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Globalisierung sozial gestalten

Ein Stipendienprogramm unterstützt die Ziele der Vereinten Nationen

Von Carsten Wette

Im Januar 1999 brachte UNO-Generalsekretär Kofi Annan den Stein ins Rollen: Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos initiierte er einen Pakt zwischen den Vereinten Nationen und Unternehmen in aller Welt, um die Folgen der Globalisierung sozial und ökologisch abzufedern. Firmen, die diesen Global Compact unterstützen wollten, rief Annan dazu auf, sich universellen Prinzipien zu Menschenrechten, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung zu verschreiben. Inzwischen sind rund 3000 Unternehmen dem Aufruf Kofi Annans gefolgt und dem Global Compact beigetreten, darunter 91 aus Deutschland.

Einer UNO-Initiative gegen Misstände wie Armut können Unternehmen weltweit beitreten. Die Freie Universität Berlin bietet dazu ein Stipendienprogramm an.

Einer UNO-Initiative gegen Misstände wie Armut können Unternehmen weltweit beitreten. Die Freie Universität Berlin bietet dazu ein Stipendienprogramm an. Foto: photocase

In diesem Jahr wurde Annans Initiative nun um ein Element bereichert: Der US-amerikanische Freundeskreis der Freien Universität Berlin „Friends of Freie Universität“ rief in Kooperation mit dem Global Compact der Vereinten Nationen ein Stipendienprogramm ins Leben. Das „Kofi Annan Fellowship in Global Governance“ bringt neben der UNO und der Wirtschaft als dritten Partner die Wissenschaft ins Spiel: Beteiligt sind Universitäten wie die Freie Universität Berlin, die London School of Economics, das Institut d'Etudes Politiques in Paris und die Harvard University in Cambridge/Massachusetts sowie die Columbia University in New York. „Das ist ein schöner Erfolg für die Fortentwicklung unseres Konzeptes einer internationalen Netzwerkuniversität“ sagt Dr. Wedigo de Vivanco, Leiter des International Office der Freien Universität Berlin.

Thomas Risse, Professor für internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Freien Universität, schildert die Entstehung des Programms: „Wir haben eine Anregung des Auswärtigen Amts aufgegriffen und in Zusammenarbeit mit den Friends of Freie Universität Berlin und dem New Yorker Büro des Global Compact ein Konzept entworfen.“ Die Freie Universität habe deutlich machen wollen, dass sie sich der UNO verbunden fühle. Die „Friends of Freie Universität Berlin“ nahmen Kontakt mit dem Büro von Kofi Annan auf – und überzeugten: „Der UNO-Generalsekretär hat uns bei der Umsetzung des Projekts sehr geholfen“, sagt Hélène Sostarich-Barsamian, Geschäftsführerin der in New York ansässigen „Friends of Freie Universität Berlin“.

Die Freie Universität profitiert durch das Programm in Forschung und Lehre: „Wir werden unser Wissen um die Rolle von Unternehmen bei der Umsetzung internationaler Menschenrechts- und Umweltnormen vergrößern – und dieses Wissen der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen“, sagt Politologe Risse, der in diesem Wintersemester an der Harvard University lehrt. Diese Art des Wissenstransfers sei aus zwei Gründen ganz im Sinne der Vereinten Nationen, betont der Exekutivdirektor des Global-Compact-Büros in New York, Georg Kell, der wie Thomas Risse an der Entwicklung des Stipendienprogramms beteiligt war. Zum einen werde das Ziel der UNO vorangebracht, die Globalisierung ökologisch und sozialverträglich zu gestalten. „Außerdem werden künftige Führungskräfte darin geschult, zur Lösung globaler Probleme beizutragen.“

Das Programm dauert neun Monate und ist in drei Teile gegliedert: Drei Monate verbringen die Stipendiaten im Global-Compact-Büro in New York oder in einem von dessen weltweit rund 50 Netzwerk-Büros. Drei Monate arbeiten die Stipendiaten in einem Unternehmen, das das Programm unterstützt, drei weitere Monate forschen sie schließlich in einer der Partner-Universitäten.

