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Weiblich, extrem, schreibt

In einer Serie berichten wir über prominente Alumni der Freien Universität. Heute: die Autorin und Moderatorin Thea Dorn

Von Oliver Trenkamp

Als sie noch Philosophie an der Freien Universität Berlin studierte, plante sie einen Mord, einen wirklich abscheulichen. Ein Professor sollte zerlegt werden, in 54 Einzelteile. Dann klärte sie den Mord gleich wieder auf – beides allerdings nur auf dem Papier. Thea Dorn schrieb ihren ersten Krimi, da war sie gerade einmal 23 Jahre alt. „Berliner Aufklärung“ heißt das Buch, es erschien 1994 und spielt im philosophischen Milieu. Es brachte ihr den Ruf ein, die „brutalste Mörderin an der Feder zu sein“, und beginnt mit folgender schauerlicher Szene:

„Es war kein schöner Mord. Aber ein echter. Die Möglichkeit, dass sich Professor Doktor Rudolf Schreiner selbst in vierundfünfzig Teile zerlegt, in Gefrierbeutel verpackt und gleichmäßig auf die vierundfünfzig Postfächer des Philosophischen Instituts an der Universität Berlin verteilt hatte, konnte ausgeschlossen werden.“ Thea Dorns junge Romanheldin Anja Abakowitz versucht dann auf 160 Seiten herauszufinden, wie die 54 sauber tranchierten Fleischpakete des Nietzsche-Spezialisten Schreiner in die Hochschul-Postfächer gelangten.

Frühere Kommilitonen von Thea Dorn glaubten, viele der handelnden Personen wiedererkannt zu haben, wenn auch der Fall komplett erfunden war. Doch die Autorin sagt: „Das ist natürlich Quatsch, mein Buch ist kein Doku-Drama.“ Aber ein paar Ähnlichkeiten zu realen Personen und Orten gebe es schon. Das lasse sich nicht vermeiden, wenn man als Studentin an einem konkreten Institut arbeite und Krimis schreibe, sagt Dorn.

Damals wurden zum ersten Mal die Medien auf sie aufmerksam. Dem „Spiegel“ gab sie zu Protokoll, dass sie eigentlich nur die Intrigen am Philosophischen Seminar beschreiben wollte. Sie sei selbst überrascht, dass daraus ein Krimi entstanden sei. Die Fachwelt war begeistert und verlieh ihr gleich ein paar Krimi-Preise.

Wenn Thea Dorn etwas macht, dann macht sie es meist extremer als andere: Ihre Krimis sind brutaler als die hierzulande üblichen, ihre Artikel provokanter, ihre Drehbücher grusliger, ihre Uni-Abschlussarbeit besser, ihre Theaterstücke origineller.

Im Wintersemester 1991/92 kommt sie an die Freie Universität, um bei Ursula Wolf Philosophie zu studieren. „Sie hatte so wunderbar schlechte Laune“, sagt Thea Dorn und gerät ins Schwärmen über den „glasklaren Verstand“ und die „analytischen Fähigkeiten“ der Philosophie-Professorin Wolf, deren Spezialgebiet Ethik ist. Gezielt habe sie gesucht nach jemandem wie Wolf, in deren Seminaren sie über Methodenprobleme der Ethik diskutierte und über Willensschwäche.

Ihr Studium begonnen hatte sie in Frankfurt am Main und in Wien. Als sie dann nach Berlin an die Freie Universität kam, war das erst ein kleiner Schock. „In Frankfurt ging man noch im Anzug studieren“, sagt sie. So war sie in ihrem schwarzen Hosenanzug zunächst „slightly overdressed“ am Institut für Philosophie, das sie noch heute „Schneckenlaube“ nennt – das Gebäude sieht ein wenig aus wie ein gläsernes Schneckenhaus.

Auch an die unübersichtliche Stadt musste sie sich erst gewöhnen. „Kurz nach dem Mauerfall tobte die Hölle auf dem Wohnungsmarkt“, erinnert sie sich. Ihre erste Wohnung bezog sie in Neukölln. „Die täglichen U-Bahnfahrten fand ich das Grauen“, sagt Thea Dorn. In Wien habe sie nur drei Minuten zur Uni gebraucht. Von Neukölln zog sie nach Wedding, von dort nach Schöneberg. Noch heute lebt sie dort und hat sich in den Bezirk und die Stadt ein bisschen verliebt. „In Berlin gibt es deutlich mehr Menschen, die nicht im Mainstream mitschwimmen“, sagt sie. Und genau das ist eine Voraussetzung, um in Thea Dorns Freundeskreis aufgenommen zu werden: nicht zum Mainstream gehören, irgendwie untypisch sein, etwas Besonderes machen, extremer sein. Beispiel? „In meinem engeren Umfeld gibt es keinen einzigen Menschen, der fest angestellt ist.“ So ist ihr auch Berlin ein Freund geworden.

