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Dem Gräuel der Natur auf der Spur

LANGE NACHT DER WISSENSCHAFTEN Unterwegs auf dem Campus Lankwitz

Auf dem GeoCampus Lankwitz werden Erdbeben und Hochwasser simuliert

Von Carsten Wette

Naturkatastrophen wie Erd- und Seebeben oder Hochwasser sind nicht nur für die unmittelbar betroffenen Menschen und Tiere verheerend. Die Bilder der Zerstörung, die über die Fernsehbildschirme flimmern, erfüllen auch den Betrachter mit Beklemmung und Hilflosigkeit: So fielen dem Tsunami nach dem Seebeben im Indischen Ozean Ende 2004 mehr als 230 000 Menschen zum Opfer. Bei einem der verheerenden Erdbeben des 20. Jahrhunderts 1990 im iranischen Rascht starben mehr als 40 000 Menschen, eine halbe Million Menschen wurde obdachlos. Und das Jahrhunderthochwasser an der Elbe und ihren Nebenflüssen 2002 richtete in Deutschland und den Nachbarstaaten Schäden in Milliardenhöhe an. Der Mensch scheint den Launen der Natur ausgesetzt.

Erdbeben lassen sich nicht vorhersagen, doch Forscherinnen und Forscher der Geowissenschaften bedienen sich einer Palette von Methoden, um deren Ursachen und Verlauf zu erforschen. Einige davon können Besucher der „Langen Nacht der Wissenschaften“ heute als Experimente auf dem GeoCampus der Freien Universität in Lankwitz erleben. „Wir werden künstliche Erdbeben auslösen und die seismischen Wellen mit Geophonen messen“, erläutert der Geophysik-Professor Georg Kaufmann. Je nachdem, wie schnell die Wellen sich ausbreiten und wie sie in der Erde gebrochen, gebeugt oder reflektiert und von den Messgeräten wieder aufgefangen werden, können Erkenntnisse über den Aufbau des Untergrunds gewonnen werden. Im echten Forscherleben löst man künstliche Wellen durch Sprengstoff aus, beispielsweise um Erdölvorkommen und Salzstöcke zu erkunden, oder man nutzt natürliche Erdbeben, um die Grenzen zwischen tektonischen Platten zu erforschen. In Lankwitz müsse aber niemand um sein Leben fürchten, versichert der Geophysiker: „Wir erzeugen die seismischen Wellen nur durch Hammerschläge auf den Boden.“ Und wie sehr man es dabei auch krachen lässt – die Stärke der Beben wird nicht über den Wert eins auf der Richterskala klettern.

Die Struktur des Untergrundes erkunden Geophysiker auch durch geoelektrische Verfahren. Auch dies können die Besucher erleben: Zwei Metallstifte werden in den Boden gerammt, und über eine Batterie wird Strom eingespeist. Je nach gemessener Spannung, die man über zwei Sonden in verschiedenen Entfernungen an der Erdoberfläche misst, kann man Rückschlüsse auf die Lage des Grundwasserspiegels ziehen. Aus technischen Gründen wird der Versuch bei Regen aber nicht angeboten. Die Geoelektrik ist nicht nur für die Erdbebenforschung interessant, betont Georg Kaufmann. Auch Umweltforscher und Archäologen setzen sie ein, denn unter guten Bedingungen kann man damit die Grenzen von Gesteinsschichten kartieren.

Die Frequenz von Erdbebenwellen ist für das menschliche Ohr eigentlich zu niedrig. Nicht so in Lankwitz: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Signale mehrerer realer Beben gestaucht und damit hörbar gemacht. Wer die Ohren spitzt, kann feststellen, worin sich ein Beben der Stärke 7,6 in der Türkei unterscheidet von einem Minibeben, dass 2002 in Nordrhein-Westfalen nur ein paar Tassen zum Hüpfen brachte.

Anschaulich und gleichermaßen ungefährlich sind auch die Hochwasser-Experimente auf dem GeoCampus. Wissenschaftler unter der Leitung des Professors für Angewandte Physische Geographie der Freien Universität, Achim Schulte, demonstrieren an einer sieben Meter langen und 1,50 Meter breiten hydraulischen Abflussrinne, wie stark das Ausmaß der Hochwasserschäden von der Fließgeschwindigkeit der Bäche und Flüsse abhängt. „Mit Hilfe von Pumpen lassen wir 200 Liter pro Sekunde durch die Rinne laufen und neigen sie peu à peu um bis zu 30 Prozent“, erklärt Schulte. In der Rinne ist der Abschnitt eines Bachs im Maßstab eins zu fünf nachgebildet. Je schneller das Wasser fließt, desto größere Steine werden mitgerissen. Wer den tosenden Fluss im Labor von der Seite durch Glasscheiben beobachtet, kann ermessen, wie 2002 unter anderem das Dorf Weesenstein im sächsischen Müglitztal von der Flut regelrecht niedergemäht wurde.

„Die größten Hochwasserschäden an Häusern oder Brücken entstehen durch das mitgeführte Geröll und nicht durch das Wasser“, sagt Schulte. Den Gästen der „Langen Nacht“ wird dies in Experimenten und Ausstellungen gezeigt. Präsentiert werden auch verschiedene Möglichkeiten, um Hochwasserschäden zu vermeiden. Wenn man in Gebirgsflüssen Totholz als Abflussbremse nutze, könne man die Fließgeschwindigkeit reduzieren, Erosion verhindern und damit Schäden vermeiden, erklärt Geograf Schulte. Hilfreich seien auch kleine Rückhaltebecken, geschwungene Bachläufe und Ufergehölze. Diese Erkenntnisse will Schulte im Hochwasserschutz umsetzen. Gemeinsam mit Kollegen aus Sachsen und Tschechien erforscht er mit EU-Fördermitteln, wie Siedlungen im Erzgebirge vor der Wucht reißender Gebirgsflüsse geschützt werden können, indem man Hochwasser verstärkt in der Fläche zurückhält. Denn Extrem-Ereignisse wie das Elbhochwasser vor fünf oder die Oderflut vor zehn Jahren werden häufiger auftreten, sagen Klima-Experten voraus. Doch anders als bei Erdbeben sind die Menschen diesen Naturgewalten durch die Arbeit der Forscher nicht völlig hilflos ausgesetzt.

Präsentationen und Experimente zum Thema Erdbeben und Hochwasser, Ort: Malteserstr. 74–100, 12249 Berlin: „Ein Blick ins Innere der Erde“, Gebäudenr. D, Zeit: 17.00 bis 1.00 Uhr, Infos: http://web.fu-berlin.de/geo/de/geol/FRGeophysik/ueberblick.html; „Land unter – Von Wasser und Flutkatastrophen“, Gebäudenr. E, G, Zeit: 18.00-23.00 Uhr, Infos: www.geog.fu-berlin.de/de/Fachrichtungen