Als erste Stipendiatin profitiert zurzeit die Doktorandin Christina Gradl von der wohl einzigartigen Zusammenarbeit zwischen UNO, Wirtschaft und Wissenschaft. Sie promoviert an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Wirtschaftsethik. In ihrer Arbeit geht sie der Frage nach, wie Unternehmen mit Hilfe innovativer Geschäftsmodelle zur Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern beitragen können.

Ein solches Ziel – mit unternehmerischer Tätigkeit soziale Verantwortung zu übernehmen – verfolgt auch jene Firma, die die Premiere des Stipendienprogramms finanziell unterstützt: die Karl Storz GmbH & Co. KG, ein weltweit operierender Hersteller endoskopischer Geräte. Das Unternehmen verpflichtete sich der UNO gegenüber vor zwei Jahren, die Grundsätze der Global-Compact-Initiative umzusetzen. Das Familienunternehmen sei allerdings bereits seit seiner Gründung 1945 bestrebt, diese Werte zu achten, betont die Geschäftsführerin Sybill Storz. Das Stipendienprogramm schätzt sie aber auch aus einem anderen Grund: „Es gibt nichts Wertvolleres für unser Land und unsere Gesellschaft als eine gute Ausbildung, die gezielt Theorie und Praxis miteinander verbindet.“ Dies allein könne Anreiz auch für andere Unternehmen sein, das Stipendienprogramm zu unterstützen, meint Sybill Storz.

Derzeit betreibt Karl Storz ein Projekt in Indien. Aufgebaut werden sechs Trainingszentren, in denen Ärzte von Ärzten in endoskopischen Behandlungsmethoden geschult werden. Das Unternehmen unterstützt somit die Verbreitung der Endoskopie, und – durch die Selbstverpflichtung der geschulten Ärzte – wird eine bessere medizinische Betreuung von Frauen vor allem in ländlichen Gebieten erreicht. Hier soll die Expertise der Stipendiatin Gradl zum Zuge kommen: „Ich untersuche, welche Herausforderungen Unternehmen wie Karl Storz antreffen, wenn sie ihre Leistungen auch Armen in einem Land wie Indien zugänglich machen möchten und wie diese überwunden werden können“, erklärt Christina Gradl. Dafür ist sie im Hauptsitz der Firma Storz im baden-württembergischen Tuttlingen sowie in den indischen Trainingszentren in Kalkutta, Delhi, Chandigarh und Lucknow im Einsatz. Im kommenden Jahr wechselt sie zunächst in das Global-Compact-Büro der UNO in New York, später forscht sie an der Harvard University.

Auch die Erfahrungen von Christina Gradl aus diesen Phasen des Stipendiums kommen Storz als Unternehmenspartner des Programms zugute, wie Politologie-Professor Thomas Risse betont: „Die Unternehmen bekommen so ein Feedback über ihr soziales Engagement von einer unabhängigen Quelle. Erreicht wird eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.“

Für die Geschäftsführerin der „Friends of Freie Universität Berlin“, Hélène Sostarich-Barsamian, steht vor dem Hintergrund der voranschreitenden Globalisierung fest: „Der weltweite Bedarf an Transparenz, Dialog und Zusammenarbeit war noch niemals größer. Angesichts der zunehmend komplexen Aufgaben in Politik, Wirtschaft und Umweltfragen bedarf es junger Führungskräfte, die sich diesen Herausforderungen stellen.“

 

STIPENDIENPROGRAMM

„Kofi Annan Fellowship in Global Governance“

Das Stipendienprogramm „Kofi Annan Fellowship in Global Governance“ steht Promovierten und Promovierenden aller Nationalitäten offen. Voraussetzungen für eine Bewerbung sind neben akademischer Expertise Erfahrungen aus der Unternehmenswelt oder aus Nichtregierungsorganisationen sowie exzellente Englischkenntnisse. Interessenten müssen darlegen, welche Erfahrungen und welches Interesse sie mit dem Globalen Pakt der UNO und dessen Zielen verbinden.
Bewerbungsschluss ist der 1. Mai 2007. Die Auswahl der Stipendiaten trifft ein Gremium international renommierter Experten. Das Stipendium deckt die Lebenshaltungs- und Reisekosten.