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Wenn die Natur erwacht

IM BLICKPUNKT DER FORSCHUNG Der Frühling

Gene, Licht und Wetter entscheiden, wann der Lenz uns endlich grüßt

Wenn sich in Feld, Wald und Wiese nach einem Winter alles regt und zu wachsen beginnt, spricht man vom Frühlingserwachen. Zaghaft oder explosiv, langsam oder schnell, verfrüht oder spät kann dieses jährliche Ereignis verlaufen. Dabei wird der Beginn des Frühjahrs entweder astronomisch (Frühjahrs-Tag-undNacht-Gleiche, dieses Jahr am 21. März), kalendarisch (ebenfalls 21. März), meteorologisch (1. März) oder phänologisch (nach den Entwicklungserscheinungen in der Natur) festgelegt. Während in den ersten drei Fällen ein festes Datum den Frühlingsanfang bestimmt, ist der phänologische Frühlingsanfang nicht so einfach zu definieren: Ist es der erste aus Afrika zurückgekehrte Storch, der abendliche Balzgesang der Amsel, die Blüte der Schneeglöckchen oder doch erst die spätere Blüte der Apfelbäume? Botaniker unterscheiden drei Frühlingsphasen: Der Vorfrühling beginnt meist schon Ende Februar oder Anfang März, wenn die ersten Schneeglöckchen erblühen und die Haselnuss, Schwarzerle und Salweide Pollen aus den in Kätzchen angeordneten, männlichen Blüten freisetzen. Florieren später die Forsythien, Ahorne und Kirschen, ist der Erstfrühling erreicht. Die Buschwindröschen gehen auf, und die Birken entfalten ihre Blätter. Der Vollfrühling ist erst mit der Blüte der Apfelbäume und des Flieders sowie dem Blattaustrieb der Stieleiche im April oder Mai erreicht. Das Wachstum und der Blühbeginn der Pflanzen sind an natürliche klimatische Schwankungen angepasst und damit nicht kalendarisch konstant. Daher ist der phänologische Frühlingsbeginn regional stark unterschiedlich, im Süden Deutschlands tritt er früher ein als im Norden, in der Ebene eher als in den Bergen. Selbst im Berliner Raum bedingen mikroklimatische Unterschiede einen um bis zu zwei Wochen versetzten Frühlingsbeginn von der Stadtmitte zu den Randbezirken.

Das Frühlingserwachen der Pflanzen wird durch ihre Gene bestimmt. So blüht beispielsweise die Haselnuss unter natürlichen Bedingungen stets früher als der Apfel. Der genaue Zeitpunkt wird jedoch durch Signale wie Tageslänge und Temperatur deutlich beeinflusst. So erblüht die erste Haselnuss oft schon im Februar, aber bei sehr harten Wintern durchaus erst im April. Die Ergebnisse einer Wissenschaftlergruppe um Federico Valverde zeigen, dass das Brechen der Knospenruhe ein komplexer, genregulierter Vorgang ist. So wirken verschiedene Farben des Lichts auf unterschiedliche Photorezeptoren und aktivieren die Herstellung spezifischer Genprodukte. Das komplexe Zusammenspiel der zum Teil gegensätzlich wirkenden Enzyme bestimmt, wann eine Knospe aufbricht.

Vorteilhafte Starthilfe für ein schnelles und erfolgreiches Frühlingserwachen bieten Energiedepots, etwa eine Zwiebel (beim Schneeglöckchen) oder eine Knolle (beim Krokus). Diese sind im Winter schützend in der Erde verborgen und halten für den Frühling Wasser und Nährstoffe bereit. Damit dieser wertvolle Speicher nicht von hungrigen Tieren verzehrt wird, enthalten beispielsweise die Zwiebeln der Narzissen auch giftige Inhaltsstoffe, so genannte Alkaloide. Bäume dagegen speichern Nährstoffe im Stamm, die im Frühjahr in Zuckerform mit dem Xylemsaft durch das Holz zu den Knospen transportiert werden und die Streckung von Blüten und Blättern antreiben. Wie energiereich diese Säfte sind, ist bei einem Baum sogar zu schmecken: Ahornsirup ist der eingedickte, konzentrierte Saft aus den Leitbündeln, der im Frühjahr aus dem angeritzten Stamm des Zucker-Ahorns in Kanada gewonnen wird.

Auch wenn der Frühling manchmal explosionsartig auszubrechen scheint, so verläuft das Wachstum der Pflanzen doch systematisch. Das ist vom ersten Frühjahrsblüher am Boden eines Laubwaldes über das Emporsteigen der Pflanzensäfte beim nachfolgenden Blattaustrieb der Sträucher und schließlich der Bäume erkennbar. Die Blühperiodik ist damit zugleich Ausdruck eines Wettrennens der Pflanzen um Licht. Denn nur solange die Bäume noch keine Blätter ausgebildet haben, trifft auf den Waldboden ausreichend Licht und ermöglicht auch dort das Gedeihen von Pflanzen. Winterlinge, Buschwindröschen und Anemonen sind deshalb auf eine frühzeitige Blüte angewiesen, um erfolgreich Samen ausbilden zu können.

Die ersten Frühjahrsblüher wie Haselnuss und Erle blühen zu einer Zeit, in der noch kaum Insekten unterwegs sind, um Blüten zu besuchen und diese dabei zu bestäuben. Diese speziellen Gehölzarten setzen daher auf den Wind, der den Pollen von der männlichen Blüte zu einer weiblichen Narbe transportiert. Damit der ungerichtete Transport erfolgreich endet, produzieren sie Pollen in Millionenzahl. Diese umherfliegenden mikroskopisch kleinen Pflanzenteilchen gelangen somit auch in menschliche Schleimhäute und können bei entsprechender Sensibilität den ersten Heuschnupfen auslösen.

Auch in der Hauptstadt lässt sich der Frühling in seiner vollen Vielfalt von Farben, Formen, Düften und Geräuschen erleben – am schönsten vielleicht im Botanischen Garten in Berlin-Dahlem. Im Vollfrühling begeistern die zahlreichen Wildtulpen-Arten aus Zentralasien. Das laute Gequake balzender Frösche umrahmt hier das wogende Meer aus weißen Buschwindröschen und violetten Frühlingsplatterbsen. In den prächtig blühenden Berghängen in der Griechenland- und Kaukasus-Region der Anlage summen die Bienen. Und wenn sich schließlich die Pfingstrosen aus der Erde schieben und blühende Magnolien den Japanischen Teepavillon schmücken, ist dies der Ort für die schönsten Frühlingsgefühle.

Die Autorin ist Diplom-Biologin und Pressesprecherin des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin, Eingänge: Unter den Eichen 5-10, 12203 Berlin, und Königin-Luise-Platz, 14191 Berlin. Öffnungszeiten im April: Garten von 9 bis 20 Uhr, Museum von 10 bis 18 Uhr. Eintritt: fünf Euro (erm. 2,50 Euro), nur Botanisches Museum zwei Euro (erm. ein Euro).

Weiteres im Internet: www.botanischer-garten-berlin.de