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Die kriminelle Karriere erforschen

Der Psychologe Klaus-Peter Dahle verrät, warum sich kriminelle Energie nur schwer messen lässt und wie Straftäter auf den rechten Weg zurückfinden

ENERGIE Beiträge aus der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „fundiert“

Was verbraucht mehr Energie: kriminell werden oder anständig bleiben?

Kriminelle Energie ist eine Metapher, keine Größe, die sich einfach messen und vergleichen lässt. Deswegen kann man die Frage eigentlich nicht beantworten. Wenn man aber einmal alle möglichen Normübertritte als kriminell wertet, also auch das Schwarzfahren und Ähnliches, dann wird man wohl mehr Energie brauchen, um nicht kriminell zu werden.

Gibt es denn klassische Wege, um kriminell zu werden?

Vorweg geschickt: Wir wissen über manche Formen der Kriminalität sehr wenig, zum Beispiel über Wirtschaftskriminalität. Die lässt sich nicht so gerne beforschen. Bei den Formen, die wir untersucht haben, spielen bestimmte Risikofaktoren eine Rolle – das Elternhaus beispielsweise. Es gibt eine Kerngruppe von Straftätern, die besonders früh auffällig wird, bei denen familiäre Risikofaktoren eine große Rolle spielt.

Welche Faktoren sind das?

Da hängt vieles mit vielem zusammen: Die sozialen Chancen sind geringer, das Umfeld neigt tendenziell zu kriminellem Verhalten, glorifiziert es teilweise auch. Mitunter kommen biologische Risiken hinzu, also zum Beispiel Lernfähigkeiten oder Temperamentfaktoren.Wenn Jugendliche, die so aufwachsen, nicht den Sprung hinaus schaffen, dann gehören sie später zu der Kerngruppe, die einen großen Teil der Menschen im Strafvollzug ausmacht.

Das ist eine klassische kriminelle Karriere?

Genau. Diese Form ist mittlerweile ziemlich intensiv erforscht. Es gibt Studien, die solche Risikogruppen ausführlich untersucht haben – von der Jugend bis weit über das 40. Lebensjahr hinaus.

Die machen den Großteil im Strafvollzug aus?

Nein, das ist zwar eine wesentliche Kerngruppe. Die meisten Erwachsenen im Strafvollzug sind aber erst straffällig geworden, als sie bereits volljährig waren.

Warum sind Wirtschaftskriminelle kaum erforscht?

Die lassen sich vermutlich seltener erwischen. Und wenn sie erwischt werden, werden sie seltener verurteilt. Und wenn sie verurteilt werden, haben sie eine größere Chance, in den offenen Strafvollzug zu kommen. Im geschlossenen Vollzug sind sie nur eine kleine Gruppe.

Gibt es Menschen, die gar nicht anders können, als kriminell zu werden?

Das ist eine philosophische Frage. Aber es gibt sicherlich Ursachen für Kriminalität, deren Spannbreite von echter psychischer Erkrankung bis hin zur bewussten Entscheidung reichen. Und Sie finden alles, was dazwischen liegt: Personen, die sich dem Druck einer Gruppe nicht entziehen können; Personen, die soziale Defizite und eine verzerrte Wahrnehmung haben; Personen, die Schwierigkeiten haben, emotionale Signale wahrzunehmen und deshalb nur schwer Hemmungen aufbauen können. Bei solchen Schattierungen lässt sich sehr schwer sagen: Können die anders handeln oder können sie es nicht?

Wie schwer ist es, aus eigenem Antrieb wieder von der schiefen Bahn zu kommen?

Auch dabei spielen verschiedene Dinge eine Rolle. Bei einer relativ großen Gruppe hängt das kriminelle Verhalten mit dem Konsum von Suchtmitteln zusammen. Viele jugendliche Straftäter schaffen den Sprung ins einigermaßen bürgerliche Leben wenn sie erwachsen werden. Ein paar bleiben aber übrig, die sich ihre Chancen deutlich stärker verbaut haben. Die bleiben oft auffällig und fangen an zu trinken oder ähnliches. Sie haben relativ wenig Chancen, es sei denn, sie kriegen ihre Sucht in den Griff.

Hat die Haftstrafe einen Einfluss?

Viele kommen im Laufe einer langen Haftstrafe ins Grübeln. Die treffen tatsächlich eine bewusste Entscheidung, die wollen einfach nicht mehr. Denen dämmert, dass sie nicht den ganzen Rest ihres Lebens im Vollzug verbringen können. Sie unternehmen dann Anstrengungen, um aus dem Milieu herauszukommen.

Welche Vorraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?

Derjenige darf intellektuell zumindest nicht eingeschränkt sein; er muss es hinkriegen, sich einen Job zu suchen und zu halten. Wenn der Beruf wegbricht, werden viele wieder straffällig. Es gibt auch echte Glückskinder, die einfach mal Schwein haben. Ich kenne den Fall eines ehemaligen Häftlings, der sich während einer Entziehungskur in eine Krankenschwester verliebt hat. Der hatte eine völlig miese Prognose, aber es hat geklappt.

Das Gespräch führten Oliver Trenkamp und Bernd Wannenmacher.


ZUR PERSON

Privatdozent Dr. phil. Klaus-Peter Dahle, Jahrgang 1960, promovierte 1995. Er ist seit 2007 wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Forensische Psychiatrie der Charité Berlin.