Springe direkt zu Inhalt

Deutsch-britischer Brückenbauer

In einer Serie berichten wir über prominente Alumni der Freien Universität. Heute: Ruprecht Eser, Leiter des ZDF-Studios London

Von Matthias Thiele

Das hatten sich die Genossen anders vorgestellt: Da wollten sie dem Ruprecht Gutes tun und ihn in der NVA erziehen. Doch der „macht rüber“ in den Westen und wird einer der bekanntesten Fernsehjournalisten des Klassenfeindes. Ruprecht Eser, vielen bekannt als Moderator des Heute-Journals und der sonntäglichen Politik-Talksendung „Halb zwölf“, leitet heute das ZDF-Büro in London.

Aufgewachsen ist Eser in Leipzig. Schon der Vater hatte mit der DDR nicht viel am Hut: Er arbeitete in einem halbstaatlichen Betrieb, der Bibeln druckte. Eser selbst besuchte die Kinder-Jugend-Sportschule in Leipzig, eine Kaderschmiede für den Hochleistungssport. Überzeugt vom Arbeiter- und Bauernstaat war Eser aber keineswegs: „Das galt als gesellschaftliche Tätigkeit, und damit hatte man Ruhe vor dem Politkkram.“ Bei der Schulleitung war Eser unbeliebt, tauchte er doch auf FDJ-Veranstaltungen ohne das obligatorische blaue Hemd auf, und freiwillig zur NVA hatte er sich auch nicht melden wollen.

Ein Lehrer, der es gut meinte mit Eser, zog ihn vor den Abiturprüfungen zur Seite: „Wir haben den Auftrag, dich im Mündlichen nach unten zu prüfen.“ Statt an die Universität sollte Eser später zur Bewährung in die sozialistische Produktion geschickt werden. „Ich hatte keine große Zukunft mehr, und dann sind wir abgehauen“, sagt er lapidar. Im Juli 1961 war das, zwei Wochen vor dem Bau der Mauer.

Angekommen im Westen, blieb die Familie in Hanau. Den jungen Ruprecht Eser zog es nach dem sogenannten Ergänzungsabitur nach Berlin. Er lebte zunächst im Evangelischen Studentenwohnheim im Rudeloffweg, später im Studentendorf Schlachtensee. „Anschluss zu finden war überhaupt kein Problem. Es waren viele andere Flüchtlinge an der Freien Universität, aber auch die Kommilitonen aus dem Westen nahmen uns offen auf. Ossi,Wessi – das vermischte sich sehr schnell.“

„Publizistik: Fritz Eberhard“, fällt Eser sofort ein, wenn er nach seinem Studium gefragt wird. Eberhard war es, der im Londoner Exil mit einem Auslandssender gegen die Nationalsozialisten kämpfte und später den Südwestfunk aufbaute – ein journalistisches Vorbild. „Und dann Soziologie im Nebenfach: viel bei Stammer.“ Der Sozialdemokrat kam wie Eser aus Leipzig und verlebte das Dritte Reich in innerer Emigration. „Politologie: Richard Löwenthal. Hat mich geprüft über die Kommunistische Partei Chinas.“ Löwenthal, das zweite journalistische Vorbild Esers, war im Krieg als Marxist nach England gegangen und hatte dort bei Reuters gearbeitet. Später beriet er den alten Weggefährten Willy Brandt – und als Ordinarius am Otto- Suhr-Institut wurde er Lehrmeister einer ganzen Generation von Politologen.

