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Europa-Kenner par excellence

Peter Hall, Krupp Foundation Professor of European Studies der Harvard University, über die deutsche Hochschullandschaft

Auf dem Weg zur „International Network University“ wird die Freie Universität Berlin von einem internationalen Beraterteam begleitet. Dem International Council gehören hochrangige Wissenschaftler an, darunter der Krupp Foundation Professor of European Studies der Harvard University, Peter Hall. Mit ihm sprach Carsten Wette.


Professor Hall, Sie haben in Kanada und Großbritannien studiert, lehren in den USA und Sie beraten Universitäten in Frankreich, Spanien und Deutschland – um nur einige Länder zu nennen. Wenn Sie die Zutaten wählen könnten – wie sähe für Sie das ideale Hochschulsystem aus?

Ihre Frage erinnert mich an einen alten Witz, nach dem Kanada eigentlich die französische Küche, die britische Hochkultur und die Wirtschaftsdynamik der USA hätte erben müssen – stattdessen schlägt es sich mit der britischen Küche, der Wirtschaftsdynamik Frankreichs und der amerikanischen Kultur herum. Diese Stereotypen sind natürlich überholt und erinnern daran, dass die Stärken und Schwächen aller Länder sich im Laufe der Zeit verändern. Wir dürfen nicht vergessen, dass die amerikanischen Forschungsuniversitäten nach dem deutschen Modell entstanden sind, und dass diese Entwicklung an der Universität von Chicago begann. Ein ideales Universitätssystem sollte all jenen offen sein, die eine Hochschulbildung anstreben, und zwar zu jedem beliebigen Lebenszeitpunkt. Es sollte aber auch Förderwege eröffnen, damit die besten Studierenden ausgewählt werden, um gemeinsam studieren zu können. Es sollte gleichermaßen Spitzenleistungen in Forschung und Lehre fördern. Ich bin davon überzeugt, dass man Institutionen schaffen kann, die diese Herausforderungen meistern – politischen Mut und eine umfassende Finanzierung vorausgesetzt. Viele Probleme der deutschen Universitäten kann man darauf zurückführen, dass hier deutlich weniger für die Hochschulbildung ausgegeben wird als in den USA.

Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile des deutschen Hochschulsystems? Wird die Exzellenz-Initiative, in der die Freie Universität erneut die Endrunde erreicht hat, das System verbessern?

Die deutschen Universitäten können auf eine bemerkenswerte Forschungstradition zurückblicken. Sie ist geprägt durch hohe Standards bei der Auswahl und Ausbildung der Professoren sowie durch die Bereitschaft, Grundlagenforschung in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen zu unterstützen. Wann immer Harvard nach herausragenden Wissenschaftlern sucht, um Rat in jenen Fächern zu bekommen, die anderswo so gut wie verschwunden sind – etwa in Tibetstudien oder in manchen Disziplinen der Paläontologie –, finden wir sie in Deutschland. Das ist eine bemerkenswerte Stärke, die in mehr als 150 Jahren gewachsen ist. Ich fände es entsetzlich, wenn diese Stärke verschwände – und dies könnte passieren, würden nur noch die modischsten neuen Fächer finanziell unterstützt. So wie die Umweltschutzbewegung Ökosysteme zu bewahren sucht, müssen wir Wissensschätze über frühere Epochen und andere Kulturen schützen, die behutsam angesammelt und über Generationen weitergegeben worden sind. Andernfalls werden wir die Welt weniger gut verstehen. Die Freie Universität verfügt beispielsweise über große Stärken in den Regionalstudien: Sie können jene interkulturelle und vergleichende Forschung in den Sozialwissenschaften befördern, die heute so dringend gebraucht werden. Wir müssen diese Stärken schützen und darauf aufbauen. Die Exzellenz-Initiative kann die deutschen Universitäten verbessern, aber nur, wenn dadurch eine breite Palette von Forschungsvorhaben in vielen Institutionen unterstützt wird.

Als ehemaliger Direktor des Minda de Gunzburg Centre für Europäische Studien und Krupp Foundation Professor für Europäische Studien in Harvard haben Sie ein enges Verhältnis zu Europa. Was interessiert Sie daran, dem International Council der Freien Universität anzugehören, und welchen Eindruck haben Sie von der Freien Universität?

Da im International Council führende Repräsentanten der weltweit besten Universitäten vertreten sind, sind unsere Debatten darüber, wie man eine starke Universität errichtet, für mich faszinierend und sehr lehrreich gewesen. Ich bin beeindruckt von den Plänen, die die Freie Universität im Council präsentiert hat sowie von der starken Unterstützung, die sie von den Präsidenten einiger der besten Universitäten Europas erfährt.

Wie bewerten Sie das Zukunftskonzept der Freien Universität?

Die von Dieter Lenzen und seinen Kollegen vorgestellte Vision für die Universität und die Reformen, die sie ungeachtet knapper Kassen bereits umgesetzt haben, haben mich tief beeindruckt. Ich denke, dass das Konzept einer internationalen Netzwerk-Universität auf bewährte Stärken der Freien Universität setzt. Berlin hat durch seine geopolitische Situation schon immer auf die Außenwelt geblickt. Die Freie Universität hat seit ihrer Gründung viel Wert gelegt auf die Erforschung fremder Kulturen, grenzüberschreitende Vergleiche, internationale Beziehungen und die Entwicklung von Wissenschaft über Grenzen hinweg. Das Konzept der Netzwerk-Universität gibt diesen Stärken mehr Gewicht und passt sie an die Bedürfnisse der Human-, Sozial und Naturwissenschaften einer neuen Epoche an. Das Konzept passt so nur nach Berlin und hat das Potenzial, Deutschland einen bedeutenden Platz in der Wissenschaft einer zunehmend globalisierten Welt einzuräumen.


ZUR PERSON

Der Kanadier Peter Hall studierte Wirtschaftswissenschaft und Politologie an der University of Toronto und am Balliol College in Oxford. Er promovierte in Harvard, wo er seit 1982 lehrt. Hall ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel, unter anderem über die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Europa.

Für sein wissenschaftliches Werk und seine Lehrtätigkeit wurde er mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter 1986 mit dem renommierten Woodrow Wilson Award für das beste veröffentlichte Buch in Politikwissenschaft.

Peter Hall ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien in Nordamerika und Europa. cwe, Foto: Harvard University