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„Deitsch is mei sprooch“

Ein transatlantisches Videoseminar untersucht deutsche Einwanderer und ihre Sprache

Von Gesche Westphal

„Oh, you're German? My grandmother was German, you know.“ Sätze wie diesen hört man als Deutsche in den USA immer wieder. Kaum verwunderlich, ist Amerika doch das Einwanderungsland schlechthin. In den meisten Fällen ist der Übergang von Europa zur Neuen Welt innerhalb von drei Generationen vollzogen. Und zwar in jeglicher Hinsicht: Identität, Sprache und Kultur sind für die Enkel eines Auswanderers die des neuen Heimatlandes.Was bleibt, sind vage Erinnerungen an die deutsche Großmutter und die diffuse Absicht, einmal das Land der Vorfahren, the old country, zu besuchen. Doch es gibt auch Ausnahmen.

Als as mer dun hen misse, war schaffe. Das klingt nach einem rechtschaffenen Schwaben? Fast richtig. Der Satz stammt von einer Sprecherin des Pennsylvania- Deutschen. Sie ist eine Nachfahrin von deutschen Auswanderern, die im späten 18. Jahrhundert in die USA kamen. Ein Antrieb der Emigranten war die Religionsfreiheit, die ihnen in Amerika garantiert wurde. Viele Lutheraner, Reformierte und Anabaptisten wagten den Neuanfang in dem von William Penn gegründeten Staat. Im deutschsprachigen Südwesten des Heiligen Römischen Reichs propagierten die Landesherrscher zu jener Zeit vor allem den Katholizismus nach dem Grundsatz Cuius regio, eius religio – Wes die Herrschaft, des die Religion. So kam es, dass am Ende des 18. Jahrhunderts gut ein Drittel der Bevölkerung Pennsylvanias entweder deutsch war oder deutsche Wurzeln hatte.

Die verbindenden Elemente für diese Menschen waren die Sprache (das Pennsylvania- Deutsch ist dem Vorderpfälzischen am ähnlichsten) und das Streben nach Religionsfreiheit. Während die Amish und Mennoniten – beides Gruppierungen der Anabaptisten – einst nur vier Prozent der ursprünglichen deutschen Einwanderer ausmachten, sind es heute fast ausschließlich sie, die noch „deitsch schwetze“.

Häubchen, Hut, Pferdewagen: Diese Menschen widersetzen sich Veränderungen. Ihre Sprache hat sich über Jahrhunderte erhalten; auch ihre Kultur ist einzigartig. Den Besitz von technischen Geräten, also zum Beispiel Auto oder Telefon, lehnen die Deutschstämmigen ab. Sie nehmen den Bus oder den Zug, und statt anzurufen, schreiben sie Briefe. Rund 200 000 Sprecher des Pennsylvania- Deutsch gibt es zurzeit – Tendenz steigend, denn jede Frau bekommt hier im Schnitt sieben Kinder.

Die deutschen Emigranten in Pennsylvania stellen nur eine Facette deutscher Auswanderung dar. Doch ihr Beispiel zeigt, wie die Entwicklung einer Migrationsgeschichte von vielen Faktoren, sowohl auf Seiten der Einwanderer als auch auf Seiten des Einwanderungslands, abhängt. Deutsche Emigranten, die sich geballt in einer Gegend niederließen, verband nicht nur eine gemeinsame Sprache, sondern auch das gleiche Motiv, sich in einem neuen Land anzusiedeln. Gleichzeitig war der Assimilationsdruck in der neuen Wahlheimat, einem noch jungen Staat, zunächst nicht sehr hoch. So blieb die deutsche Sprache vor allem bei denjenigen erhalten, deren religiöse Einstellung zu einer Distanz gegenüber dem sich herausbildenden kulturellen Mainstream führte. Heute sind die Rahmenbedingungen für Migration meist anders – und komplizierter – gelagert. Wie weit müssen Einwanderer ihre Identität an die neuen Gegebenheiten anzupassen? Was muss das aufnehmende Land für seine neuen Bewohner leisten? Welche Gegenleistungen darf es erwarten? Politisch aktuelle Fragen, die auch im Rahmen eines transatlantischen Videoseminars des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien (JFKI) an der Freien Universität gestellt wurden.

Im vergangenen Frühjahr fand das außergewöhnliche Seminar zum Thema German Language and Immigration in International Perspective im speziell eingerichteten Videokonferenzraum der Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung (ZEDAT) statt. Außergewöhnlich deshalb, weil drei Monate lang jeden Donnerstagabend eine Konferenzschaltung via Internet zwischen vier Universitäten aufgebaut wurde. Teilnehmer waren die University of Madison/Wisconsin, die University of North Carolina/Chapel Hill sowie die Freie Universität Berlin und die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Für die Freie Universität war dieses transatlantische Videoseminar unter der Leitung von Professor Carol Pfaff, der Leiterin der Abteilung Sprache am JFKI, das erste seiner Art. Der Titel der Veranstaltung German Immigration war dabei sorgsam gewählt, denn „deutsche Einwanderung“ ist ein doppeldeutiger Begriff. Dass die Deutschen in andere Teile der Welt auswandern, ist nichts Neues – das Selbstverständnis Deutschlands als Einwanderungsland schon eher. Beide Aspekte sollten im Fokus des Seminars stehen.

Ende September konnten sich Teilnehmer der Videokonferenz, die sich bereits von der Leinwand her kannten, in Madison/ Wisconsin persönlich kennenlernen. Im Rahmen eines zweitägigen Seminars stellten Studierende und Dozenten ihre Arbeiten vor. Dank der Unterstützung der Freien Universität Berlin konnten auch drei Studentinnen aus der Abteilung Sprache des JFKI sowie eine Germanistik- Studentin teilnehmen. Sie hatten Forschungsvorhaben zum Thema Sprachwandel, europäischer Sprachpolitik und Deutsch als Zweitsprache erarbeitet und mussten nun auf die kritischen Fragen und Anregungen ihrer transatlantischen Kommilitonen und Dozenten reagieren. Finanziert wurde die Tagung von der Freien Universität Berlin und der Viadrina sowie vom Deutschen Generalkonsulat Chicago, der University of Wisconsin und der Max Kade Foundation New York.