„Die Zeit in Berlin war auch ganz abgesehen vom Studium wunderbar“, sagt Eser. Bis 1963 organisierte er mit Kommilitonen Fluchthilfeaktionen für DDR- Bürger. Über Prag und Budapest schleusten sie Flüchtlinge in einem VW-Campingbus nach Westdeutschland. Der Tank war verkleinert, damit sich ein Flüchtling dahinter verstecken konnte. „Als wir einmal jemanden über Ungarn herausgeholt haben, konnten wir erst kurz vor der Grenze in einen Wald fahren, um den Flüchtling zu verstecken, sonst hätte er in der Enge des Verstecks Atemprobleme bekommen. Gerade als wir die Buseinrichtung wieder einbauten, fuhren zwei ungarische Grenzschützer vorbei. Da rutscht einem das Herz doch ziemlich in die Hose.“ Ein knappes Dutzend Mal hat Eser bei solchen Aktionen mitgemacht. „Das war furchtbar aufregend und das Studium kam dabei manchmal etwas kurz. Zurück in Berlin, war der Kampf am nächsten Morgen schon recht groß: Geht man in die Vorlesung oder dreht man sich noch einmal um?“ Was Eser in den Vorlesungen versäumte, holte er in den Semesterferien nach. Und dann gerät er ins Schwärmen: „Die Nächte an der Krummen Lanke – es waren tolle Jahre an der Freien Universität. Wir haben jede Menge gefetet im Studentendorf. Viele Freunde aus dieser Zeit habe ich heute noch.“

Bei seinem ersten Besuch in der DDR nach der eigenen Flucht hatte Eser an der Grenze ein mulmiges Gefühl. „Als ich herausgewinkt wurde, fragte man mich: Was halten Sie von der Friedenspolitik der DDR?“ Eser ist sich heute sicher: „Die wussten, dass ich Fluchthelfer war.“ Denn über Freunde seines Vaters hatte er gehört, dass in der DDR nach ihm gefahndet worden war. „Letztendlich stand ich aber unter dem Schutz des Passierscheins, und mir geschah nichts. Aber ich war schon schwer nervös.“

Seine Berliner Zeit endete 1967 mit der Magisterarbeit bei Fritz Eberhard, sie trug den Titel: „Die Lizenzpresse in der britischen Besatzungszone am Beispiel der Frankfurter Rundschau“. Promovieren wollte Eser nicht mehr, weil man dazu das große Latinum brauchte. „Mir hatte man nur das kleine Latinum testiert, weil ich in Leipzig Latein nur fakultativ gemacht hatte.“

Schon während des Studiums hatte Eser für die BBC geschrieben. Deshalb war die Versuchung groß, nach London zu gehen und dort ein bisschen Geld zu verdienen. In der Abteilung German Service arbeitete er drei Jahre in Großbritannien: „Dort habe ich den angelsächsischen Journalismus kennen- und schätzen gelernt: Distanz halten, kritisch nachfragen und nicht katzbuckeln, wenn man vor einem Politiker oder einem Halbmächtigen steht.“

1970 kehrte Eser zurück nach Deutschland, ging zum ZDF und machte dort Reportagen, auch aus Ost-Berlin. Selbst später, als er ab 1988 regelmäßig das Heute-Journal moderierte, hielt er Kontakt zur Alma Mater: „Ich habe Lehraufträge an der Freien Universität angenommen, die innere Verbindung war immer da. Ich habe gerne mit jungen Leuten in Praxisseminaren gearbeitet.“

Während der Wende war Eser mitten in Berlin und sollte von der Ostseite aus berichten, wie Tausende auf den Pariser Platz stürmten, die Absperrgitter aushakten – und die Volkspolizei ruhig blieb. „Ich stand dort auf einem Blumenkübel. Der Funkkontakt zur Sendeleitung war abgebrochen, und ich redete und redete einfach. Als die Leute mit den Ansteckern ,Macht das Tor auf‘ und mit Rotkäppchensekt kamen, schossen mir die Tränen in die Augen!“

Und die Zukunft? „Jetzt bin ich erst noch ein Jahr in London, so schließt sich der Kreis: Ich habe den Journalismus hier gelernt, und in Großbritannien werde ich in den Ruhestand gehen. Ich bin froh über jeden Tag, den ich hier genießen kann.“

Berlin will er auch weiter die Treue halten – mutmaßlich von Hamburg aus. Aber da hat auch seine Familie noch ein Wort mitzureden: seine Ehefrau Martina Ruperti, selbst Journalistin, sowie die beiden Kinder. „Wir sind gerade dabei, alles ein bisschen zu sortieren. Sicher werde ich weiter journalistisch arbeiten. Und ich möchte meine beruflichen Erfahrungen an junge Menschen weitergeben.“