Hans Jürgen Balmes, Matthes & Seitz, Berlin 2006, 288 Seiten, 18,80 Euro.