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Bekenntnis zur Vielfalt

Kongress der Freien Universität Berlin und des DAAD zum Jahr der Geisteswissenschaften

Von Leonie Loreck

Kann man einem Japaner, der als Sinologe über die deutsch-chinesischen Beziehungen promoviert, noch etwas Neues erzählen über die Internationalität der Wissenschaft? Doch, man kann. 300 Vertreter geisteswissenschaftlicher Disziplinen waren Anfang Juni zu dem Kongress „Internationalität der Geisteswissenschaften in einer globalisierten Welt“ an die Freie Universität gekommen. Und die Besucher waren nicht wenig erstaunt über die hier ausgebreitete Fülle von Erfahrungen, Initiativen und Plänen rund um die Internationalisierung ihrer Fachgebiete.

Der Kongress war ein Beitrag der Freien Universität und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zum „Jahr der Geisteswissenschaften“, das vom Bundesbildungsministerium initiiert und gefördert wird. In den Medien ist häufig zu lesen, die deutschen Geisteswissenschaften fühlten sich unterschätzt, seien unterfinanziert und suchten neue Wege, ihre Bedeutung öffentlich bekannt zu machen. Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität, konterte bei der Eröffnung: „Ich bin Geisteswissenschaftler, aber ich fühle mich nicht vernachlässigt.“

Lenzen hat gute Gründe dafür: Die Freie Universität repräsentiert deutschlandweit eine einzigartige Fülle und Breite der Disziplinen in den Geisteswissenschaften, betonte er. Als Beispiele für geisteswissenschaftliche Zukunftskonzepte nannte er das „Center for Area Studies“ und das „Dahlem Humanities Center“, in denen geisteswissenschaftliche Kompetenzen gebündelt und Disziplinen vernetzt werden, immer „mit Blick auf eine sich globalisierende Welt“.

Das Renommee der deutschen Geisteswissenschaften im internationalen Kontext wurde in Berlin nicht bezweifelt. „Kaum ein Land leistet sich so viel Aufwand für geisteswissenschaftliche Einrichtungen mit internationalen Bezügen wie Deutschland“, sagte der Historiker Ulrich Herbert.

Da würde ihm Fridah Kanana Erastus aus Kenia zustimmen. Die Linguistin promoviert über einen Vergleich der kenianischen Sprachen Meru, Tharaka und Chuka. „Bei mir zu Hause an der Kenyatta University gibt es dazu keine Bücher“, erzählte sie. „Aber in der Afrikanistik in Frankfurt habe ich nicht nur mehr als genug Forschungsliteratur gefunden, sondern ich kann dort auch noch Suaheli und Haussa lernen.“

Die Afrikanerin war eine von rund 150 ausländischen Doktoranden, die zu dem Kongress geladen waren. Sie forschen zurzeit mit DAAD-Förderung an deutschen Hochschulen, und Internationalität ist für sie der ganz normale Alltag. Schon immer haben Geisteswissenschaftler Grenzen überschritten, nationale ebenso wie die ihres Faches. Die Globalisierung schaffe jedoch neue Arbeitsfelder, glaubt der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf und verwies auf den rasant gestiegenen wissenschaftlichen Deutungsbedarf angesichts der globalen Entwicklung der Religionen.

Dass solche Themen auch internationale Forschungskooperationen verlangen, meint der Gießener Literatur- und Kulturwissenschaftler Ansgar Nünning. Doch hier gibt es noch jede Menge Lernbedarf. Nünning berichtete von einem Treffen europäischer Forscher aus 25 Ländern, die darüber diskutierten, wie aus der Vielzahl europäischer Literaturgeschichten eine Geschichte der europäischen Literatur entstehen könne. Die Differenzen begännen schon bei der nationalen Praxis der Literaturgeschichtsschreibung: Während man in England die großen Autoren in den Mittelpunkt stellt, orientiert man sich in Deutschland an Strömungen in der Literatur. Ganz zu schweigen von den gravierenden Unterschieden in den historischen Erfahrungen.

Eine europäische Literaturgeschichte müsste dies nach Nünnings Ansicht widerspiegeln und ein Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt ablegen. Dazu sei allerdings eine Reflexion der verschiedenen Wissenschaftstraditionen notwendig, die damit selbst zum Forschungsgegenstand würden. Nur so könnten sich neue internationale Ansätze herausbilden.

Vor diesem Hintergrund plädierte Nünning für mehr internationale Kooperation auch in der Lehre. Damit fand er bei seinen Kollegen offene Ohren. Sie bescheinigten der Lehre in den Geisteswissenschaften die größten Defizite und forderten deren finanzielle Unterstützung durch eine Exzellenzinitiative, wie es sie derzeit für die Forschung gibt. Gleichzeitig beklagten sie den Mangel an internationalen Standards in der deutschen Hochschullehre.

Von solchem Mangel wollte der japanische Sinologe Motomu Koike freilich nichts wissen. Er forscht über die deutsch-chinesischen Beziehungen am Anfang des vorigen Jahrhunderts und schätzt nicht nur die deutschen Archive, sondern auch das Doktorandenkolloquium an der Freien Universität Berlin, wo er der einzige Japaner unter lauter chinesischen und deutschen Sinologen ist. Hier, so berichtete er begeistert, diskutiere er keineswegs nur mit Philologen über Forschungsthemen zu China, sondern auch mit Wirtschaftswissenschaftlern und Politologen.

An Beispielen für gelungene Nachwuchsförderung fehlte es auch sonst nicht bei dem Kongress. Für den Historiker Christoph Anz allerdings ist die Krise der geisteswissenschaftlichen Lehre erst dann behoben, wenn die Studierenden auch auf Berufsleben und Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Der frühere Max- Planck-Forscher, der seit Kurzem im zentralen Personalwesen der BMW Group in München die Bildungspolitik des Konzerns verantwortet, empfahl als Vorbild England, wo Geisteswissenschaftler über das Fachwissen hinaus Qualifikationen für die unternehmerische Praxis erwerben. „Die Unternehmen erwarten keine punktgenaue Ausbildung“, sagte Anz, „aber sie suchen Persönlichkeiten.“

Ob es um die Mobilität der europäischen Studierenden durch den sogenannten Bolognaprozess ging oder um die Rettung der „kleinen Fächer“, die schon von Haus aus höchste interkulturelle Kompetenz vermitteln: Die Befürworter der Internationalisierung sprachen sich einhellig gegen eine Vereinheitlichung und für die Bewahrung von Vielfalt aus: Internationalität soll auch weiterhin in Fremd- und Lernerfahrung münden, wie es der Historiker Paul Nolte formulierte.

Ein Beispiel hierfür war der Auftritt des somalischen Schriftstellers Nuruddin Farah, der aus seinem neuen Somalia-Roman „Knots“ las. Der berühmte Autor vermittelte in diesem Sommer als Samuel-Fischer-Gastprofessor den Literaturstudenten an der Freien Universität authentisch ein Stück ausländischer Literatur.