Bevor es dann richtig losging mit der Karriere als Drehbuch-Autorin für die ARD-Serie „Tatort“, als Moderatorin einer eigenen Sendung im SWR-Fernsehen, als mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin und als Autorin fürs Theater, bevor all das kam, schrieb sie noch ihre Magister-Arbeit mit dem Titel „Wie täusche ich mich selbst?“, natürlich mit Bestnote, und absolvierte zwischendurch eine Gesangsausbildung. Und sie arbeitete bis zum Jahr 2000 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie.

Zurück an die Universität zu gehen, das könne sie sich nicht vorstellen, sagt Dorn. Zwar habe sie nach einer langen Phase des literarischen Schreibens wieder die Bücher von „Frau Arendt“ und „Herrn Popper“ aus dem Regal gekramt. Doch nicht, um akademisch zu forschen, sondern weil sie ihre „Liebe zum Argumentieren und Diskutieren“ wieder entdeckt habe.

Mit Genuss und Streitlust schaltet sie sich ein in aktuelle gesellschaftliche Debatten. Zuletzt schrieb sie ein Buch mit dem Titel „Die neue F-Klasse“, in dem sie elf Frauen porträtiert, die etwas geschafft haben. Der Untertitel des Buches enthält die Kernaussage: „Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird“. Klar, dass sie damit auch gegen die langjährige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman Position bezieht. Die hatte in einem eigenen Buch und zahlreichen Interviews gefordert, dass sich Frauen mehr auf ihre vermeintlich traditionelle Rolle als Mutter und Hausfrau besinnen sollten.

Thea Dorn hält solche Thesen für „groben Unsinn“. Und sie sagt und schreibt das laut und häufig. „Wenn man an eine natürlich vorgegebene Rollenverteilung der Geschlechter glaubt, kann man auch gleich seinen eigenen Willen aufgeben“, sagt sie. Es sei doch das Wesen des Menschen, durch seinen Willen über sich hinauszuwachsen. Gerade heute müsse man wieder über die Grundlagen der Liberalität nachdenken. „Was macht die westliche Moderne aus?“, das sei eine existenzielle Frage.

Provokant stellt sie in einem journalistischen Text die Thesen von Eva Herman und jene eines Nazi-Ideologen aus den 1930er-Jahren gegenüber, angereichert mit Zitaten von der NPD-Internetseite. Der Text funktioniert wie ein Quiz: Immer wieder fragt Thea Dorn den Leser, woher wohl eine bestimmte Aussage stamme. Und sie zeigt genüsslich, wie sich viele Herman-Thesen und rechte Parolen ähneln. Als Titel prangt herausfordernd „Das Eva-Braun-Prinzip“ über dem Beitrag.

Ist so etwas nicht zu polemisch, Frau Dorn? „Ich stolperte zufällig über Rosenbergs ,Mythus des 20. Jahrhunderts‘, während ich das ,Eva-Prinzip‘ las und war selbst verblüfft, wie ähnlich die Argumentation und die Sprache sind, sobald es um die Frauenfrage geht“, sagt sie. „Und diese Ähnlichkeitsentdeckung wollte ich der Öffentlichkeit nicht vorenthalten.“

Und was kommt als Nächstes von Thea Dorn, deren Name ein Pseudonym ist und sich auf Theodor W. Adorno bezieht? Einen Roman in Tagebuch- oder Brief-Form kündigt sie für 2008 an, ebenso einen weiteren „Tatort“. Ihr großer Ehrgeiz sei es, möglichst viel miteinander zu verknüpfen von dem, was sie bisher gemacht habe: schreiben, zugespitzt formulieren, argumentieren, spannend aufbereiten, in die Öffentlichkeit tragen. „Ein großes Sachbuch über die Verteidigung der westlichen Moderne“, sagt sie, werde irgendwann kommen; nicht zu abgehoben, nicht zu akademisch. „Viele Menschen sollen es lesen können“.

Wenn es nur halb so spannend ist wie ihre Krimis, dann wird das mit den vielen Lesern sicher kein Problem.