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Zellen online

Gescannte mikroskopische Präparate erleichtern Tierpathologen Forschung, Lehre und Diagnostik

Von Jan Bosschaart

Den Mikroskopier-Kurs für Pathologen hält Achim Gruber jetzt noch lieber. Bei 80 Studierenden vor 80 Mikroskopen konnte es früher durchaus stressig werden: Jeder sah in seinem Okular einen anderen Teil des Gewebeschnitts. Daher verbrachte Gruber, Professor und Direktor des Instituts für Tierpathologie der Freien Universität Berlin, viel Zeit damit, durch die Reihen zu gehen und Hilfestellung zu leisten. Zeit, in der er lieber darüber gesprochen hätte, woran die Studierenden eine Hepatitis beim Hund oder ein Fibrosarkom bei der Katze erkennen können.

Vor dem ScanScope: Achim Gruber und Olivia Kershaw.

Vor dem ScanScope: Achim Gruber und Olivia Kershaw. Foto: Jan Bosschaart

Diese Zeiten sind seit Kurzem vorbei. Die Lösung des Problems heißt ScanScope: eine Kreuzung aus Scanner und Mikroskop. Das Gerät funktioniert im Prinzip wie ein Fotoscanner: Die Vorlage – im Fotoscanner das Bild, im ScanScope der Gewebeschnitt – wird im Gerät abgetastet und als hoch aufgelöstes, digitales Bild dargestellt. Am Bildschirm kann sich der Nutzer tief in das Gewebe hineinzoomen – bis zu einer Auflösung, die der Wellenlänge des Lichts entspricht.

Für Achim Gruber ist das Gerät ein „technischer Durchbruch“. „Im 17. Jahrhundert war die Lichtmikroskopie eine Revolution. Das hier ist damit vergleichbar“, sagt er. Den Rechner und einen Internetzugang – mehr brauchen Studierende wie Forscher heute nicht mehr zum Mikroskopieren. Ein Server stellt die Präparate ins Internet, so sind sie von jedem Ort mit Netzzugang abrufbar.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Der online abrufbare Gewebeschnitt sieht für alle Nutzer gleich aus. Interessante Areale lassen sich markieren. Erläuternde Kommentare können angefügt werden, über einen Querverweis gelangt der Nutzer zu passenden Seiten im Netz – eine Datenbank mit Tierkrankheiten etwa, oder ein Forum. Die Studierenden haben jetzt noch mehr Freiheiten, weil sie nun von zu Hause aus studieren können.

Gruber und sein Team sind die ersten in der deutschen Tiermedizin, die solch ein Gerät einsetzen. Und sie tun dies konsequent: Als Erste stellen sie ihre Scans ins Internet, als bisher einziges setzt das Institut das ScanScope zur Ausbildung der Studierenden ein. Und Achim Gruber hat weitere Anwendungen im Blick: Gemeinsam mit Kollegen bereitet er ein histopathologisches Lehrbuch vor, das die Schnitte im Internet integriert.

Darin erschöpfen sich die Vorzüge der digitalen Mikroskopie jedoch nicht. Reale Präparate altern: Sie verändern die Farbe, sie können „Luft ziehen“ oder schlichtweg zerbrechen. Digitalisierung hingegen ist ein Schritt in Richtung Unsterblichkeit. Daten können beliebig oft kopiert werden, ohne sich abzunutzen. Diese Vorzüge haben Professor Gruber und seine Assistentin Dr. Olivia Kershaw im Blick, wenn sie derzeit histologische Sammlungen leihen und einscannen, um sie für immer zu konservieren.

Diagnostik am Mikroskop ist eine schwierige Kunst, bei der Erfahrung die Interpretation leitet. Eine zweite Meinung holt sich Achim Gruber jetzt binnen Minuten. Statt Präparate aufwändig zu verpacken und beispielsweise in die USA zu verschicken, sendet er heute einem anderen Spezialisten per E-Mail einfach einen Link zum gescannten Präparat. Der holt sich den Gewebeschnitt übers Internet auf den Monitor und ruft nach wenigen Minuten mit einer zweiten Einschätzung zurück. Nicht zuletzt erlaubt das neue Verfahren auch eine genauere Auswertung, als der Mensch sie allein leisten kann. Spezielle Programme zählen automatisch Blutzellen oder vermessen Einschlüsse auf den Mikrometer genau. Herkömmliche Methoden sind dagegen wesentlich aufwändiger und mit mehr Fehlern behaftet.

Heißt das, die Mikroskope der Pathologen sind nun überflüssig? „Keineswegs!“, sagt Achim Gruber. Auch in Zukunft muss jeder Tierarzt mikroskopieren können. „Ein ScanScope wird größeren Zentren vorbehalten bleiben und nicht in der tierärztlichen Praxis verfügbar sein. Außerdem lassen sich etwa Parasiteneier oder Kristalle, die eine gewisse Dreidimensionalität besitzen, unter dem klassischen Mikroskop besser erkennen.“ Und schließlich können die Pathologen an einem einmal gescannten Gewebe nichts mehr testen – etwa unter dem Mikroskop beobachten, wie es auf Färbeverfahren reagiert.

Digitale Präparate im Internet: www.vetmed.fu-berlin.de/einrichtungen/institute/we12/images/index.html